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Der junge Mechaniker Abram (Martin Sperr) kommt nach längerer Abwesenheit wieder in sein Heimatdorf in Niederbayern zurück, wo die meisten der einfachen Leute gerade mit der Ernte beschäftigt sind. Obwohl die Fähigkeiten des schweigsamen Mannes durchaus gefragt sind, kommen bald in Gerüchte in Umlauf, die sich vor allem mit seiner Abwesenheit und sexuellen Neigung beschäftigen. Den Abram ist angeblich „ein warmer Bruder“, der wegen seiner“ Abartigkeit“ im Gefängnis gesessen ist und mit seiner Rückkehr Schande über seine Mutter und das gesamte Dorf bringt. Während Abram seiner Arbeit nachgeht und abends die Hänseleien im örtlichen Gasthaus erträgt, fühlen sich immer mehr der anständigen Dorfbewohner von der Anwesenheit eines Schwulen provoziert und obwohl die im Dorf als Hure verschriene Hannelore (Angela Winkler) behauptet, von ihm ein Kind zu bekommen, schlägt dem Mechaniker bald eine Welle aus Hass und Ablehnung entgegen.
Doch Abram scheint alles zu ertragen und selbst als sich seine Mutter offen gegen ihn stellt und bedauert, ihn in seiner Jugend nicht zu Tode geprügelt zu haben, trotzt der junge Mann der feindseligen Stimmung. Als Abram von der Metzgerin auch noch mit dem geistig zurückgebliebenen Ernstl gesichtet wird, laufen die Leute gegen den vermeintlichen Päderasten Sturm und Abram wird bei dem Versuch das Dorf zu verlassen von der aufgebrachten Menge daran gehindert. Hannelore versucht ebenfalls Abram zurückzuhalten und wird bei einem darauffolgenden Streit von dem jungen Mann im Affekt getötet. Abram flüchtet vor dem wütenden Bewohnern und versteckt sich im Unterholz, während sich die Dörfler bereits zu einem Mob geformt hat, der nun mit Mistgabel und sonstigen Gerätschaften bewaffnet Jagd auf den Verbrecher macht…
Im Jahre 1967 begleitete Regisseur Peter Fleischmann in seinem Dokumentarfilm „Herbst der Gammler“ jugendliche Herumstreuner und Beatniks in München mit seiner Kamera und fing dabei auch die Meinungen von Passanten ein, die sich von der Anwesenheit und Einstellung der sogenannten „Gammler“ provoziert fühlten. Dabei ließen sich junge, wie auch ältere Menschen zu recht drastischen Kommentaren verleiten und die sehr feindselige Stimmung gegenüber dieser alternativen Lebensform auch in der Masse offen präsentiert. Vom „kleinen Hitler“, der aufräumen würde, bis hin zur „Verfrachtung in Arbeitslager“ für Schmarotzer und Arbeitsverweigerer bietet die Dokumentation dann auch einen erschreckenden Einblick in die finsteren Abgründe der deutschen Gesellschaft, die aus ihren Vergangenheit nichts gelernt hat.
Fleischmann blieb dieser Thematik auch in seinen nachfolgenden Werk „Jagdszenen aus Niederbayern“ treu, das auf einem Theaterstück des bayrischen Dramatikers und Schauspielers Martin Sperr basiert, der auch die Hauptrolle übernommen hat. Darin geht es um einen jungen Mann, der in ein kleines bayrisches Dorf zurückkehrt und als Homosexueller zuerst Ziel von Häme und Spott wird und danach mit dem ganzen Hass der konservativen der Dorfbevölkerung konfrontiert wird, die in einer Menschenjagd gipfelt, bist bei den abschließenden Bildern des am Dorffest feiernden Gemeinde der Friede wieder hergestellt ist.
Fast interessanter als der eigentliche Film sind jedoch die Reaktionen von Seiten der „anständigen“ Bevölkerung, die sich von dem Werk offensichtlich in ein falsches Licht gerückt sah. Fleischmann bedient sich für seine kontroverse Geschichte ja auch den Mitteln des damals sehr populären Heimatfilms, doch wo ansonsten der Förster seine Runden dreht, die Rehlein hüpfen und Friede, Freude, Eierkuchen herrschen, tummeln sich im Dorf die Ewig-Gestrigen, die gestreng die Einhaltung der selbstauferlegten moralischen Richtlinien kontrollieren und bei Bedarf auch vor psychischer und physischer Gewalt zurückschrecken und dennoch in ihrem Handeln um nichts besser sind, als die Verfolgten.
Als der Streifen in die Kinos kam, reagierten die konservativen Kreise geschockt und der damalige Bundesinnenminister wurde mit wütenden Protestbriefen bombardiert. Die bayrische Bevölkerung sah sich verunglimpft, gar beleidigt und verleumdet und in Leserbriefe wurden in Zeitungen abgedruckt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Dass „Jagdszenen aus Niederbayern“ dann auch noch auf internationalen Festivals mit großem Erfolg gelaufen ist, wurde ebenfalls kritisch hinterfragt und entstanden Diskussionen über die deutsche Mentalität und ihrer belastende Vergangenheit, die dennoch nichts aus ihren Fehlern gelernt zu haben scheint.
