project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Marian (Bien de Moor) ist um die Vierzig und arbeitet als Krankenschwester in der geriatrischen Abteilung einer großen Klinik, in der sie sich fürsorglich, nett und immer mit einem Lächeln auf den Lippen um ihre Patienten kümmert. Doch der Schein der aufopfernden Krankenschwester trügt und die distanzierte und verschlossene Frau hilft manchmal mittels Spritze nach, wenn das Leid der Patienten in ihrem Augen zu groß ist und sammelt nach dem Ableben kleine Erinnerungsstücke, die sie in ihrer kargen und neubezogenen Wohnung in einem großen Apartmentblock am Rande der Stadt sammelt.
Privat lebt die verschlossene Frau weitgehend isoliert, betreibt übermäßig Sport und hat lediglich zu sehr wenigen Personen Kontakt. Körperliche Nähe ist ihr fremd und Fragen von Kollegen über ihr Privatleben werden kurz und knapp beantwortet. Das ändert sich eines Tages, als sie beginnt, einen jungen Mann interessant zu finden, der ebenfalls im gleichen Block eine Wohnung hat und ihre Vorliebe für das Beobachten anderer Menschen teilt. Sie beginnt in ihrer Kontrollsucht das Handeln des Mannes zu verfolgen und als beide eines Nachts Zeuge eines Verbrechens werden, wagt der junge Mann eine erste Kontaktaufnahme, die Marian jedoch nicht erwidert.
Doch das Interesse an dem Fremden bleibt und als sie eines Tages von einer jungen Kollegin zu einer Party eingeladen wird, trifft sie neuerlich auf den jungen Mann, der sich als Konrad (Lars Eidinger) vorstellt. Aus der scheinbar zufälligen Begegnung ergibt sich ein langes Gespräch, in der sich die verschlossene Marian langsam dem Objekt ihrer Begierde öffnet und nach einer durchgemachten Nacht landen beiden in der Wohnung von Marian. Doch ihr mittlerweile bedingungsloser Wunsch nach Nähe macht die Frau auch verwundbar, was Marian bitter am eigenen Leib erfahren muss…
Ganz schön starker Tobak, den uns die aus Polen stammende und mittlerweile in den Niederlanden lebende Regisseurin Urszula Antoniak in ihrem zweiten Spielfilm „Code Blue“ präsentiert. „Code Blue“ ist eigentlich die in angloamerikanischen Krankenhäusern verwendete Bezeichnung für akute Herzinfarkt-Patienten, doch in dem niederländischen Werk sind es nicht nur die Patienten der Krankenschwester Marian, die dringend professioneller Hilfe bedürfen würde.
Der nicht immer leicht zu ertragende Streifen über eine emotional-gestörte Frau, die sich einerseits aufopfernd um ihre Patienten kümmert und über das Ziel hinausschießt und sich andererseits von der Gesellschaft isoliert und diese nur beobachtend ertragen kann, ist in halbdokumentarischen und kühlen Bildern eingefangen und erinnert an vergleichbare Werke von Michael Haneke, Ulrich Seidl und Lars von Trier. Und wer in einem Atemzug mit dem eben genannten Regisseuren genannt wird, kann sich durchaus polarisierender Rezeption seines Werkes und kontroversen Reaktionen sicher sein.
Die Geschichte startet dann eigentlich auch sehr interessant und so wie Marian als aufopfernde und freundliche Krankenschwester zu Beginn des Streifens eingeführt wird, so wird diese vermeintlich empathische Leben auch wieder zerstört, wenn klar ist, dass die Krankenschwester Sterbehilfe leistet und privat nahezu keinen Kontakt zu anderen Menschen hat. Die Figur der Marian ist dabei voller Fragezeichen und Regisseurin Antoniak lässt die Zuschauer auch im Dunkeln tappen und lässt viel Spielraum für Interpretation.
