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Der homosexuelle und aufstrebende Regisseur Enrique (Fele Martínez) erhält eines Tages in seinem Produktionsbüro überraschend Besuch von einem jungen Mann (Gael García Bernal), der sich als ehemaliger Schulkollege Ignacio vorstellt und dennoch nur mit seinem Künstlernamen Angel angesprochen werden möchte. Mit einer selbstverfassten Geschichte namens „Der Besuch“ in der Hand, die auf der gemeinsamen Kindheit basiert, bittet der arbeitslose Schauspieler und Autor um eine Rolle in Enriques nächsten Film, der jedoch gar kein aktuelles Projekt in Aussicht hat.
Die Tage vergehen und während Enrique von „Der Besuch“ begeistert ist und beschließt, die tragische und halb reale, sowie fiktive Geschichte von Freundschaft und Mißbrauch in einer geistlichen Einrichtung zu verfilmen, meldet sich auch neuerlich Angel, der sich hartnäckig um die Hauptrolle der Geschichte bemüht. Doch so sehr es Enrique auch versucht, es gelingt ihm nicht, in dem teils etwas aufdringlichen Angel seinen Jungendfreund zu sehen, der zugleich auch seine erste große Liebe war.
Dieses unbestimmte Gefühl scheint sich auch zu bewahrheiten und durch einen Zufall entdeckt Enrique, dass Angel nicht mit offenen Karten spielt. Als er zum Elternhaus seines ehemaligen Schulfreundes fährt, erfährt er von dessen Mutter, dass Ignacio bereits vor einiger Zeit gestorben ist, dem Regisseur einen persönlichen Brief hinterlassen hat und Angel in Wirklichkeit dessen jüngerer Bruder Juan ist, der offensichtlich die Identität seines Bruder übernommen hat. Enrique ist irritiert über das Verhalten, lässt sich auf eine Affäre ein und beendet den gemeinsamen Film, als er nochmals überraschenden Besuch erhält…
Manchmal dauert es einfach etwas länger, einen Schatz zu erkennen und im Falle von Pedro Almodóvars „La Mala Education“ und meiner Wenigkeit bewahrheitet sich wieder einmal diese alte Weisheit. Für mich lag ja immer ein Großteil des Reizes am Schaffen des spanischen Ausnahmeregisseurs an dessen tragischen Geschichten, großen Emotionen und starken Frauenfiguren in Ausnahmesituationen, die er - so wie in meinem erklärten Lieblingsstreifen „Alles über meine Mutter“ – nahezu perfektioniert hat.
Doch das ist nur ein Teil seines filmischen Outputs und wer sich mit dem gesamten Oevre auseinandersetzt, trifft dort neben grellen und sexuellen Frühwerken und gefühlsbetonten Filme der mittleren bis späten Schaffensperiode, auch auf teils sehr düstere, obsessive und doppelbödige Thriller mit Serienkiller-Thematik („Matador“/“Kika“), tödliche Leidenschaften („Das Gesetz der Begierde“/“Live Flesh“) bis hin zur Frankenstein-Thematik in seinem bislang letzten Werk „Die Haut in der ich wohne“ mit dem grandiosen Antonio Banderas und Elena Anaya in den Hauptrollen.
Insofern hat mit „La Mala Educacion – Schlechte Erziehung“ seinerzeit bloß am falschen Fuß erwischt und obwohl der Film mit seiner verschachtelten Erzählstrukturen, düsteren Entwicklungen, unterschiedlichsten Charakteren und technischer Perfektion sicherlich sehr gut ausgefallen ist, so ließ mich die Geschichte über Freundschaft, Missbrauch, Erpressung und das undurchschaubare Spiel mit unterschiedlichen Identitäten doch seltsam unberührt. Das hat sich mittlerweile jedoch geändert und der 2004 entstanden Streifen ist mittlerweile ganz hoch in meiner Gunst angesiedelt.
