project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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New York City, die Millionenstadt an der Ostküste der Vereinigten Staaten präsentiert sich seinen 8 Millionen Einwohnern und jährlich ca. 50 Millionen Besuchern heutzutage als weltoffene, saubere und kulturell vielseitige Stadt, in der ohne Berührungsängste scheinbar alles friedlich zusammenkommt. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, trifft auch an jeder Ecke auf Musiker, Künstler und sonstige kreative Geister, die den „Big Apple“ nicht nur ihren ganz eigenen Stempel aufdrücken, sondern auch zu einem Ort verwandeln, in dem zu jeder Tages und Nachtzeit ein positiver Vibe und eine nicht enden wollende Vielfalt zu spüren ist.
Ende der Siebziger sah das ja noch anders aus und neben wirtschaftlich schlechten Zeiten nach dem Vietnamkrieg und dem Aufstreben von rechtsgerichteten Politikern, war die Stadt und ihre fünf Bezirke von Kriminalität, Drogenkonsum und Rassenunruhen geprägt. Der berühmte Time Square ein berüchtigtes Rotlichtviertel, Midtown ein gefährliches Pflaster und wo sich heute an der „Lower Eastside“ die modernen Wolkenkratzer türmen, standen heruntergekommene und desolate Mietshäuser, die für kleines Geld an die Menschen vermietet wurden, die ohne Geld und Aussicht auf Jobs, aber mit viel Hoffnung aus allen Richtungen in die Stadt strömten.
New York City wurde jedoch auch zum Auffangbecken für junge Kreative, Musiker und Künstler, die schon bald Lower Manhattan bevölkerten und voller anarchistischem Tatendrang begannen, ihre Vorstellung von Kunst in Form von Musik, Romanen, Bildern und auch Super-8-Filmen umzusetzen, die zu dieser Zeit recht günstig zu haben waren. Es entstand eine Underground-Bewegung, der die Bezeichnung „No Wave“ bzw. „No Wave Cinema“ verliehen wurde und mit Tabu-brechenden und grenzüberschreitenden Inhalten zusammengefasst als Teil des „Cinema of Transgression“ auch Filmemacher wie Amos Poe, Jim Jarmusch, Mick Zedd hervorbrachte und so als wichtiger Teil des amerikanischen Undergrounds in die Historie der Filmlandschaft einging.
Die 2010 entstandene Dokumentation „Blank City“ der französischen Regisseurin Celine Danhier beleuchtet mit zahlreichen Interviews mit Zeitzeugen, Bildern aus Privatarchiven, rebellischer Musik und unzähligen Ausschnitten aus den damals entstandenen Werken die zwischen 1977 und 1982 entstandene Szene, die ursprünglich als parodistische Gegenbewegung zur aufkommenden New-Wave-Bewegung entstanden ist, die vor allem in Europa, wie z.B. durch die „Movida Madrilena oder NDW, stetig populärer wurde. Die kurzweilige Doku beleuchtet dabei aber nicht nur die Macher, sondern wirft dabei auch einen interessanten Blick auf das nihilistische New York der späten Siebziger-Jahre, das mit der aktuellen Lage der Weltstadt jedoch kaum noch etwas gemein hat.
Die zahlreichen Protagonisten der Szenen erzählen auch recht süffisant von den Anfängen dieser Szene, in denen die kreativen Geister in wirtschaftlich schlechten Zeiten und von Warhol und Konsorten inspiriert getreu dem Motto und Slogan „Go out and do it!“ zusammenfanden und mit viel Ambitionen, jedoch ohne finanzieller Mittel oder entsprechender Ausbildung oder Ausrüstung begannen, ihre Auffassung von Punkmusik, Film und Kunstempfinden für die Gesellschaft festzuhalten. Der Film beschreibt auch wie aus semi-dokumentarischen, trashigen und experimentellen Kurzfilmen, die vor allem dem konservativen Mainstream zum Feind erklärten, langsam eine ganze Welle von Filmen entstanden, die zunehmend den Nerv ihrer Zeit trafen, auch zunehmend auf größeres Publikumsinteresse stießen und deren Macher sich mit zunehmender Kommerzialisierung ihrer Produkte und Ansprüchen letzten Endes selbst ein Bein gestellt haben.
