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In Kindertagen muss Javier (Carlos Areces) mit ansehen, wie sein Vater (Santiago Segura), ein Zirkusclown, von Milizen gewaltsam zum Kampf gegen die spanischen Faschisten gezwungen, verhaftet und in ein Arbeitslager gesteckt wird. Dieses prägt den schüchternen Jungen und als er die Familientradition fortführen möchte, bleibt aufgrund der erlebten Gräuel nur die Rolle des traurigen Clowns, der von den lustigen Clowns gedemütigt wird und dadurch die Kinder zum Lachen bringt. Und so heuert der herangewachsene Mann eines Tages in einem heruntergekommenen Zirkus in Madrid an, wo er an der Seite des bekannten Clowns Sergio (Antonio de la Torre), das spärliche Publikum unterhalten.
Doch Sergio entpuppt sich als gewaltbereiter Choleriker, der mit seinen Gewaltausbrüchen auch seine Freundin Natalia (Carolina Bang) verängstigt, in die sich Javier sofort verliebt. Auch Natalia hat Interesse an dem introvertierten Javier und die beiden beginnen sich im Geheimen zu treffen. Als Sergio jedoch eines Tages entdeckt, dass sich Natalia mit dem verhassten Kollegen trifft, schlägt er den dicklichen Javier Krankenhaus-reif, der jedoch dennoch überzeugt ist, die Angebetete aus den Armen des Schlägers zu befreien. Javier flüchtet aus dem Krankenhaus, kehrt zum Zirkus zurück und schlägt mit einer Trompete so lange auf das Gesicht des Widersachers ein, bis dieser völlig entstellt ist.
Der von der Polizei verfolgte Javier flüchtet in die Wälder und gerät geradewegs wieder in die Arme eines Franco-Generals und muss unmenschliches erdulden, während Sergio sich auf die Spuren der geflüchteten Natalia macht. Diese tritt mittlerweile mit ihrer Trapeznummer in einem Animierlokal auf und ist über das Auftauchen von Sergio wenig erfreut. Er stellt seine Ex-Freundin zur Rede, die wieder zu ihm zurückkehrt, während sich auch der mittlerweile wahnsinnig gewordene Javier auf die Fersen der hübschen Natalia macht um diese ein für alle Mal für sich zu gewinnen…
Herrlich! Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen: die Gräuel der Franco-Diktatur anhand einer Geschichte zweier rivalisierender Clowns nachzuzeichnen und dabei ein Feuerwerk der Absurditäten abzufeiern, dass dem Zuschauer wahrlich Hören und Sehen vergeht. Alex de la Iglesia fackelt in seinem 2010 entstandenen Film „Balada triste de trompeta“ ja nicht lange und nimmt den Zuschauer von Beginn an mit auf eine beispiellose Tour de Force, in dessen Verlauf popkulturelle und politische Ereignisse (wie z.B. das Attentat auf den Franco-Vertrauten Carrero Blanco eingebaut sind), die sich in das kollektive Gedächtnis der spanischen Bevölkerung eingeprägt haben und vermengt diese mit einer temporeichen Geschichte im farbenfrohen Zirkusmilieu.
Als am 20. November 1975 der Tod von General Francisco Franco bekanntgegeben wurde, bedeutete diese Nachricht das Ende einer jahrzehntelangen Diktatur, die das Land und seine Bewohner unterdrückte und vom restlichen Europa größtenteils isolierte. Das Land sah sich auf einmal mit Freiheiten und Möglichkeiten auseinandergesetzt, von denen sie zuvor nur träumen konnten und nutze diese auch in vollen Zügen aus. Die Aufarbeitung dieser Gräuel dauert aber noch immer an und zahlreiche Regisseure, wie auch Pedro Almodóvar beschäftigen sich in ihren Filmen immer wieder mit der Ära und ihre noch immerwährende Auswirkung auf das Leben in Spanien.
Mit politischen Filmen über eine Zeit oder ein Regime, zu dem man selbst nicht wirklich einen Bezug hat, ist es aber immer so eine Sache und oftmals treffen diese Filme außerhalb der betroffenen Zuschauergruppe auf weniger Interesse. Im Falle von „Mad Circus“ ist zum Glück aber auch der Unterhaltungswert abseits der Polit-Kiste noch immer so hoch, dass der Streifen auch Leuten empfohlen werden kann, die sich ansonsten nicht unbedingt für derartige Filme interessieren. Alex de la Iglesia wollte nach eigenen Aussagen einen Film schaffen, der Lachen und Weinen vereint und gleichzeitig auch die bösen Geister Spaniens austreibt, die das Land noch immer verfolgen.
