project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Bei der Suche nach einer verschwundenen und vermutlich vor Jahren bereits ermordeten Frau namens Laura landet ein heruntergekommener Privatdetektiv (Panos Thanassoulis) schwer verletzt und vollkommen erschöpft im Garten von zwei mysteriösen Frauen (Michele Valley & Meredyth Herold). Diese leben nach dem Tod des patriarchischen und mörderischen Hausherrn alleine in einem abgelegenen Haus, geben sich obskuren Rollenspielen und einer inzestuösen Liebe hin und sind in der regenreichen Nacht auch gerade damit beschäftigt, den Leichnam ihres zuvor ermordeten Chauffeurs im weitläufigen Garten zu vergraben, was in den vergangenen Jahren für die beiden durchgeknallten Frauen zu einer Art Ritual geworden ist.
Als der Privatdetektiv auf der Suche nach Hilfe an der Tür der beiden Frauen läutet, wird er zwar von der Tochter hereingelassen, aber sogleich im Auftrag der Mutter mit einer Waffe niedergeschlagen und an ein Bett gefesselt. Während die Tochter die Anwesenheit des Mannes zunehmend stimulierend findet und die Wehrlosigkeit des Mannes sexuell ausbeutet, agiert die Mutter zunehmend hysterisch und findet in der Jackentasche des Mannes ein Notizbuch, in dem neben einem Cocktail-Rezept für einen „Singapore Sling“ auch der Name Laura auftaucht.
Die Mutter vermutet daher in einer dunklen Vorahnung, dass der Detektiv dem mörderischen Treiben der Beiden auf die Schliche gekommen ist und während der Mann weiter gefoltert wird, um seine wahren Absichten und die Gründe seines überraschenden Erscheinen zu offenbaren, verstricken sich die drei immer mehr ins sadomasochistische Spiele, denen scheinbar keinerlei Grenzen gesetzt sind. Die Tage vergehen und während die Ereignisse in dem Haus immer groteskere Züge annehmen und der um sein Leben kämpfende Detektiv zum Spielball der beiden Frauen wird, steuert die ganze Sache auch zunehmend einer mörderischen Eskalation entgegen…
In den Siebzigern gab es in den Staaten das kulturelle Phänomen der sogenannten „Midnight Movies“ in denen unkonventionelle Low-Budget und Indie-Produktionen, die aufgrund ihres durchaus kontroversen uns Tabu-brechenden Inhalts nicht dem Massengeschmack des Publikums entsprachen, dem aufgeschlossenen Publikum in speziellen Mitternachtsvorführungen präsentiert und so zu unerwarteten Erfolgen wurden. Filme wie Jodorowskys „El Topo“ (kommt demnächst ja ebenfalls von Bildstörung!!!), John Waters „Pink Flamingos“, „Eraserhead“ von David Lynch oder auch das Grusical „The Rocky Horror Picture Show“ sind Filme, die durch ihre ungewöhnliche Form und die richtige Programmierung in Programmkinos zu Kultklassikern avancierten und so auch maßgeblich Generationen von Kinogehern und Filmemachern beeinflusste.
Obwohl „Singapore Sling“ von Regisseur Nikos Nikolaidis erst im Jahre 1990 entstanden ist, atmet der ungewöhnliche Streifen durchaus den rebellischen Geist dieser „Midnight Movies“ aus den Siebzigern, widersetzt sich mühelos allen gängigen Konventionen und Kategorien und wenn man alle voran genannten Filme hernimmt und dann noch mit einer großen Portion Sadomaso und düsteren „Film Noir“-Flair vermengt, bekäme man ungefähr dasselbe Ergebnis, wie der durchaus streitbare Regisseur aus Griechenland mit seiner Mischung aus sexuell aufgeladenen und abgründigen Erotik-Drama mit Slapstick-Einschlag abgeliefert hat.
Was Nikolaidis seinem staunenden Publikum präsentiert und auf zahlreichen Filmfestivals zur Zeit seiner Entstehung auch vollkommen zu Recht abgefeiert wurde ist dann auch zweifelsfrei mehr als ungewöhnlich ausgefallen: was als handelsüblicher „Film-Noir“-Krimi mit heruntergekommenen Detektiv und zwielichtigen Schönheiten beginnt, wandelt sich mit jeder weiteren Minute in Richtung sexuell aufgeladene Groteske, in der mit viel Spaß an der Freude auch eifrig jede Menge Tabus und sonstige Konventionen gebrochen werden. So bekommt der staunende Zuschauer mit surrealistischen Anstrich und in ansprechenden Bildern verpackt so blumige Themen wie Inzest, Nekrophilie und das Spiel mit Körperflüssigkeiten und -öffnungen präsentiert, die man in herkömmlichen Filmen wohl eher selten in so drastischer Form zu Gesicht bekommen würde.
