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Eine junge Frau (Amira Casar) steht abseits der Tanzfläche eines Schwulenclubs und beobachtet die tanzenden Körper der attraktiven Männer, die sich jedoch nicht für die Frau interessieren. Auf dem Weg zur Toilette berührt sie auf der Treppe einen Mann (Rocco Siffredi), der sich nach ihr umdreht und die junge Frau wenig später davon abhält, sich am Klo die Pulsadern aufzuschneiden. Er bringt die Frau zu einer Apotheke, wo ihre Wunde versorgt wird und lässt sich wenig später auf ein fragwürdiges Geschäft ein. Sie bezahlt dem Mann eine nicht näher benannte Summe Geld, der als Gegenleistung die junge Frau in den folgenden vier Nächten betrachten soll um ihr einen unvoreingenommenen Einblick in die Gefühlswelt eines Mannes zu gewähren, der keine Frauen begehrt.
Er willigt auf das seltsame Experiment ein und besucht die Frau wie vereinbart in der ersten Nacht in ihrem abgelegenen Haus um seinen Teil der Vereinbarung einzuhalten. Die Begegnung der Beiden ist jedoch eher etwas frostig und in einem kleinen und spärlich eingerichteten Raum prallen schon bald sehr unterschiedliche Auffassungen von menschlicher Sexualität, Geschlechterrollen und der Anatomie des weiblichen Körpers aufeinander. Das ändert sich im Verlauf der nächsten Tage und die Beiden kommen sich nicht nur körperlich näher, sondern beginnen auch dahingehende Tabus und Grenzen in den Köpfen der Menschen zu durchbrechen, in dem sie die Funktion des weiblichen Unterleibes genauer unter die Lupe nehmen.
Die Filme der französischen Regisseurin Catherine Breillat sind ja oftmals keine einfachen Werke und auch das skandalträchtige Werk „Romance 2 – Anatomie einer Frau“ stellt den Zuschauer doch vor eine ziemliche Herausforderung. Mit expliziten Nahaufnahmen vom primären Geschlechtsorganen und der Einbeziehung unterschiedlichster Körperflüssigkeiten zählt das 2004 entstandene Drama auch sicher nicht zu den durchschnittlichen Geschlechter-Konfrontationen der Filmgeschichte, sondern bringt eine eher theoretische und theatralische Abhandlung unterschiedlicher Auffassungen als eine Art Zwei-Personen-Kammerspiel auf die Leinwand, bei der es auch wenig verwunderlich ist, dass die Reaktionen darauf größtenteils negativ ausgefallen sind.
„Anatomie de l’enver“, die Verfilmung ihres eigenen Romans „Pornocratie“ lässt ja neben der freizügigen Darstellung der weiblichen Vagina mit all ihren Funktionen auch sehr seltsame Dialoge auf den Zuschauer los, die darauf schließen lassen, das es sich bei Frau Breillat wohl um keine besonders große Romantikerin handelt. Die körperliche Vereinigung erscheint hier in diesem Streifen auch weniger Lust-betont, sondern eher als Akt der gegenseitigen Verachtung und die Verweise auf christliches Gedankengut und eine zutiefst männliche und dennoch verunsicherte Sichtweise auf die Sexualität der Frau wirken auf den aufgeschlossenen und liberalen Zuschauer wohl auch eher befremdlich.
Eine tiefergehende Charakterisierung bleibt auf beiden Seiten verwehrt, die Motive der Figuren weitgehend im Dunkeln und dass die Gedankenwelt des Mannes - was sich aber erst am Ende offenbart - auch noch von einer weiblichen Stimme vorgetragen werden, sorgt ebenfalls nicht dafür, dass sich die ganze Szenerie zugänglicher präsentiert. Breillat präsentiert Mann und Frau in dem Werk irgendwie auch als Gegner, deren Feindschaft in der Unterschiedlichkeit der Anatomie begründet ist und die sich dennoch für den Akt der Fortpflanzung zusammenfinden müssen. Doch abseits der Vereinigung bleibt das Gegenüber dennoch ein mysteriöses Wesen, dessen Auffassungen sich nicht mit dem des Anderen vereinbaren lassen.
Etwas seltsam im Zuge dessen ist aber auch die wohl weit verbreitete Meinung eines Großteils der Zuschauer, dass es sich bei der von Rocco Siffredi verkörperten Figur um einen Schwulen handeln soll, der ebenfalls recht dubioses Zeugs von sich gibt und auch aus seiner Verachtung gegenüber Frauen keinen Hehl macht. Seine Neigung wird aber nicht direkt bestätigt und als Homosexueller muss ich bei den abschätzigen Worten des männlichen Charakters da ja auch heftig widersprechen. Ich kenne keinen Schwulen, der seine Homosexualität mit der Angst vor der weiblichen Vagina oder Hass auf Frauen generell begründen würde und wohl auch kein schwuler Mann würde diese Dinge vollführen, die der Mann im Verlauf der konstruierten Handlung tut.
