project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Jacky Vanmarsenille (Matthias Schoenaerts) ist ein junger Rinderzüchter im flämischen Belgien und ist mit seinem Onkel, einem Tierarzt, in zwielichtige Geschäfte mit Tierhormonen verstrickt. Auch sich selbst spritzt der junge Mann Testosteron und hat sich zu einer Kampfmaschine auftrainiert, die seinen Gegenüber Respekt abverlangen. Als er eines Tages mit seinen Onkel zu dem zwielichtigen Hormonhändler Marc (Sam Louwyck) fährt um ein Geschäft zu starten, trifft er in dessen Umfeld auch auf Diederick (Jeroen Perceval), den Jacky aus Kindertagen kennt.
Dieser ist jedoch nicht nur die recht Hand des Hormonhändlers, sondern auch Informant bei der Polizei, die gerade mit der Aufklärung eines brutalen Mordes beschäftigt ist, bei dem ein bekannter Ermittler auf kaltblütige Weise erschossen wurde. Obwohl Jacky ahnt, dass der Deal nur Schwierigkeiten bringen wird, einigen sich die Männer und so entgeht den anderen auch, dass sich der bullige Mann und der verdeckte Spitzel ein dunkles Geheimnis teilen, dass durch den Kontakt wieder ins Bewusstsein der Männer gelangt. Als Jacky daraufhin versucht, sein verpfuschtes Leben auf seine Art zu regeln und dabei auch ins Visier der Polizei gerät, löst das jedoch Reaktionen aus, die letzten Endes in einem Akt der Gewalt enden...
Schon der römische Dichter Juvenal meinte, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper stecke. So wie dieser Ausspruch im Original eigentlich als Kritik an den übermäßigen Körperkult von Athleten der damaligen Zeit gedacht war, so gilt der Spruch auch heute immer noch als guter Ratschlag, dass man neben seinem Geist natürlich auch seinen Körper trainieren sollte, um gesund, fit und leistungsfähig zu sein. Während nichts gegen ein gesundes Körperbewusstsein spricht, haben Bodybuilder hingegen weitläufig den Ruf, mit ihren übertriebenen Körperkult und dem Griff zu illegalen Substanzen etwaige Defizite an anderer Stelle auszugleichen.
Auch der Auftakt bzw. der erste Auftritt von Jacky“ in dem belgischen Drama „Bullhead“ scheint diese Meinung zu bestätigen und zeigt einen grobschlächtigen Kerl, der einen anderen Landwirt einschüchtert. Der Viehhändler wirkt auf seine Umwelt angsteinflößend und ist durch seinen unkontrollierten Konsum von verbotenen Substanzen auch wie ein brodelnder Vulkan, der immer kurz vor seinem Ausbruch steht. Doch der erste Blick täuscht und hinter der Fassade des trainierten Mannes steckt eine verletzte und traumatisierte Seele, der sich einen fleischlichen Schutzpanzer aufgebaut hat um sich in einem brutalen Umfeld zu erwehren.
Als durch den zufälligen Kontakt mit Diederick die Wunden der Vergangenheit wieder aufbrechen lässt, ist Jacky jedoch unfähig, seine Probleme anders als mit körperlicher Gewalt zu lösen und auch seine zaghaften Versuche sich seiner Jugendliebe zu nähern, scheitern schlussendlich an seiner emotionalen Unfähigkeit. Was als Krimi beginnt, wandelt sich im Verlauf des zweistündigen Films zunehmend zu einem Psychodrama über verdrängte Gefühle und der verzweifelte Versuch, sich von den Geistern der Vergangenheit und der aufgestauten Wut zu lösen.
