project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Geht es um die Beurteilung von jugendlichen Straftaten und Straftätern, teilt sich die Bevölkerung meist in zwei Lager. Während die Konservativen oftmals - ausgelöst durch medial breit getretenen Einzelfällen - eine strenge Bestrafung nach Erwachsenenrecht fordern, sehen die Liberalen diese jugendliche Straftäter selbst als Opfer und fordern therapeutische Hilfe statt Gefängnis. Auch das Gesetz tut sich bei der Beurteilung derartiger Fälle oftmals etwas schwer und vor Vollendung des 14. Lebensjahr gilt in Deutschland prinzipiell jede Person als strafunmündig, wobei es für straffällig gewordene Personen zwischen 14 und 17 Jahren auch ein eigenes Jugendgerichtsgesetz gibt, dass sich vom Erwachsenenstrafrecht unterscheidet.
In Russland ist die Lage da ein wenig anders und für minderjährige Straftäter gibt es eigene Kindergefängnisse und Heime, in denen Kinder und Jugendliche mit militärischen Drill, Sport, ständiger Aufsicht und Dauerbeschäftigung wieder auf den richtigen Weg gebracht werden sollen. Bereits ab 11 Jahren ist man in Russland strafmündig und kann bei schweren Vergehen auch bis zu drei Jahren Gefängnis verurteilt werden. Die in Russland geborene Fernsehjournalistin und Dokumentarfilmerin Alexandra Westmeister bietet mit ihrer 2007 in ihrem Heimatort entstandenen Streifen „Allein in vier Wänden“ einen Einblick in den Alltag eines dieser zahlreichen Kinder- und Jugendgefängnisses, in denen Kinder im Alter zwischen 11 und 16 Jahren ihre oftmals mehrjährigen Strafen absitzen.
Obwohl die Stadt Tscheljabinsk mit über ein Millionen Einwohnern als „Gulag“ und Produktionsort der sogenannten „Stalinorgeln“ ja eine eigentlich eher unrühmliche Historie aufzuweisen hat, ist die Stadt am Ural wohl noch am ehesten durch den Absturz eines Meteors im Februar 2013 bekannt, dessen Auswirkungen mehrere hundert Menschen verletzte. Doch die Stadt in dessen Umgebung Armut und Arbeitslosigkeit omnipräsent sind, ist aber auch als Gefängnisstadt bekannt und Alexandra Westmeier hatte die Möglichkeit in dem Kinderknast zu drehen und lässt unkommentiert diese Kinder zu Wort kommen und bietet nebenher auch einen Einblick in das Umfeld der Insassen, das dazu führte, dass diese überhaupt erst mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind.
Der 14jährige Tolja, sitzt bereits einige Zeit im Knast, hat im Suff und mit seinen Freunden einen weiteren Jungen brutal mit einem Ziegelstein erschlagen und erzählt relativ offen darüber, dass er als Mörder auch von anderen gemieden wird. Der um einige Jahre jüngere Ljoscha ist noch nicht so abgeklärt, hat zum Überleben Dinge des täglichen Bedarfs geklaut und ist als frisch angekommener und mit der Situation vollkommen überforderter Insasse voller Heimweh und beweint auch die Tatsache, dass er sich nicht einmal von seiner Mutter verabschieden konnte. Dabei werden die Urteile von den Gerichten scheinbar willkürlich gefällt und anstatt die Ursachen der Kriminalität zu bekämpfen, werden auffällige Kinder einfach weggesperrt.
Obwohl ein Kinderknast auch sicher kein geeignetes Umfeld für eine Kindheit ist, wird im Verlauf der interessanten Doku aber rasch klar, dass dieser Ort in Zucht und Disziplin an erster Stelle stehen, immer noch besser ist, als das, was die Jugendlichen außerhalb dieses Ortes erwartet. In ebenfalls unkommentierten Bildern zeigt die Regisseurin ja auch das Umfeld der Jungs, das von bitterer Armut, häuslicher Gewalt und Perspektivenlosigkeit geprägt ist und in Kombination mit Alkohol und Drogen auch dafür sorgt, dass 91 % der Jugendlichen nach ihrer Entlassung und ihrer Rückkehr ins „alte Leben“ früher oder später wieder in staatlicher Obhut, dieses Mal in Form eines Erwachsenengefängnisses landen.
Alexandra Westmeisters Augenmerk ist dabei nicht auf die strengen Erziehungsmaßnahmen oder Kontrolle gelegt und zeigt auch nur ganz selten Aufseher oder sonstiges Personal der Einrichtung, sondern lässt die Kinder zu Wort kommen, die auch recht unbedarft über ihr Leben und ihrer Taten erzählen und zeigt diese bei ihrer täglichen Routinen oder in Momenten, wo sie einfach Kind sein können. Diese Bilder montiert Alexandra Westmeister zu Bildern der Umgebung und lässt neben Verwandten auch eine Angehörige der Opfer zu Wort, die dann auch eine ganz andere Sichtweise des Verbrechens an den Tag legt.
Und so schwankt man als Zuschauer dann auch zwischen Mitleid, Ungläubigkeit und Abscheu, wenn man einerseits einen unschuldig wirkenden Jungen vor sich sieht, der aber im Drogen- und Alkoholrausch aus Rache das Gesicht eines Gleichaltrigen zertrümmert hat und offensichtlich die Tragweite seiner Tat auch noch gar nicht erkennen kann. Ungewöhnlich muten auch Statements von Kindern an, die er in diesem Ort gelernt haben, Konflikte mit Worten zu lösen, anstatt gleich blindlings zuzuschlagen. Das sind Momente, die in der zweifelfrei verstörenden Doku den Zuschauer mehr als nachdenklich stimmen und erkennen lässt, dass auch diese Kinder mit Gewalt aufgewachsen sind, nie richtig Kind sein konnten und auch gar nichts anderes kennengelernt haben, als Konflikte mit Brutalität zu lösen.
CMV-Laservision bringt die interessante und von MDR, WDR und Arte Co-produzierte und mit dem Prädikat „Wertvoll“ versehenen Doku, die mich persönlich auch an stark Ulrich Seidl und dessen Werke erinnert nun nochmals auf DVD und somit für alle, die im Februar die Ausstrahlung spätnachts versäumt haben. Die Bild- und Tonqualität ist für eine Doku sehr gut und neben dem russischen Originalton gibt es auch deutsche Untertitel, die stets gut lesbar sind. Als Bonusmaterial gibt es jedoch nur Trailer zum weiteren Titeln aus dem Programm des Berliner Labels, dem Originaltrailer, sowie ein Wendecover ohne FSK-Logo, die dem Streifen eine Freigabe ab 12 Jahren bescheinigt haben.
Unterm Strich bleibt eine berührende, wie auch schonungslose Doku die ohne falsche Sentimentalitäten das Leben jugendliche Straftäter und Problemkinder portraitiert, die unter ständiger Überwachung und straffen Tagesplan ihre Strafen absitzen und sich auf unterschiedliche Weise mit ihrer Situation und Schuld arrangieren. Mit stimmigen Bildern werden die unaufgeregt erzählten Statements der Hoffnungslosigkeit untermalt und ergeben in der Gesamtheit das eigentlich recht düstere Bild einer Gesellschaft, die ihre Problemkinder lieber für Jahre von der restlichen Gesellschaft isoliert, als grundlegende Dinge zu ändern um den Kindern eine Zukunft zu ermöglichen, die sie auch verdient hätten.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9299
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