project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Ein von einem überschwänglichen Postboten (Ninetto Davoli) überbrachtes Telegramm kündigt die Ankunft eines Fremden an und wirbelt daraufhin das Leben des Fabrikanten Paolo (Massimo Girotti) und seiner Familie gehörig durcheinander. Der charismatische Fremde verbringt die sommerlichen Tage in den geräumigen Häusern der angesehenen und wohlhabenden Familie mit dem Lesen von Büchern, rettet die lebensmüde und tiefreligiöse Hausangestellte Emilia (Laura Betti) vor dem Freitod, verführt diese und nacheinander auch die restlichen Mitglieder der angesehenen Familie. Als der mysteriöse Mann eines Tages wieder abreist, hinterlässt er eine Leere, die für die Zurückgebliebenen zur Qual wird.
Emilia verlässt die Familie um in ihrer alten Heimat religiöse Wunder zu verbringen, während die Tochter Odetta (Anne Wiazemsky) in einem Starrkrampf verfällt und in der Psychiatrie eingeliefert wird. Der Sohn Pietro (Andrés José Cruz Soublette) versucht sein Glück als abstrakter und selbst-geißelnder Action-Painter, während Mutter Lucia (Silvana Mangano), die aus ihrer gutbürgerlichen Lethargie gerissen wurde, ihr Glück in wahllosen Männerbekanntschaften sucht. Am schwersten trifft der Verlust jedoch Paolo, der tief in seiner Grundfesten erschüttert seine Fabrik den Arbeitern schenkt, sich am Mailänder Hauptbahnhof seiner Kleider entledigt und sich nackt auf den Weg durch eine spirituelle Reise in die Wüste aufmacht.
Der am 2. November 1975 unter mysteriösen und nie gänzlich geklärten Umständen ermordete Regisseur, Schriftsteller und Publizist Pier Paolo Pasolini war Zeit seines Lebens eine umstrittene Person, die mit seinem kontroversen Schaffen gleich mehreren einflussreichen Mächten im Staat Italien ein Dorn im Auge waren. In seinen Filmen, Romanen und Publikationen beschäftigte sich der offen homosexuell lebende Mann mit Themen wie Religion, politische Macht, Kapitalismus und dem gutsituierte und bornierte Bürgertum, dass er nach eigener Aussage abgrundtief verabscheute und dem er mit recht drastischen Werken einen Spiegel vorhielt.
Neben seinem wohl bekanntesten Werk „Die 120 Tage von Sodom“, in dem er in schwer erträglichen Bildern eindringlich den Missbrauch von Gewalt durch staatliche und kirchliche Würdenträger dokumentiert und wohl nicht wenigen Zuschauern die Lust auf das weitere Output des strittigen Regisseurs verleidet hat, bietet die Filmografie Pasolinis aber noch viele weitere Werke, deren (Wieder-)Entdeckung sich lohnt. Der rätselhafte „Teorema“, in dem Pasolini den Kosmos einer gutbürgerlichen Familie in sperriger Erzählweise analysiert und auseinandernimmt ist nicht minder provokativ ausgefallen und konfrontiert den Zuschauer zwangsläufig mit Themen wie Religion, Sexualität und Erlösung, die den Zuschauer weit länger beschäftigen, als der in der schönen Bildern erzählte Streifen andauert.
Das Werk aus dem Jahr 1968 beginnt mit dokumentarisch anmutenden Bildern und ein Interviewer stellt den versammelten Arbeitern einer Mailänder Fabrik die Frage, was sie davon halten würden, wenn ihnen der Kapitalist die Firma schenken würde. Dieser erhält später in seinem Heim den Besuch von einem charismatischen Besucher, mit dessen Ankunft der Film von Sepia-Optik zur Farbe wechselt. Weder Name, Herkunft noch Ziel des mysteriösen Besuchers werden näher erläutert und dennoch verändert die Zeit, die der gebildete Mensch im familiären Umfeld des Fabrikbesitzers verbringt, das Leben aller Beteiligten auf recht drastische Weise.
"Teorema" ist dabei recht sperrig erzählt, metaphorisch und strotzt vor Symbolik, die Personen und Handlung auch vielschichtige Weise interpretierbar machen. Jede der steht wohl sinnbildlich für eine bestimmte Bevölkerungsschicht, deren Leben, Streben und Wertvorstellungen durch die Gesellschaft in der sie sich bewegen geformt wurde und durch den Einfluss des mysteriösen Mannes eine unumkehrbare Wandlung erfahren. Ein Zurück scheint es für die Figuren auch nicht zu geben und wer sich erst einmal innerlich gegen die Normen der Gesellschaft gewandt hat, scheint es in selbiger auch keinen Platz mehr zu geben und der Betroffene endet wahlweise in der Isolation oder Psychiatrie, sucht Zerstreuung oder auf sonstige Weise nach einer Möglichkeit, sein Leben weiter zu führen.
