project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Der junge Henry (Michael Rooker) lebt gemeinsam mit seinem Freund Otis (Tom Towles), den er von einem Gefängnisaufenthalt kennt, in einer heruntergekommenen Wohnung in einem Vorort von Chicago. Während der vorbestrafte Mörder tagsüber einer geregelten Arbeit nachgeht, streift er in seiner Freizeit mit dem Auto durch die Gegend und tötet vorwiegend alleinstehende Frauen und Prostituierte. Das triste Leben der beiden ändert sich, als Otis eines Tages überraschend Besuch von seiner Schwester Becky (Tracy Arnold) erhält, die sich von ihrem gewaltbereiten Mann getrennt hat. Diese übernimmt nicht nur die Pflichten im Haushalt, sonder findet auch rasch Gefallen an dem introvertierten Wohnungskollegen ihres Bruders, mit dem sie eine verpfuschte Kindheit verbindet.
Als Otis und Henry eines Abends auf Anraten von Becky ein paar Drinks kippen, holen sich die Männer zwei Prostituierte vom Straßenstrich, die Henry wenig später im Auto mit bloßen Händen ermordet. Otis ist von der Kaltblütigkeit seines Mitbewohners nur kurzfristig irritiert und hilft Henry aus Angst von der Polizei erwischt zu werden, die beiden Leichen zu entsorgen. Da die beiden niemand beobachtet hat, wird Otis von Henry zu weiteren Taten angespornt und die beiden ziehen fortan gemeinsam los um Frauen und ganze Familien zu ermorden. Becky ahnt jedoch nichts von den grausamen Taten und träumt bereits von einer gemeinsamen Zukunft mit Henry…
Obwohl ich mich seit früher Jugend für Horrorfilme und sonstig-abseitiges Filmgut aus allen Ecken der Erde interessiere erfolgte meine erste Begegnung mit „Henry – Portrait eines Serienkillers“ in dem Streifen „Liebes Tagebuch…“ des italienischen Regisseurs Nanni Moretti. In dem autobiografisch angehauchten, sehr persönlichen und in Cannes prämierten Streifen, fährt der als Zweckoptimist bekannte Moretti mit dem Motorroller durch das sommerliche Rom und besucht unter anderen auch eine spärlich besuchte Kinovorführung von „Henry – Portrait of a Serial Killer“ und ist nicht nur angesichts der „sinnlosen“ Gewalt auf der Leinwand sichtlich schockiert.
Die Szene in der Moretti mit gesenktem Kopf und der Hand vor Augen im Kinosaal sitzt und sich in Gedanken bitter darüber beklagt, wie auch nur ein Kritiker etwas Positives über dieses gewaltverherrlichende Machwerk verlautbaren kann ist jedenfalls nachhaltig im meinem Gedächtnis geblieben. Irgendwie kann man Moretti seine offensichtlich sehr extreme und negative Reaktion auf den amerikanischen Low-Budget-Film aus dem Jahre 1986 auch gar nicht verübeln und John McNaugthon hat mit seinem Streifen auch ein Werk geschaffen, dass mit seiner Emotionslosigkeit und schonungsloser Gewaltdarstellung auch über 25 Jahre nach Erscheinen noch immer schockiert.
Der Film basiert lose auf den Geständnissen des Serienmörders Henry Lee Lucas und dessen zeitweiligen Komplizen Ottis Toole und zeigt in sehr nüchternen und unkommentierten Bildern Szenen aus dem Leben zweier Serienmörder. Verstörend ist dabei zweifellos die Art und Weise, wie sachlich, nüchtern und unterkühlt in dem Low-Budget-Streifen die Taten der Verbrecher dargestellt werden. Das Morden wird hier von den beiden Männern mit einer Selbstverständlichkeit präsentiert, dass es wenig verwunderlich ist, dass der Streifen bei der breiten Masse, Zensur und sonstigen Gruppierungen auf wenig Gegenliebe stieß.
In Deutschland war „Henry – Portrait eines Serienkillers“ auch lange Jahre indiziert und in der Begründung aus dem Jahre 1994 ist zu lesen, dass der Inhalt des Streifens dazu geeignet ist „Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren“ sowie „sittlich zu gefährden“. Der Streifen wurde auch erst 18 Jahre später im August 2012 nach Betreiben des Labels Bildstörung und laut Facebook-Eintrag recht knapper Entscheidung aus der Liste der jugendgefährdeten Medien wieder gestrichen um diesen Klassiker des amerikanischen Indiependent-Films auch erstmalig rechtlich geklärt und ungekürzt im deutschen Sprachraum zu veröffentlichen.
„Henry“ ist zwar wahrlich kein angenehmer Film, aber auch besser als sein weitläufiger Rufm der ihm vorauseilt und überrascht schon von Beginn an mit einem ungewöhnlichen Einstieg in die Welt des Serienkillers. Statt exzessiver Gewaltdarstellung gibt es Bilder von Opfern, über die akustisch der Todeskampf gelegt wird und mit Bildern des Serienkillers auf der Suche nach potentiellen Opfern verknüpft wird. Zwar wird sich die Gewaltdarstellung im Verlauf des Films noch steigern, doch auch wenn sich diese Bilder noch nicht einordnen lassen, führen sie zur stetig zunehmenden Verunsicherung des Zuschauers.
Die Figuren des Streifens werden ja nicht näher beleuchtet und so wie Aussagen des richtigen Henry Lee Lucas anzuzweifeln sind, so verstrickt sich Henry auch im Film in Widersprüche. Die triste „White-Trash“-Atmosphäre, die Authentizität seiner Figuren und die realen, beinah dokumentarischen Bilder über das emotionslose Töten von Unschuldigen verfehlen ja ihre Wirkung nicht und machen den Streifen auch zu einen sehr unangenehmen Gesamterlebnis und einen Paradebeispiel, wie man aus wenigen Mitteln das Maximum herausholen kann.
Das Maximum hat übrigens auch Bildstörung aus dem Streifen herausgeholt und präsentiert „Henry - Portrait of a Serial Killer“ nun in einer würdigen Form, die auch keinerlei Wünsche offenlässt. Die Bildqualität ist angesichts des Ausgangsmaterials hervorragend und mit einer zweiten Disc randvoll mit Zusatzmaterial wie Making-of, entfallenen Szenen, Interviews und Zensurgeschichte, sowie einem interessanten Booklet wird auch jeder erdenkliche Aspekt des Filmes näher beleuchtet und wer immer noch nicht genug hat, kann auf noch auf eine Limited-Edition des Streifens zurückgreifen, der auch noch die Soundtrack-CD beiliegt.
Unterm Strich ist auch „Drop Out 19“ eine weitere und dem Inhalt zum Trotz wunderbare Veröffentlichung aus dem Hause Bildstörung, die uns nach dem nicht minder empfehlenswerten „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ neuerlich in die dunklen Abgründe der menschlichen Psyche führt. Der kompromisslose, grimmige und zutiefst pessimistische „Henry – Portait of a Serial Killer“ ist wohl der gelungenste - weil authentischste - Serienkiller-Film aller Zeiten, der über die Jahre auch nichts von seinem verstörenden Potential eingebüßt hat und sorgt selbst beim geeichten Zuschauer auch heutzutage noch für ein flaues Gefühl im Magen.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9008
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