project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Die beiden vierzehnjährigen und etwas frühreifen Klosterschülerinnen Anne (Jeanne Goupil) und Lore (Catherine Wagener) verbindet nicht nur eine starke Freundschaft, sondern auch die gemeinsame Faszination und das Interesse für das Böse und Lasterhafte. Vor allem die aus adeligem Haus stammende Anne hat genug von christlicher Nächstenliebe, gesellschaftlichen Zwängen und das Gute im Menschen und beschließt fortan böse und niederträchtig zu sein um auf diese Weise Satan zu dienen.
Annes fragwürdiges Verhalten und Gedanken faszinieren Lore, welche sich nur zu gerne den Ideen ihrer Freundin anschließt und sich sehr bereitwillig von ihr zu gemeinsamen Schandtaten verführen lässt. Gemeinsam lesen die beiden in der Nacht unter der Bettdecke erotische und sadistische Geschichten von Lautréamont und Baudelaire und spionieren auch den Nonnen ihrer Schule hinterher, die ebenfalls so ihre Geheimnisse haben. Anne ergeht sich in erotischen Tagträumen mit dem konservativen Pfarrer der Gemeinde und erzählt einem anderen Geistlichen bei der Beichte auch sehr lustvoll von den lesbischen Neigungen einer Nonne an der Schule um Zwietracht zu säen und diesen in Verlegenheit zu bringen.
Als die wohlhabenden Eltern von Anne in den Sommerferien vereisen und ihre Tochter nur mit dem Personal auf dem Chateau zurücklassen, nutzen die beiden Freudinnen jede freie Minute, um gemeinsam kleine und große Gemeinheiten auszuhecken und diese sogleich in die Tat umzusetzen. So versuchen die beiden den einfachen Bauern Emil mit ihren Reizen zu verführen und töten wenig später aus purer Boshaftigkeit die Vögel des zurückgebliebenen Gärtners Leon und stehlen und zerstören auch dessen persönliches Hab und Gut.
Annes Boshaftigkeit kennt wie ihr unbändiger Wille Böses zu tun auch keine Grenzen und Lore folgt ihrer Freundin auf Schritt und Tritt. Die Beiden legen Feuer auf Emils Hof, piesacken weiter den armen Leon und versuchen wenig später auch einen Unbekannten zu verführen, der aufgrund einer Autopanne in der Nähe des Chateaus liegengeblieben ist.
Doch am Ende dieser Nacht gibt es einen Mord im Affekt, der natürlich nicht ohne Folgen bleibt…
Vor einiger Zeit veröffentlichte das Label Bildstörung den tschechischen Streifen „Tausendschönchen – kein Märchen“, der von zwei jungen Mädchen handelt, die auf lustvolle und lebensfrohe Weise allen Lastern frönen und dabei so humorvoll wie subversiv zu Werke gehen. Nun steht uns mit „Und erlöse und nicht von dem Bösen“ ein Steifen ins Haus, der die gleiche Thematik behandelt, dabei aber zweifelsfrei als sehr, sehr böser Zwilling von „Tausendschönchen“ gesehen werden kann und statt unbändige Lebensfreude tiefe seelische Abgründe offenbart und den Zuschauer gleich mehrfach und sehr nachhaltig verstört.
Die Geschichte der beiden jungen Schülerinnen Anne und Lore im klösterlichen Internat beginnt ja eigentlich recht harmlos und zeigt zwei junge Frauen, deren Neugier sich altersadäquat vor allem auf verbotene oder verschwiegene Dinge richtet. Aber während es bei anderen Vierzehnjährigen bei den bloßen Gedanken bleibt, hat die diabolische Anne den festen Willen diese auch auszuleben, bürgerliche Moral und sonstigen Werten zu torpedieren, manipulativ in das Leben anderer eingreift und dieses auch bis zur letzten Konsequenz zu betreiben.