Sexueller Missbrauch in kirchliche Einrichtungen und die Konsequenzen daraus sind Themen, die sich durch das gesamte Schaffen des Regisseurs ziehen und in „La Mala Educacion“ neuerlich auf sensible, zurückhaltende Weise behandelt werden, die jedoch nie verharmlosend wirkt. Almodóvar präsentiert die schrecklichen Ereignisse eines Knabeninternats der Franco-Diktatur als Ausgangspunkt für seinen dramatischen Thriller und entblättert sukzessive das Geheimnis um eine verpfuschte Existenz mit aller Konsequenz für alle beteiligten Personen.
Die Geschichte ist startet mit dem Aufeinandertreffen des Regisseurs Enrique und dem vermeintlichen Ignacio und startet mit einer halbstündigen Rückblende, die sich dann jedoch wiederum als „Film im Film“ entpuppt und in der ebenfalls noch zwischen Zeitebenen hin- und hergesprungen wird. Das klingt jetzt erst einmal recht kompliziert und dennoch werden die Fäden von Almodóvar so geschickt miteinander verwoben, sodass man nie die Übersicht verliert und dennoch das Überraschungspotential nicht verloren geht.
In der Tradition des klassischen “Film Noir“ und in dennoch sehr bunten Bildern präsentiert Almodóvar seine autobiografisch angehauchte Geschichte, an der er nach eigenen Angaben zehn Jahre lang gefeilt hat und beschwört dabei auch noch den Geist vergangener Tage auf sehr schöne Weise. Wer sich mit dem Schaffen des Regisseurs auskennt, wird in dem Streifen dann auch zahlreiche Figuren und Entwicklungen bemerken, die erstaunliche Ähnlichkeiten mit Figuren und Darstellern aus früheren Filmen haben. Der Film steckt wie üblich voller Verweise an das eigene Schaffen und andere Werke der Filmgeschichte und auch die Eingangssequenz ist eine optische und musikalische Hommage an Alfred Hitchcocks „Psycho“.
In der Rolle der männlichen „Femme Fatale“ glänzt Gael García Bernal in drei höchst unterschiedlichen Rollen, die seine Wandlungsfähigkeit auch sehr eindrucksvoll unter Beweis stellen. Fele Martínez, den man aus „Tesis“ und „Open your Eyes“ kennt, spielt die autobiografisch gefärbte Rolle des Regisseurs und als Padre Manolo ist sowohl Daniel Giménez Cacho („Cronos“) als auch Lluís Homar („Zerrissene Umarmungen“) zu sehen. Besonderes Lob verdienen aber auch die beiden jugendlichen Darsteller Nacho Pérez und Raúl García Forneiro, sowie Javier Cámara („Sprich mit ihr“) in der eigentlich viel zu kleinen Rolle der Paca
Wie alle aktuellen Filme von Pedro Almodóvar ist der Streifen von der Kritik auch sehr gut aufgenommen worden und „La Mala Educacion“ lief auch als erster spanischer Streifen als Eröffnungsfilm in Cannes. Nach erfolgreichen Kinoeinsatz im Jahr 2004 wurde der Streifen auch im März 2005 auf DVD veröffentlich und seit 2011 gibt es den Streifen auch auf Blu-Ray-Disc, sowie im Rahmen der Gesamt-Edition. In allen Fällen ist die Bild- und Tonqualität sehr gut und auch der Bonusbereich überzeugt mit zwei entfallenen Szenen, einer Art Werbe-Making-Of, Bildergalerien, sowie weitere kurze Clips, Teaser und Trailer zum Film.
Unterm Strich ist „La Mala Educación – Schlechte Erziehung“ eigentlich ein typischer Almodóvar, der wie „Zerrissene Umarmungen“ und „Die Haut in der ich wohne“ jedoch eher die düsteren Aspekte des menschlichen Zusammenlebens beleuchtet und auch mit jeder Sichtung wächst. Eine ungewöhnliche Geschichte samt verschachtelter Erzählweise, die wunderbare Optik und tollen Darsteller machen den Streifen auch zu einem unverzichtbaren Ereignis, dass sich auch kein Filmfreund entgehen lassen sollte, auch wenn hier der Optimismus einer Vielzahl seiner sonstigen Werke gänzlich fehlt.
Beitrag geändert von jogiwan (28.September 2012 15:58:31)
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8948
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