Man sollte ja nicht den Fehler begehen, die ganze Sache zu erst zu nehmen und die Geschichte des dreisprachigen Films, in dem ein abgehalfterter Detektiv dem Phantom einer Jugendliebe nachjagt und dabei in die Hände eines ungewöhnlichen Mutter-Tochter-Gespanns gerät präsentiert sich dank widersprüchlicher Momente auch alles andere als zugänglich. Vieles im Verlauf des Filmes - dessen titelgebender Cocktail nur am Rande eine Rolle spielt - ergibt keinen Sinn, ist provokant, schockierend und ekelhaft zugleich und Nikolaidis hat sich auch nicht nehmen lassen, auch noch Slapstick-hafte Szenen und direkte Ansprachen an den Zuschauer einzubauen, was zwischen den recht herben Szenen immer wieder für ein Schmunzeln sorgt.
Überflüssig zu erwähnen, dass es sich bei „Singapore Sling“ auch um keinen Film für die breite Masse handelt und selbst bei der aufgeschlossenen Zuschauerfraktion nicht überall auf Gegenliebe stößt. Für Erotik-Fans zu wenig erotisch, für Arthouse-Fans zu wüst und dem Exploitation-Fan wird die ganze Sado-Maso-Sause und seine ungewöhnliche Machart wohl ohnehin zu „arty-farty“ sein. Nikolaidis Streifen findet sein Publikum dann auch am ehesten bei den Filmfans, die sich in allen drei Ecken zuhause fühlen und sich auch von Provokationen nicht so einfach aus dem Gleichgewicht bringen lassen.
Aus technischer Sicht gibt es ja wenig zu bemängeln und jede Einstellung in „Singapore Sling“ wirkt durchkomponiert und stimmig und auch der Soundtrack ist sehr gelungen. Darstellerisch lebt die Hommage an Otto Premingers im Jahr 1944 entstandenen „Laura“ natürlich vor allem von der Darbietung von Michele Valley und Meredyth Herold, die auch beide ohne körperlichen oder sonstigen Hemmungen agieren und auch vor bewusstem Overacting nicht zurückschrecken. Zurückhaltend dagegen ist die Darstellung von Panos Tanassoulis, der aufgrund seiner Rolle im Vergleich zu den beiden Damen auch eher in die passive Rolle gedrängt wird und erst am Ende etwas aufdrehen darf.
Mit der schönen Veröffentlichung aus dem Hause Bildstörung ist der Streifen ja nun auch erstmalig auch im deutschen Raum verfügbar und der mit englischen-, französischen und griechischen Dialogen dreisprachig ausgefallene Streifen wurde mit deutschen Untertiteln versehen. Neben einer sehr guten Bildqualität gibt es auch noch interessantes Bonusmaterial in Form einer Doku namens „Directing Hell“, in dem Regisseur, Schauspieler und Weggefährten ausführlich zu Wort kommen, sowie ein älteres Interview mit Nikos Nikolaidos, in dem er sich kurz und knapp über seine gesamte Filmografie äußert. Abgerundet wird das wie immer sehr geschmackvoll daherkommende Werk, bei dem auch die FSK ein Einsehen hatte, neben ausgewählten Werbeclips aus der Hand des griechischen Regisseurs dann noch mit einem ausführlichen Booklet und interessanten Text von Gerd Reda.
Unterm Strich bleibt ein hübsch in Szene gesetztes und abgründiges Sexual-Delirium in Form eines radikalen Kunstfilms mit viel Rüschen und Spitzen, das sich geschickt jeglicher Konvention entzieht und auch über zwei Jahrzehnte nach seinem Erscheinen noch immer keine Gefangenen macht. Nikos Nikolaidos als „Film Noir“-verpackte Erotik-Groteske ist zwar sicherlich kein Film für die breite Masse und für jeden Tag, aber wer sich für ungewöhnliche Werke der Filmgeschichte interessiert, kommt an dem griechischen Streifen ohnehin nicht vorbei. „Singapore Sling“ ist kein Film, der immer wieder im Player landen wird, aber eine cineastische Erfahrung und Tabu-brechendes Zitate-Kino eines Ausnahme-Regisseurs, dem man sich trotzdem gerne aussetzen mag.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9513
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