Das ist Alex de la Iglesia auch gelungen und der Film ist ein wilder Ritt durch sämtliche Genres, der in seinem Heimatland dann auch für 15 Goyas nominiert wurde. Der Streifen musste sich letztendlich zwar dem Bürgerkriegsdrama „Pa Negra“ von Augusti Villaronga geschlagen geben, aber die Kinogeher in Spanien waren trotzdem begeistert und mit dem Preis für die beste Regie bei dem Filmfestspielen in Venedig hat der Regisseur auch die verdiente Auszeichnung bekommen, auch wenn Jury-Vorsitzender Quentin Tarantino da sicher auch seinen Anteil dazu beigetragen hat, dessen „Inglorious Basterds“ ja eine ähnliche Schiene fährt. Für Fans von Alex de la Iglesia ist „Mad Circus“ dann auch irgendwie eine Art „Best-Of“, der alles beinhaltet, dass sich der geneigte Fan in einem Film des spanischen Regisseurs erwartet.
„Mad Circus“ ist aber auch zweifelsfrei sehr gelungen, selbst wenn man sich mit der spanischen Geschichte nicht so auskennt und der schwarze Humor vielleicht nicht jeden Geschmack treffen wird. Aber die Geschichte ist einfach originell, zum Schreien komisch, grell und überdreht und die Verwandlung des introvertierten Javier vom traurigen Clown zum amoklaufenden Killerclown in der Nikolausverkleidung rockt auch dank der liebevollen Siebziger- und Zirkus-Settings ohne Ende. Technisch gibt es an dem Werk ja nichts zu meckern und schon bei den Title-Credits kommt der Filmfreund auf seine Kosten und wenn am Ende der Abspann über die Schirm läuft, kann man sicher sein, etwas Besonderes gesehen zu haben.
Das Tempo ist jedenfalls im oberen Bereich und Alex de la Iglesia gönnt seinem Publikum vom brutalen Beginn bis zum beeindruckenden und bitteren Finale keine Verschnaufpause, sodass kleinere dramaturgische Mängel bei der ersten Sichtung auchgar nicht auffallen. Der Gewaltpegel ist zwar irgendwie im höheren Bereich, aber auch comic-haft übertrieben oder grotesk ausgefallen, dass man diese Dinge dann auch augenzwinkernd verstehen sollte. Regisseur Alex de la Iglesia ist ja auch bekannt für seinen subversiven und anarchistischen Humor, der sich wie ein roter Faden durch seine bisherigen Filme zieht und dreht hier auch so richtig auf.
Darstellerisch ist der Streifen auch gelungen und bietet einen toll-agierenden Carlos Areces, der mir bislang nur in der Komödie „Super Drama Movie“ ein Begriff war, der allerlei spanische Filme durch den Kakao zieht. Der in Spanien sehr populäre Antonio de la Torre als cholerischer Sergio kennt man aus „Volver“ und darf hier auch so richtig übertrieben und fies agieren. Die Nebendarsteller sind ebenfalls gut besetzt und bieten zahlreiche bekannte Gesichter aus früheren Filmen des Regisseurs, wie z.B. Santiago Segura und Terele Pávez. Die eigentliche Überraschung ist aber Carolina Bang als Trapez-Künstlerin, die sich offensichtlich mittlerweile auch schon Herr de la Iglesia als Partnerin an seiner Seite unter den Nagel gerissen hat.
Die Blu-Ray-Disc aus dem Hause Koch Media ist ebenfalls überzeugend und bringt den überdrehten Spaß wahlweise als Single-Disc oder in der „Collectors Edition“ auf den Markt. Die Single-Edition bringt den Streifen den Streifen in perfekter Bild- und Tonqualität und einer kleinen Trailershow, während die Collector-Edition auch noch zahlreiches Bonusmaterial an Bord hat. So gibt es neben einem ausführlichen Produktionstagebuch auch noch ein viertelstündiges „Making-Of“, sowie weitere Infos zum Film und seinem Regisseur.
Unterm Strich bleibt ein politische und überdrehte Gewalt-Parabel mit Unterhaltungswert, der etwas an „Inglorious Basterds“ erinnert, aber dabei eindeutig die bessere Geschichte erzählt und es auch gar nicht notwendig hat, die Geschichte maßgeblich zu verfälschen. „Mad Circus“ ist dann ungefähr so, als wenn der frühe Almodovar, Guillermo del Toro und Quentin Tarantino zusammengetan haben, um dem Publikum einen schwer-verdaulich, wie unterhaltsamen Film vor die Füsse zu werfen, der sich gegen jegliche Kategorisierung sperrt, brutal ist und dennoch großen Spaß bereitet. Ein grandioses, politisches und unvergleichliches Biest von einem Film, dass ideal für Freunde des etwas abseitigen Filmgeschmacks ausgefallen ist und auch Alex de la Iglesias bisheriger Höhepunkt in seinem Schaffen darstellt.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8600
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