Interessant ist aber auch das gesellschaftliche Umfeld und das diesbezügliche Bild, das von Belgien als sprachlich zerrissenes Land gezeichnet wird. Dass dort mitunter Jahre vergehen, bis eine Regierung gebildet wird, ist ja hinlänglich bekannt und in dem Land mit den drei Amtssprachen gibt es auch immer noch erhöhtes Konfliktpotential zwischen Flämen und Wallonen, in dessen Streit auch kein Ende abzusehen ist. Und weil das alles noch nicht reicht, gibt es in „Bullhead“ auch noch eine Kriminalgeschichte über illegale Stoffe und dessen Handel
Durchaus interessante Dinge, die uns der belgische Regisseur Michael R. Roskam in seinem Langfilm-Debüt präsentiert, dass als Mischung aus Sozialstudie, politische Bestandsaufnahme seines Heimatlandes, Drama und Film-Noir daherkommt. Zwar begeht Roskam den üblichen Fehler von Nachwuchsfilmern, etwas zu viel von allem in sein Debüt zu packen, allerdings ist der Film dennoch so gelungen, dass er im Jahre 2012 als belgischer Beitrag ins Rennen um den Oscar für den besten, fremdsprachigen Film geschickt wurde, wo er sich jedoch Asghar Farhadis „Nader und Simin – Eine Trennung“ geschlagen geben musste.
Der Film ist abgesehen von kleineren Dingen auch sehr gelungen und bietet schöne, wie triste Bilder, die auch hervorragend zur traurigen Geschichte des Außenseiters passen. Roskam legt sich im Verlauf der Handlung auf kein bestimmtes Genre fest und so bleibt der Streifen auch bis zum bitteren Ende interessant und unberechenbar. Was mich jedoch am Gesamtbild etwas gestört hat, waren die skurrilen und Tarantino-esken Nebenfiguren, die heute ja mittlerweile in jeden Thriller zu sehen sind und die Tatsache, dass die schicksalhafte Begebenheit und traumatische Jugendbegebenheit meines Erachtens etwas zu früh enthüllt wird, was dem Film doch etwas an seiner Spannung nimmt, während vieles vom Rest im Dunkeln bleibt.
Beeindruckend ist zweifelsfrei auch die Leistung von Matthias Schoenaerts, der mittels strengen Ernährungsplan und harten Trainingsplan auf die körperlichen Anforderungen getrimmt wurde. Mit aufgeklebtem Nasenhöcker verkörpert er den ruhelosen, testosteron-strotzenden, angsteinflößenden und dennoch sensiblen Jacky mit jeder Faser seines Körpers und schafft es mühelos, einer eigentlich unsympathischen Figur die notwendige Tiefe zu schenken, sodass der Zuschauer letzten Endes sogar so etwas wie Verständnis für seine brutalen Taten und sein verpfuschtes Leben aufbringen kann.
Auch die DVD aus dem Hause Rapid Eye Movies bringt das vielfach preisgekrönte Werk in der Flämisch/Französischen Originalfassung samt deutscher Untertitel. Da sich Roskam trotz der Möglichkeiten seiner Geschichte mit grafischer Gewalt eher zurückhält, kommt der Streifen ungekürzt mit einer FSK16-Freigabe und bietet auch noch ein interessantes „Making-Of“, sowie ein ausführliches Booklet inklusive längerem Text und Interview. Abgerundet wird das positive Gesamtbild mit dem Kinotrailer und einem Wendecover.
Unterm Strich bleibt ein spannendes Regiedebüt über einen wütenden Außenseiter, das alle Genre-Grenzen gekonnt umschifft und vor allem aufgrund der eindringlichen Darstellung seines Hauptdarstellers nachhaltig im Gedächtnis bleibt. Matthias Schoenaerts ist dann wohl auch die internationale Karriere vorbestimmt und auch von Regisseur Michael R. Roskam werden wir wohl noch so einiges hören und vor allem sehen. Auch wenn „Bullhead“ vielleicht einen Ticken zu lange ist und im Grunde auch etwas kompakter erzählt hätte werden können, werden Fans von kontroversen Werken von dem belgischen Geheimtipp sicherlich nicht enttäuscht sein.
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@ Jochen,
vielen Dank für das Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8673
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