project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Stefan (John Karlen) und Valerie (Danielle Ouimet) haben heimlich in der Schweiz geheiratet und befinden sich auf dem Weg nach England, wo Stefan seine frischvermählte Braut trotz etwaiger Einwände seiner Mutter vorstellen soll. Doch Stefan ziert sich und da kommt es ihm auch gelegen, als das Paar aufgrund einer Verspätung ihr Schiff versäumen und daher notgedrungen in einem luxuriösen Hotel in Ostende absteigen müssen, dass aufgrund der Nebensaison bis auf dem Portier (Paul Esser) menschenleer ist. Valerie drängt Stefan seiner Mutter jedoch telefonisch Bescheid zu geben, was dieser jedoch mit einem Trick verhindert.
Am gleichen Abend erreichen auch die mysteriöse Gräfin Elizabeth Bathory (Delphine Seyrig) und ihre Begleiterin Illona (Andrea Rau) das Hotel und während es bei dem jungen Paar zu den ersten Verstimmungen kommt, scheinen sich die neuen Gäste vor allem für die junge Valerie zu interessieren. Als Stefan beschließt noch ein paar Tage länger zu bleiben und dabei auch den Brügge zu besuchen, geraten die Beiden bei einem Spaziergang durch die Altstadt in eine Menschenmenge und werden Zeuge, wie eine ermordete Frau abtransportiert wird. Während Valerie schockiert reagiert, scheint Stefan von der schrecklichen Tat fasziniert und offenbart seinen Frischangetrauten auch schon bald auf anderem Wege seine sadistische Ader.
Valerie ist vom zunehmend seltsamen Verhalten ihres Mannes schockiert und auch das Telefongespräch mit der vermeintlichen Mutter ereignet sich anders als geplant. Es kommt zu einem furchtbaren Streit, bei dem Stefan gegenüber seiner frischangetrauten Gattin auch handgreiflich wird. Valerie flüchtet drauf Hals über Kopf aus dem verlassenen Hotel und wird nur durch das beherzte Einschreiben von Elizabeth zum Bleiben überredet. Illona verführt im Auftrag der Gräfin Stefan und obwohl es dabei zu einem schrecklichen Unglück kommt, ist es abermals Elizabeth, die den jungen Leuten mit Rat und Tat zur Seite steht. Valerie beschließt ihren untreuen Gatten zu verlassen um bei der Gräfin zu bleiben, doch dazu muss noch ein Hindernis aus dem Weg geräumt werden…
Geht es um unkonventionellen Euro-Horror fällt die Sprache früher oder später unweigerlich auf Harry Kümels 1971 gedrehten und außergewöhnlichen Beitrag „Blut auf den Lippen“, der sich in vielerlei Hinsicht und wohltuend von den üblichen Vampir-Filmen seiner Entstehungszeit abhebt. Nicht nur, dass der Streifen weitgehend auf die üblichen Genre-Zutaten und plakative Momente verzichtet, ist „Les lévres rouges“ auch dem Arthouse-Drama weit näher als dem Horror und begeistert neben stimmigen Locations in dem Küstenort Ostende vor allem durch eine wunderbar elegante Performance von Delphine Seyrig.
„Blut auf den Lippen“ ist dann auch ein ganz besonderer Film, der sich zwar in der Ausgangsidee beim Vampirfilms bedient, aber bei der Umsetzung dann konsequent der Thematik bzw. der üblichen Zutaten verweigert. So sucht man spitze Zähne und Fledermäuse vergeblich und der Streifen legt seinen Schwerpunkt statt Spannung und Horror auf das ambivalente Verhältnis der Protagonisten zueinander, streift Selbstfindungs-, Feminismus- und Queer-Thematik und bietet dabei vor allem wunderbar fotografierte Bilder der verlassenen Hafenstadt, die auch perfekt zur Verlorenheit des portraitierten und frisch-vermählten Paares passt, um das die ungarische Gräfin wie eine Spinne ihr Netz geworfen hat und dennoch paradoxerweise nicht als Bösewicht positioniert ist.