Ich muss aber auch ehrlich gestehen, dass ich mit solchen Frauenfiguren generell so meine Probleme habe und auch Hanekes „Klavierspielerin“ mit Isabelle Hupert, der inhaltlich zahlreiche Parallelen bietet, ließ mich irgendwie ratlos zurück. Im Falle von Marian wollte sich auch aufgrund der distanzierten und Dialog-armen Inszenierung nicht zu 100 % das beabsichtigte Grauen einstellen und so emotionslos die Hauptdarstellerin ihre Umwelt beobachtet und sich auf ein voyeuristisches Spiel einlässt, so distanziert und emotionslos habe auch ich ihrem Treiben gefolgt. Sicherlich gibt es technisch an dem Werk nicht viel zu bemängeln, allerdings hätte ich mir persönlich gewünscht, dass die Figur vielleicht doch etwas näher beleuchtet wird.
Verstörender als den Schluss fand ich dann auch eher den Part mit der Sterbehilfe und die Szenen in der Geriatrie als das nachfolgende Kennenlernen und langsame Herantasten an Konrad, der sich letzten Ende als sadistischer Psychopath entpuppt. Diese ruhigen Szenen zu Beginn, in der alte Menschen sich mit letzter Kraft versuchen zu artikulieren und gänzlich auf fremde Hilfe angewiesen sind, ist kaum zu ertragen und wenn Marian diese Menschen von ihrem Leid erlöst, ist man sicherlich hin- und hergerissen zwischen moralischen Bedenken und der Angst, dass geliebte Menschen oder man selbst einmal in einer derartige Lage zu verfallen könnten und seinem Schicksal hilflos ausgeliefert zu sein.
Mit Themen wie soziale Isolation und Sterbehilfe benötigt es dann auch gar keine plakativen Bilder mehr um beim Zuschauer Unbehagen und Entsetzen auszulösen und auch wenn es am Ende des Streifens einen erigierten Penis und körperliche Gewalt zu sehen ist, so hält sich der Streifen insgesamt doch eher zurück und verlässt sich auf die zahlreichen Interpretationsmöglichkeiten, die durch die Inszenierung gelassen wird. Und auch wenn man schon vermuten kann, was Marian veranlasst hat, sich von der Gesellschaft abzukapseln, so belässt es der Streifen bei Andeutungen.
Ein derartiger Streifen steht und fällt dann aber auch mit seiner Hauptdarstellerin und die belgische Darstellerin Bien de Moor ist als Marian einfach grandios und schafft es, dem sehr schwierigen Charakter auf verstörende und schon fast selbstzerstörerische Weise Leben einzuhauchen. Der Streifen ist ja dann auch eine One-Woman-Show und der Rest des Casts verblasst im Vergleich zu Hauptdarstellerin. Lars Eidinger hat ebenfalls eine schwierige Rolle zu meistern und in dem Drama auch nur wenige Sympathien auf seiner Seite.
Da mir bei meiner Sichtung ein Ansichtsexemplar vorlag, das nur den Hauptfilm beinhaltet, kann ich zum Bonusmaterial nicht viel sagen. Diese liefert in der fertigen Scheibe nicht nur einen längeren Kurzfilm mit dem Namen „Bijlmer Odyssee“ und ein längeres Interview mit der Regisseurin, sondern auch noch ein alternatives Ende, ein Interview mit Bien de Morr und ein Booklet mit einem längeren Text zum Film. Die Bildqualität war aber beim Ansichtsexemplar schon sehr gut, sodass dieses dann auch bei der fertigen Fassung nicht anders sein wird.
Unterm Strich bleibt ein interessanter, aber meines Erachtens nicht gänzlich gelungener Streifen in bester Haneke-, Seidl- und von Trier-Tradition, das Bestandsaufnahmen einer interessanten Frauenfigur in einem technisch sehr guten Film portraitiert, der Freunden von kontroversen und verstörenden Filmen auch empfohlen werden kann. Ich hätte mir angesichts der Lobeshymnen im Vorfeld dann doch eine etwas „stimmigere“ Geschichte gewünscht, die mich nicht wie schon „Die Klavierspielerin“ etwas ratlos zurücklässt. Aber im Falle von Urszula Antoniak ist das auch wie bei Haneke aber durchaus beabsichtigt.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8602
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