Es dürften schon sehr viele persönliche Einflüsse und Anschauungen in dem Werk gelandet sein, dass Pasolini zuerst auch für die Theaterbühne konzipierte, später in Romanform und letztendlich auf die große Leinwand brachte. In Venedig uraufgeführt wurde das Werk mit seiner scheinbar hypnotischen Erzählweise auch rasch zur Zielscheibe von kirchlicher und staatlicher Kritik und war zwischenzeitlich sogar in seinem Heimatland verboten. Dabei ist der Streifen alles andere als plakativ und die Dialog-arme Inszenierung, in denen Blicke, Gesten und die Räume in denen sie sich bewegen, mehr über die Figuren aussagen, als sie selbst, wirken auf den ersten Blick wenig provokant.
Trotzdem verfehlt „Teorema“ seine Wirkung nicht und da der Streifen auf grelle Effekte nahezu verzichtet und auch das Thema Homosexualität zwar andeutet, aber nicht gezeigt wird, nimmt Pasolini etwaigen Kritikern auch rasch den Wind aus den Segeln. Auch die Thematik der religiösen Wunder wird ohne jegliche Form der Wertung gezeigt und was
man in der Figur des Besuchers zu erkennen glaubt, bleibt dann ebenfalls dem jeweiligen Zuschauer überlassen und vom Laster, Wissen und Erleuchtung bis hin zum wiedergekehrten Heiland ist wohl jegliche Interpretation denkbar.
Darstellerisch ist der Streifen dann auch sehr gut und der englische Darsteller Terence Stamp, der im gleichen Jahr auch in Fellinis „Toby Dammit“ Beitrag zum Episoden-Horror „Außergewöhnliche Geschichten“ zu sehen war, agiert als zentrale Figur auch sehr charismatisch. Nicht minder intensiv ist die Darstellung von Laura Betti als Emilia, die scheinbar stoisch ihr groteskes Schicksal erträgt und ebenfalls grandios sind auch Silvana Mangano als gelangweilte Dame des Hauses und Massimo Girotti, der gegen Ende seine innere Zerrissenheit und Hilflosigkeit auch entsprechend glaubwürdig verkörpert.
Das DVD-Doppelpack aus dem Hause CMV-Laservision ist ebenfalls sehr schick geraten und bringt das anspruchsvolle Werk für die aufgeschlossene Arthouse-Fraktion in guter Bildqualität. Der Ton ist vielleicht nicht gänzlich geglückt und bietet auf der deutschen Tonspur bzw. in einer kurzen Szene einen Musik-Aussetzer, was zwar etwas ärgerlich ist, aber Filmfans im Gegensatz zum Inhalt des Filmes aber sicher keine schlaflosen Nächte bereiten sollte. Neben einer hübschen Verpackung in Leder-Optik und samtigen Innenleben gibt es auch noch ein Booklet mit kurzem Text von Silvia Szymanski.
Auf der zweiten Scheibe finden sich neben einer Trailershow zu weiteren Filmen aus der anspruchsvollen Ecke des Berliner Labels zwei Kurzfilme der italienischen Dokumentarfilmerin Roberto Torre aus dem Jahre 2009, die sich direkt und indirekt mit Regisseur beschäftigen. In „Die letzte Nacht des Pier Paolo Pasolini“ interviewt die Regisseurin den für die Tat verurteilen Mörder und damals noch minderjährigen Stricher Pino Pelosi, der in den vergangenen Jahren bereits mehrfach seine ursprüngliche Aussage geändert hat und abermals die These des Auftragsmordes untermauert und zwei mittlerweile verstorbene Personen der Tat beschuldigt.
Die zweite Kurz-Doku mit dem Titel „I Tiburtino Terzo“ handelt hingegen über das Leben von Straßenjungs, schweren Kalibern und einem Stricher aus dem Problemviertel am Stadtrand von Rom aus dem der Mörder Pelosi stammt, die in einzelnen und unkommentierten Statements ihr bewegtes Leben beschreiben. Dieses ist eher mäßig interessant und erst gegen Ende macht die ganze Sache eher ungelenk einen Schwenk in Richtung Pasolini, wenn Regisseurin Torre ihre Interview-Partner über Pasolini befragt. Da es sich zumeist um jugendliche Interviewpartner handelt, sind auch die Antworten wenig erschöpfend, sodass diese Doku insgesamt eher nicht so der Bringer ist.
„Teorema“ gilt nicht nur als Pasolinis persönlichstes und bestes Werk, sondern ist auch ein interessantes und verfilmtes Rätsel voller Symbolik, eindrucksvoller Momente und grandioser Schauspieler, die den Zuschauer im Verlauf der immer grotesker werdenden Handlung zwangsläufig mit existenziellen Fragen konfrontiert. Obwohl wenige Worte gesprochen werden und die Handlung im Grunde alles andere als zugänglich ist, wirkt jede einzelne Szene wohlüberlegt, durchkomponiert und sinnvoll und bietet ein Gesamtergebnis, das man als Fan derartiger Werke keinesfalls entgehen lassen sollte. Pasolinis Streifen ist jedenfalls grandios und die VÖ ist im Großen und Ganzen ebenfalls schön ausgefallen, sodass diese trotz kleinerem Tonfehler und dem eher durchschnittlichen Bonusmaterial und leicht erhöhtem Preis durchaus empfohlen werden kann.
Beitrag geändert von jogiwan (06.February 2013 11:51:52)
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9131
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