Dabei macht es Martin Sperr bzw. Peter Fleischmann dem Zuschauer auch gar nicht so leicht und zum Zeitpunkt der Entstehung stand Homosexualität ja immer noch unter Strafe und allein der Verdacht rechtfertigte schon eine Verhaftung. Doch nicht nur der schwule Abram steht in der Geschichte am Pranger, sondern auch die Dorfhure Hannelore, sowie eine Bäuerin, die die vorgeschriebene Trauerzeit nicht eingehalten hat und noch dazu einen geistig behinderten Sohn hat und mit dem Knecht in wilder Ehe lebt. Doch auch Martin ist als Opfer der fehlgeleiteten Dorf-Dynamik nicht der große Sympathieträger und macht sich in einer Szene an den zurückgebliebenen Ernstl heran, wobei hier seine Absichten auch eindeutig sind. Am schockierendsten sind jedoch sicher die Reaktion von Abrams Mutter, die sich offen gegen ihren Sohn stellt.
Der entlarvende Blick auf die Mentalität und Doppelmoral einer Gemeinschaft ist dann auch nicht eindeutig auf das namenlose bayrische Dorf bezogen, sondern die Geschichte hätte wohl auch jedes andere Dorf auf der Welt repräsentieren können. Und da ich ja auch meine Jugend am Lande verbringen durfte, kann ich behaupten, dass sich Jahrzehnte danach nicht wirklich viel davon geändert hat und die Mauern in den Köpfen der Leute trotz moderner Kommunikationsmöglichkeiten noch nicht gänzlich eingerissen wurden. Auch Institutionen wie die Kirche und politische Parteien machen mit dem Thema immer noch politisches Kleingeld und wer ab und an Kommentare in Online-Foren liest, der wird feststellen, dass braunes Gedankengut noch immer stark präsent ist und viele auch nicht davor scheuen, mit ihrer Engstirnigkeit auch noch hausieren zu gehen.
Regisseur Peter Fleischmann ist aber auch danach ein unbequemer Filmemacher geblieben und hat noch allerlei seltsame Filme abgeliefert. So drehte er im Jahre 1974 die Groteske „Dorotheas Rache“, die seine Antwort auf die Vielzahl von Reportfilmen, die unter dem Deckmantel der Aufklärung nackte Tatsachen präsentierten, wobei im Falle von Fleischmann der Zuschauer wohl eher nicht auf seine Kosten kommt. Es folgten der Politthriller „Der dritte Grad“ mit Mario Adorf“ , bevor Fleischmann mit „Die Hamburger Krankheit“ eine ebenfalls sehr seltsame Mischung aus Endzeit, Sci-Fi-Drama und Heimatfilm ablieferte, in der sich eine Handvoll Protagonisten auf den Weg durch ein verseuchtes Deutschland machen und mit allerlei deutscher Befindlichkeiten konfrontiert wurden.
Das „Jagdszenen aus Niederbayern“ derzeit aber wieder in aller Munde ist, haben wir dem Label EuroVideo zu verdanken, die den Streifen im Februar 2012 in der wiederauferlebten „Kino Kontrovers“-Reihe gebracht haben und dabei wirklich ein wunderbares Rundum-Paket in Form eines Mediabooks gezimmert haben. Neben dem Hauptfilm als Blu-Ray, gibt es auch noch eine zweite DVD, auf der sich nicht nur ein höchst interessantes Interview mit Peter Fleischmann befindet, sondern auch noch allerlei anderes Material wie z.B. die originalgetreuen Leserbriefe findet, die auch die seinerzeitigen Kontroversen näher beleuchten und einem bisweilen den Schauer über den Rücken laufen lassen.
Unterm Strich ist Peter Fleischmann mit „Jagdszenen aus Niederbayern“ ein sehr mutiger Film gelungen, der schon Jahrzehnte vor Michael Hanekes „Das weiße Band“ die vermeintliche Idylle und Zusammenhalt am Land in einem ganz anderen Licht präsentiert, in dem Andersartigkeit keine Platz findet. Der teils mit Laienschauspielern inszenierte Film hat jedenfalls auch heute noch nichts von seiner verstörenden Kraft verloren und das Schicksal von Abram und die Tatsache mit welcher Leichtigkeit sich eine falsche Dynamik entwickeln kann, lässt dem aufgeschlossenen Zuschauer auch heutzutage noch den Atem stocken. Dass der unbequeme Film dann auch heutzutage noch kaum auszuhalten ist und das Theaterstück auch immer noch aufgeführt wird, spricht für seine universelle Geschichte und zeitlose Qualität. Pflicht!
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8548
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