Die Darstellung von Delphine Seyrig ist ja auch schlicht und ergreifend sensationell und mit ihrer eleganten und aristokratischen Erscheinung wie nicht von dieser Welt, mit der sie auch schon Alain Resnais „Letztes Jahr in Marienbad“ bereichert hat, wirkt „Blut auf den den Lippen“ auch fast schon wie dessen morbide Fortsetzung, die den Zuschauer ebenfalls mit durchkomponierten Bilder und mysteriösen Inhalten fasziniert. Ebenfalls wunderbar ist Andrea Rau als ihre Begleiterin Illona und die zerbrechlich erscheinende Danielle Ouimet als Valerie, wogegen die männlichen Darsteller wie John Karlen („Dark Shadows“ ) und der deutsche Paul Esser trotz ebenfalls sehr guter Leistungen ja fast schon auf verlorenen Posten agieren.
Das Schöne an dem unkonventionellen Werk ist aber zweifelsfrei auch seine Vielschichtigkeit, die sich nicht nur jeder Kategorisierung entzieht, sondern individuell auf jeden Zuschauer irgendwie anders zu wirken scheint. Sieht man „Blut auf den Lippen“ zum ersten Mal, ist man vor allem von dem ruhigen Erzähltempo und dem wunderbaren Szenario überrascht, das die Handlung des Streifens auch wie einen sinnlichen Traum erscheinen lässt. Kümels Interpretation der Geschichte eines weiblichen Vampirs funktioniert auch eher als rätselhaftes und poetisch erzähltes Märchen für Erwachsene, wie z.B. auch Jean Rollin seine Filme inszenierte, selbst wenn der Einsatz von freizügigen Szenen hier weit weniger selbstzweckhaft erscheint und entfaltet mit jeder Sichtung neue Facetten der Geschichte.
Erst gegen Ende des ruhig erzählten und melancholischen Streifens schlendert der Streifen in Richtung Horror-Genre, in welches der vielschichtige Streifen oftmals und meines Erachtens auch zu Unrecht gesteckt wird. Dem deutschen Verleih war der Film wohl insgesamt zu ruhig, sodass dieser kurzerhand das Ende an den Anfang der deutschen Fassung gepackt hat und dem Werk auch in Sachen Dialoge erleichterte. Auf der anderen Seite der Erde war „Blut an den Lippen“ hingegen sehr erfolgreich und zählt so auch zu den erfolgreichsten belgischen Werken. Seltsamerweise hat es ja auch in Europa länger gedauert, bis das Werk entsprechend gewürdigt wurde und obwohl der Streifen eine eingeschworene Fangemeinde hat, so gilt es das Werk für die breitere Masse hierzulande wohl noch zu entdecken.
Dazu eignet sich die nun erschienene Scheibe da Labels „Bildstörung“ auch hervorragend, die das Werk nun in seiner ganzen Pracht und in der knapp 100minütigen internationale Fassung bringen und auf den zweiten Silberling auch noch die deutsche Kinofassung gepackt haben. Dort befindet sich mit einem Interview mit Harry Kümel, der über seine Anfänge vom Super-8-Film, seinen Werken und der Restaurierung von „Blut an den Lippen“ erzählt. Weiters gibt es eine von ihm kommentierte Bildergalerie, weitere Trailer, sowie ein interessantes Booklet mit einem Text vom Paul Poet, der sich nach ruppigem Start als durchaus lesenswert entpuppt und einem weiteren von Björn Eichstädt, der sich mit Kümels Werken im Allgemeinen beschäftigt.
Unterm Strich hat man mit der Katalognummer „Drop Out 020“ wohl die definitive Fassung von „Blut an den Lippen“ in Händen, in der der wunderbare und elegische Streifen mit toller Bild- und Tonqualität auch sein ganzes Potential entfalten kann. Ein erotisch angehauchter Brückenbauer zwischen europäischen Autorenkino und außergewöhnlichen Gruselfilm, der dann auch so viel mehr ist, als er auf den ersten Blick scheint und auch mit jeder Sichtung immer weiter wächst. Ist man dem Film und der Originalstimme von Delphine Seyrig erst einmal verfallen, gibt es für den Zuschauer ohnehin kein Zurück mehr und dennoch kann ich mir kein schöneres Vergnügen vorstellen, als an besonderen Abenden des Lebens dem Charme eines derartig grandiosen Werkes immer wieder zu erliegen.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9400
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