project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Episode 1: Während die Bevölkerung seines Ortes in ärmlichen Verhältnissen lebt, muss der Idealist Dahai (Jiang Wu) mit ansehen, wie Jiao der Besitzer des örtlichen und privatisierten Bergwerks, sowie der Bürgermeister öffentlich im Luxus schwelgen. Doch all seine Versuche, die Missstände und Korruption aufzuzeigen, scheitern am Unverständnis und Gleichgültigkeit seiner Umgebung, die sich mit der ungerechten Aufteilung des Reichtums schon längst abgefunden hat und Dahai und sein Bestreben, die Welt ein bisschen gerechter zu machen, auch eher belächeln. Als Dahai als Teilnehmer einer Delegation den Firmenchef Jaio vor allen Leuten zur Rede stellt, wird er danach verprügelt und als sein Schweigen auch noch erkauft werden soll, holt er seine Schrottflinte aus dem Kasten um ein für alle Mal und mit höchst drastischen Mitteln gegen die gesellschaftlichen Unterschiede zu demonstrieren…
Episode 2: Auf dem Weg nach Hause wird der Wanderarbeiter Zhou San in einer entlegenen Gegend auf offener Straße von drei Jugendlichen angehalten, die den Mann, der mit einem alten Motorrad unterwegs ist, überfallen wollen. Statt der Brieftasche zückt Zhou San jedoch eine Waffe und erschießt die drei Räuber ohne mit der Wimper zu zucken und setzt unbeirrt seine Reise fort. Als er wenig später zum 70. Geburtstag seiner Mutter und Neujahrsfeierlichkeiten zu seiner Familie zurückkehrt, wirkt er von dieser entfremdet und obwohl er seiner Frau regelmäßig Geld schickt, würde dieses es lieber sehen, dass sich ihr Gatte in der Nähe eine Arbeit sucht. Doch schon wenig später zieht es Zhou wieder in die Ferne und er tritt eine weitere Reise ins Ungewisse an, die dazu dient, Besserverdienende vor Banken aufzulauern und kaltblütig auszurauben.
Episode 3: Xiao (Zhao Tao) hat eine Affäre mit einem Mann, der jedoch verheiratet ist und obwohl dieser verspricht, sich von seiner Frau zu trennen, muss Xiao nach einem neuerlichen Treffen auf einer Raststätte erkennen, dass sich ihr Traum von einer Beziehung mit ihrem Liebhaber wohl nicht erfüllen wird. Als sie wenig später bei ihrer Arbeit als Empfangsdame einer Sauna von der gehörnten Ehefrau ihres Freundes attackiert wird und sich ein reicher und sehr respektloser Gast der Sauna an ihr vergreifen möchte, will Xiao nicht mehr länger Opfer sein. Sie ersticht den zudringlichen Mann mit einem Messer, bahnt sich blutüberströmt ihren Weg ins Freie und tritt eine Flucht in eine ungewisse Zukunft an.
Episode 4: Der junge Xiahohui arbeitet in einer Textilfabrik und lenkt eines Tages einen Kollegen ab, der sich daraufhin verletzt und für längere Zeit nicht mehr arbeitsfähig ist. Als er vom Vorarbeiter für den Vorfall verantwortlich gemacht wird und seinen Lohn an den verletzten Kollegen abtreten soll, verlässt Xiahohui die Fabrik und landet durch die Vermittlung eines Bekannten fern der Heimat als Kellner in einer fragwürdigen Bar, in der reiche Männer die Bekanntschaft junger Mädchen suchen. Als sich Xiahohui in eine Kollegin verliebt und mit ihr gemeinsam eine Zukunft aufbauen möchte, weist diese ihn jedoch zurück und als Xiahohui daraufhin wieder zurückkehrt und auch von seinem Umfeld immer mehr unter Druck gesetzt wird, entschließt er sich zu einem verzweifelten Schritt.
Die Volksrepublik China mit seinen knapp 1,4 Milliarden Einwohner sind im Westen ja eher ein Mysterium und alles was über gesellschaftliche und industrielle Entwicklungen des Landes durch die Meiden geistert, ist eher negativer Natur, wie z.B. die Tatsache, dass in keinem Land mehr Hinrichtungen vollzogen werden, die große Armut der Bevölkerung und aktuell die Protesten von Studenten in Hongkong, denen von behördlicher Seite mit aller Härte entgegnet wird. Es scheint in der chinesischen Gesellschaft ja ordentlich zu brodeln und mit zunehmenden Fortschritt, Globalisierung und Bildung scheint eine nicht unerhebliche Menge an Bewohnen der Volksrepublik wohl nicht mehr bereit, die gesellschaftlichen Unterschiede und sozialen Missstände zu akzeptieren, die ein autoritär geführter Staat in Zeiten wie diesen mit sich bringen.