Anhand von launiger Anekdoten aus dem Leben von Filmemacher wie Amon Poe, Eric Mitchell, Michael Oblowitz, John Waters und Jim Jarmusch, sowie deren Darsteller wie z.B. Debbie Harry, Lydia Lunch oder auch Steve Buscemi zeichnet die französische Regisseurin auch ein spannendes Bild und lässt den rebellischen und anarchistischen Geist und DIY-Mentalität vergangener Tage für 90 Minuten wieder aufleben. Mit relativ hohen Tempo, wilden Montagen, zahlreichen Ausschnitten und vielen Gesichtern von damals und heute schafft Danhier ein würdiges und dennoch nicht gänzlich ausgeglichenes filmisches Denkmal über diese vielfältige Zeit, die sich imho dann auch eher an die Kenner der Materie und Fans richtet.
Da ich aber nicht aus der Punk- oder Rock-Ecke komme und amerikanische Experimental-Werke bei mir auch nicht täglich am Programm stehen, muss ich ja auch ehrlich gestehen, dass mit die meisten Regisseure und deren Werke auch mangels eingeschränkter Verfügbarkeit bislang kein Begriff waren und auch Darsteller wie Lydia Lunch, John Lurie und James Chance kannte ich durch Indie-Vergangenheit maximal vom Namen her. Dennoch scheint es gerade in der Kiste des „No Wave Cinema“ eine Vielzahl von wüsten und wilden Filmen zu geben, deren Entdeckung man als aufgeschlossener Filmfreund wohl sicherlich nicht bereuen würde.
„Blank City“ macht auch irgendwie große Lust darauf und erfreut den interessierten Zuschauer mit fast schon überbordenden Mischung von persönlichen Statements und Ton- und Bildinformationen, die zwar auf recht gelungene und temporeiche Weise miteinander kombiniert werden aber auch den Eindruck nicht völlig entkräften können, dass hier manchmal einfach zu viel an Information hineingepackt wurde. Themen wie der hedonistische Lebensstil inklusive übermäßigen Alkohol- und Drogenkonsum, sowie die zunehmende Aids-Problematik, die für den Niedergang der Szene aber sicherlich ebenfalls maßgeblich verantwortlich waren, werden eher nur am Rande gestreift um den positiven Grundton der Doku nicht zu schmälern. Zu mancher Begebenheit und Figur hätte man sich vielleicht auch eine tiefergehende Erklärung gewünscht und beim allzu flotten „Name-Dropping“ kann man auch durchaus mal etwas den Überblick verlieren.
Die DVD aus dem Hause Rapid Eye Movies bringt die Dokumentation aus dem Jahre 2010 im englischen Originalton und recht guter Bildqualität, wobei diese mit zahlreichen Ausschnitten von Super-8-Filmen und Archivmaterial natürlich schwankend ausgefallen ist. Im Bonusmaterial gibt es neben entfallenen Szenen und „Outtakes“ auch ein Interview mit Céline Denhier, die über ihren ungewöhnlichen Weg zum Film und ihrer Leidenschaft für den New-Yorker-Ableger des „Cinema of Transgression“ erzählt. Abgerundet wird der mit einer FSK-12-Freigabe versehene Streifen dann noch mit einem doppelseitig-bedruckten Poster mit informativen Texten, Wendecover sowie Kino-Trailer.
Unterm Strich bleibt ein interessantes, kurzweiliges und wohlwollendes Zeitdokument über die bewegte Zeit einer Kunst- und Kulturszene von Manhattan der Jahre 1977 – 1982, das sich selbst das Label „No Wave“ verpasste. Mit anarchistischer Punk-Attitüde, Lust auf Grenzüberschreitung und der Lust am Ausprobieren entstanden wilde Werke, die dank Vernetzung, Vermarktung und neuer Vertriebswege die Basis des amerikanischen Indiependent-Kinos markierten und so bekannte Gesichter wie Jim Jarmusch und Steve Buscemi hervorgebracht hat. Zwar sind diese Zeiten nun schon lange vorüber und die ehemalige Wirkungsstätte hat sich seitdem ebenfalls ziemlich gewandelt – dank „Blank City“ bekommen aber auch Zuspät-Geborene und andere Leutchen einen Einblick in einen kreativen Sündenpfuhl, der heutzutage in der Form wohl nicht mehr möglich wäre.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9369
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