Der verstörende Streifen behandelt dabei aber weniger die Geschichte einer Freundschaft, sondern eher über schlechten Einfluss und Dominanz, den Anne auf ihre Freundin Lore ausübt. Ihre Verweigerungshaltung gegenüber gesellschaftlicher Normen und das Aufbegehren gegen Kirche, Schule und ihr gutbürgerliches und scheinbar auch sehr liberales Elternhaus lebt sie mit aller Konsequenz und zieht so auch ihre weniger gefestigte Freundin mit in den Abgrund.
Der Streifen von Joel Séria entstand im Jahre 1971 zu einer Zeit, als französische Filmemacher ihre Drehbücher an eine staatliche Kommission zur Prüfung vorlegen mussten. Diese Stelle machte dem Regisseur auch erst gar keine Illusionen prophezeite wegen angeblicher Blasphemie das Totalverbot des Filmes in seinem Entstehungsland, dass auch nach Beendigung ausgesprochen wurde. Die Vorstellung, dass ein Mädchen aus aristokratischem Hause solche bösartigen Dinge vollführt, dürfte wohl ebenfalls auf Widerstand gestoßen sein. Während „Mais ne nous délivrez pas du mal“ in Frankreich nicht aufgeführt werden durfte, lief er jedoch vor allem in Großbritannien und auch in Resteuropa recht erfolgreich und ist mittlerweile auch in Frankreich rehabilitiert.
Neben dem heftigen Ende, dass mich in der Form vollkommen unerwartet erwischt hat, glänzt „Und erlöse uns nicht von dem Bösen“ ja noch mit allerei anderen kontroversen Themen. So ist die Message des Filmes eindeutig auch gegen das christliche Glaubenskorsett gerichtet und bietet Szenen, in denen die minderjährig erscheinenden Schülerinnen (tatsächlich waren beide zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits volljährig) sehr offensiv und berechnend ihre Reize gegenüber erwachsenen Männern ins Spiel bringen. Beides Themen, bei denen ja seit jeher Vorsicht geboten ist und auch wenn der Streifen keine expliziten Szenen bietet und angeblich auch kein Tier zu Schaden kam, so verfehlt der Streifen seine schockierende Wirkung bei sensiblen Gemütern sicher nicht.
Das sich der Streifen aber so nachhaltig im Gedächtnis verankert liegt neben dem bereits erwähnten Ende und der wunderbaren Bildsprache aber vor allem an der beinah unheimlichen Darbietung von Jeanne Goupil, die ihrem diabolischen Charakter auch mit einer unglaublichen Intensität Leben einhaucht. Goupil war ursprünglich nicht einmal Schauspielerin, sondern Studentin und wurde von Séria vom Fleck weg engagiert, was angesichts ihrer diabolischen Leistungen wohl ein absoluter Glückgriff war. Die ebenfalls mehr als solide agierende Catherine Wagener hingegen hatte bereits Schauspielerfahrung und passt ideal als „unschuldiges“ Gegenstück zu ihrer Freundin.
Wieder einmal außerordentlich gelungen ist auch die Veröffentlichung des Streifens der Leutchen aus dem Hause Bildstörung, die sich dankenswerterweise dieser bislang unterschätzten Perle angenommen haben. Die Bildqualität ist sehr gut und auch das Bonusmaterial, welches auch schon auf der amerikanischen Scheibe von Mondo Macabro zu finden war, überzeugt durch interessante Interviews und Infos zu dem durchaus kontrovers diskutierten Film. Abgerundet wird das positive Bild noch mit einem interessanten Booklet mit zwei Texten von Pete Tombs und Paul Poet.
Bildstörung hält auch mit „Und erlöse und nicht von den Bösen“ mühelos den ohnehin schon sehr hohen Standard an empfehlenswerten Filmen und bietet mit dem französischen Streifen eine verstörende Mischung aus „Coming-of-Age“-Drama und Psychostudie, das auch Jahrzehnte nach seiner Entstehung absolut nichts von seiner verstörenden Kraft verloren hat. Ein kontroverser Streifen über konsequente Verweigerung, die den Zuschauer wie schon in „Der Leichenverbrenner“ mit auf eine Reise in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele mitnimmt und erst wieder loslässt, wenn einem das Grauen bereits gründlich gepackt hat.
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@ Jochen,
vielen Dank für das Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8965
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