In „A Touch of Sin“ portraitiert der chinesische Regisseur Jia Zhangke anhand von vier Schicksalen in vier unterschiedlichen Regionen der Volksrepublik auch vier unterschiedliche Menschen, die nicht mehr gewillt sind, ihre jeweilige Situation kommentarlos hinzunehmen. Der 2013 in chinesisch-japanischer Co-Produktion entstandene Streifen greift dabei reale Ereignisse auf, die national und international Schlagzeilen gemacht haben auf und zeichnet dabei auch ein sehr ernüchterndes Bild seiner Heimat, dass mit Korruption, steigender Kriminalitätsrate und zunehmender Gleichgültigkeit und mangelnden Perspektiven zu kämpfen hat.
„A Touch of Sin“ bietet dabei nüchterne und realistische Bilder, die ihre traurigen und lose miteinander verwobenen Geschichten mit einer wunderbaren und fast schon poetischen Bildsprache erzählen, die einfache Menschen in einem Umfeld der Industrialisierung und Urbanisierung zeigt und so die Widersprüchlichkeit dieses Kulturkreises besonders zum Ausdruck bringt. Fast so als hätten die beide österreichischen Filmemacher, der kontroverse Ulrich Seidl („Import/Export“) und der kürzlich verstorbene Dokumentarfilmer Michael Glawogger („Workingman’s Death“) gemeinsame Sache gemacht um dem westlichen Zuschauer vor Augen zu halten, dass es in Zeiten, in denen eine vermeintliche Individualität und der Konsum zelebriert wird, es eben auch Verlierer gibt, die westlichen Annehmlichkeiten ausbaden müssen.
Der Regisseur Jia Zhangke war mir bislang aber leider kein Begriff und dem 1970 geborenen Regisseur, ist es wohl auch ein Anliegen, die Kehrseite einer Medaille zu zeigen, die im Widerspruch dessen steht, wie sich die Nation gerne der restlichen Welt präsentiert. Laut Wikipedia ist Zhangke zwar dafür im Ausland bekannt, während er in der Volksrepublik China „der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt“ ist. In Cannes ist Zhangke mit seinen Werken Dauergast und bekam 2006 im dritten Anlauf den goldenen Löwen für seinen Streifen „Still Life“ und war zwei Jahre danach mit „24 City“ wieder im Rennen um die begehrte Auszeichnung, die er auch im Jahre 2013 für das Drehbuch zu „A Touch of Sin“ erhielt.
Die Mischung aus nüchternen Realismus und ruhiger Erzählweise, die immer wieder von herben Gewaltausbrüchen durchbrochen wird, ist auch ausgesprochen gelungen und der Regisseur schafft auch ohne große Dialoge dank großartiger Schauspieler und eindrucksvollen Kulissen dem Zuschauer das Schicksal seiner Protagonisten und deren Motivation nachhaltig zu vermitteln. Dabei ist der für Tierfreunde wohl eher unerträgliche „A Touch of Sin“ mit seiner vielschichtigen Anklage gegen Korruption und Unmenschlichkeit auch sicher kein Streifen, den man sich aus China erwarten würde und sich dennoch auf der anderen Seite auch nicht der einseitige Streifen, der sich in die übliche Anti-Propaganda nach der Holzhammermethode einreiht und sich so wohl auch den strikten Zensurmethoden seines Entstehungslandes entzogen hat.
Nachdem Rapid Eye Movies den Streifen in ausgewählten Kinos gezeigt hat, ist mit August 2014 auch die DVD erschienen, die den Streifen auch in ausgezeichneter Qualität und im Original in Kantonesisch und Mandarin mit Untertiteln in Deutsch präsentiert. Aufgrund der Thematik hat auch die FSK den Streifen mit einer FSK 16-Freigabe durchgewunken, obwohl es in der ersten Episode doch etwas herber zur Sache geht. Neben einem schön gestalteten Booklet mit kurzer Inhaltsangabe und Infos zum Film gibt es jedoch leider nur den Trailer zum Film und weiteren Filmen aus dem Programm von REM, aber gerade in Hinblick auf die realen und hierzulande bis auf die Foxconn-Selbstmorde eher unbekannten Begebenheiten, die als Grundlage für das prämierte Drehbuch dienten, wäre ein „Making-Of“ oder Interview mit dem Regisseur sicherlich sehr interessant gewesen.
Unterm Strich bleibt ein vielschichtiger, erschreckender und sehr nachdenklich stimmender Streifen des chinesischen Regisseurs Jia Zhangke, der den westlichen Zuschauer zwei Stunden lang in eine ungewohnte wie erschreckende Welt entführt, in der sich das Individuum dem Kollektiv unterzuordnen hat und so etwas wie Grundrechte, Solidarität, Korruptionsbekämpfung, Entfaltungsmöglichkeiten, sowie Tier- und Umweltschutz noch in den Kinderschuhen stecken. Wer gerne dem Konsum und Fortschritt frönt, bekommt hier zwei Stunden die Kehrseiten der nur oberflächlich glänzenden Medaille der Globalisierung präsentiert und sollte dieses vielleicht im Hinterkopf behalten, wenn man das nächste Mal wieder irgendeinem Schnäppchen oder Trend hinterher hechelt.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch endlich Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9869
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