Wie in allen Fällen wäre es wohl interessant zu erfahren, was die Regisseurin über ihr Werk denkt und sollte der Ansatz wirklich der gewesen sein, dem männlichen Publikum die weibliche Sexualität näherzubringen, dann muss dieser wohl als gescheitert betrachtet werden. Abseits von seiner ohnehin schon sehr seltsamen Thematik bietet der Film ja dann auch sehr kontroverse Szenen, in denen Scheidensekret und Menstruationsblut eine große Rolle spielen und die Regisseurin auch weit über das Ziel hinausschießt. Anhand dieser offensichtlichen Provokationen aus weiblicher Hand ist es dann auch ein Leichtes, als (männlicher) Zuschauer den Film zu verteufeln und die vernichtenden Kritiken auf der IMDB sprechen ja dann auch eine mehr als eindeutige Sprache.
Ob man diese, mitunter doch sehr grausigen Szenen jetzt als mutig, bahnbrechend oder unnötig erachtet, bleibt wohl dem Auge des Zuschauers überlassen und eine blumige Aufzählung der gezeigten Dinge erspare ich mir auch lieber an dieser Stelle. Im Vergleich zu „Romance 2“ wirkt ja dann selbst Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ noch wie eine humorvoll-harmlose Gute-Nacht-Geschichte und im Grunde muss man aber dem Zuschauer wohl auch nicht jegliche Körperöffnung und ihre Funktion präsentieren, sodass sich dieser vorstellen kann, was man mit ihr und etwas Fantasie und Tatendrang so alles anstellen kann.
Auf der technischen Seite gibt es ansonsten aber wie üblich nicht viel zu bemängeln und das Tempo und die teils minimalistischen Settings und der spärliche Einsatz von Musik passt recht gut zur eigentlichen Thematik des Selbstfindung in Einbeziehung des eigenen Körpers. Dank dem Fleischfilmstar Rocco Siffredi gab es dieses Mal wohl auch keine Probleme mit Penis-Prothesen und Egos der männlicher Darsteller aus vorangegangenen Werken und für Amira Casar stand ohnehin ein Body-Double zur Seite, dass für Detailaufnahmen zur Verfügung stand. Darstellerisch fand ich beide sehr okay und die seltsamen Dialoge und die theatralische Inszenierung derselben sind ja bewusst gewählte Stilmittel der Regisseurin, sodass man diese auch nicht den Darstellern vorwerfen kann.
Wie schon die restlichen Werke der französischen Regisseurin kommt auch „Anatomie de l’enver“ von dem Label „Pierrot Le Fou“, die hier in Anlehnung an den nicht minder kontroversen „Romance“ für ihre VÖ den Titel „Romance 2 – Anatomie einer Frau“ gewählt haben. Die Bildqualität ist gut und neben der französischen Originalversion samt optionaler Untertiteln, gibt es auch eine gelungene Synchro, die keinen Anlass zur Kritik bietet. Leider hat es abermals kein Bonus auf die Scheibe geschafft und neben dem Wendecover ohne FSK-Flatschen gibt es dann auch nur ein paar Trailer zu anderen Werken aus der französischen Erotik-Drama-Ecke.
Unterm Strich bleibt ein sehr provokantes Drama, das nicht nur mit seinen expliziten Szenen einen Großteil des Publikums überfordern wird, sondern auch mit seinen komischen Dialogen und seiner antiquierten Sichtweise auf das weibliche Geschlecht für Verwunderung sorgt. Näher am Geschehen ist wohl nur noch der Gynäkologe und die seltsame Figurenzeichnung und Motive, die im Dunkeln bleiben, machen „Romance 2“ dann auch zu einem eher sehr speziellen Vergnügen. Eine Reaktion zwischen respektvoller Annerkenntnis und vollkommener Ablehnung ist wohl ebenfalls beabsichtigt und wer so wie ich der Meinung ist, dass Sex beiden Partnern gleichermaßen Spaß machen sollte und auch nicht ständig mit inneren Dämonen kämpft oder den weiblichen Körper anhand der Bibel erklären möchte, fällt wohl ohnehin nicht in die angepeilte Zielgruppe.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch endlich Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9341
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