project: equinoX Forum

Am letzten Tag vor den Frühlingsferien betritt die junge Lehrerin Yuko Moriguchi den Klassenraum und beginnt wie immer mit freundlich distanzierter Art den Unterricht. Doch die Schüler kümmern sich lieber um SMS und andere Dinge, während die Pädagogin beiläufig die Geschichte von einem HIV-infizierten Lehrer und dem Unfall-Tod ihrer kleinen Tochter im Schul-eigenen Pool erzählt. Doch entgegen der Ermittlungsarbeit der Polizei, weiß Moriguchi, dass ihrer Tochter von zwei strafunmündigen Schülern ihrer eigenen Klasse ermordet wurde, denen sie vor der Stunde HIV-infiziertes Blut in die Schulmilch injiziert hat.

Obwohl die Lehrerin die beiden Schüler nur als „Schüler A“ und „Schüler B“ bezeichnet und keine weiteren Namen nennt, sind diese durch die Angaben von den 35 Klassenkameraden schnell enttarnt und beide Schüler leugnen weder die Tat, noch zeigen sie einen Anflug von Reue und wissen, dass sie strafrechtlich nicht verurteilt werden können. Doch obwohl Moriguchi die Klasse nach den Ferien nicht mehr unterrichtet, so hat sie doch den Grundstein für ihren perfiden Racheplan gelegt, der den beiden  Schuldigen den Wert des Lebens wieder vermitteln soll.

Während sich „Schüler B“ mental nicht mehr in der Lage ist, den Unterricht zu besuchen,  Psychosen entwickelt,  von der Umwelt abschottet und damit auch seine Mutter ins Unglück stürzt, scheint der hochbegabte „Schüler A“  die ganze Sache unbeschadet überstanden zu haben. Dieser verliebt sich sogar in die introvertierte Klassensprecherin, die sich ihrerseits für den Jungen interessiert.  Doch als nach und nach die tatsächlichen Beweggründe der Tat offengelegt werden, steuern die Schüler einem tragischen Höhepunkt entgegen und auch Moriguchi ist mit ihrem eigentlichen Plan noch lange nicht am Ende…   

Die technisierte und leistungsorientierte Gesellschaft hat es für die heranwachsenden Generationen nicht gerade einfacher gemacht, einfach nur Kind zu sein. Und wo unsereiner von der 30+Fraktion noch mangels ordentlich TV-Programm im Wald und auf Wiesen gespielt hat, gibt es heute Gruppenzwang, Internet, Facebook, Rund-um-die-Uhr-TV-Programm und Elternteile, die beide ganztägig arbeiten müssen, um mitsamt dem Nachwuchs nicht unter die Armutsgrenze zu schlittern. Und diese Probleme, dass sich Elternteile nicht mehr um ihren Nachwuchs kümmern und zunehmend die Erziehungsarbeit an Institutionen abzuschieben versuchen, macht es für orientierungslose Teenager in der schwierigsten Zeit ihres Lebens auch nicht einfacher.

Auch in dem Psycho-Thriller „Geständnisse“ von Regisseur Tetsuya Nakashima kümmern sich die 37 Schüler der Klasse von Yuko Moriguchi lieber um ihre Handys und Facebook-Accounts, als um den Lehrkörper und dessen Versuch, den Kindern Ideale und Werte zu vermitteln.  Und selbst als alleinerziehende Moriguchi beiläufig von dem Tod ihres Kindes erzählt, ist die Empathie der Schüler anfänglich durchaus begrenzt. Das ändert sich, als Moriguchi zwei Schüler des heimtückischen Mordes bezichtigt und langsam das Gruppengefüge der Klasse ins Wanken bringt. Danach nehmen die Dinge ihren Lauf und ein heimtückischer Racheplan nimmt seinen Lauf.

Der Streifen nach einer Romanverlage von Kanae Minato ist ja wirklich starker Tobak und scheut auch vor sehr unbequemen Themen wie Gewalt von und unterhalb strafunmündigen Jugendlichen nicht zurück. „Geständnisse“ zeigt in hypnotischen Bildern den moralisch verkommenen Stand der jungen Bevölkerung, der jegliche Form von Empathie abhanden gekommen ist und  in der das Individuum scheinbar nur noch mit drastischen Aktionen die Möglichkeit hat, aus der Masse herauszustechend, Aufmerksamkeit und Respekt zu erlangen. Nahezu jede Person in dem Streifen scheint moralisch verkommen und macht sich in irgendeiner Form am Mobbing bis hin zum Tod von anderen Menschen mitschuldig.

Der Rachethriller ist dann auch wirklich sehr außergewöhnlich erzählt und lässt die Darsteller in den titelgebenden Geständnissen die originelle Geschichte erzählen und während die Personen immer mehr Licht ins Dunkel der abgründigen Seelenleben der Protagonisten bringen, montiert Nakashima ruhige und hypnotische Zeitlupenaufnahmen, die nahezu den Großteil der knapp 100 Minuten ausmachen und immer wieder von scharfen Schnitten unterbrochen werden. Die Bildkompositionen sind schlichtweg atemberaubend und in Kombination mit dem Soundtrack von Alternative-Bands wie  „Radiohead“ und „The XX“ entsteht ein düsteres und zugleich faszinierendes Werk, das wohl keinen Zuschauer unberührt lassen wird.

Die einzigen Bedenken, die ich im Vorfeld hatte war die Sache mit der HIV-Thematik in der Schulmilch, bei der man als aufgeklärter Mensch ja irgendwie nur den Kopf schütteln kann. Doch gerade die durch die Unwissenheit der jungen Schüler ausgelöste Panik und das Stigmata einer HIV-Erkrankung ist eben auch Teil von Moriguchis Plan und stellt wieder einmal die noch immer vorherrschende Unwissenheit über die Immunerkrankung und ihren Ansteckungsmöglichkeiten auf bedrückende Weise dar.

Der Streifen war in seinem Entstehungsland mit seiner Thematik und trotz einer relativ hohen Freigabe auch ein Überraschungserfolg und zählt in Japan auch zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres 2010. Irgendwie erinnert mich der Film auch an „Battle Royale“, auch wenn in Nakashimas Werk die gezeigte Härte in Grenzen hält und sich vielmehr im Kopf des Betrachters abspielt und ihn erschaudern lässt.  „Geständnisse“ ist dann auch diese Art von Film, den man neben den aufgeschlossenen Arthouse-Publikum eigentlich auch jedem  Thrillerfan empfehlen würde, auch wenn man weiß, dass es asiatische Filme in unseren Breiten ja trotz J-Horrorboom noch immer schwer haben. Es würde mich aber gerade im Fall von „Kohuhaku“ auch nicht wundern, wenn hier auch bald ein abgeschwächtes und mainstreamigeres Remake kommen würde.

Die Blu-Ray-Disc aus dem Hause „Rapid Eye Movies“ bringt den empfehlenswerten Streifen nicht nur ungekürzt in bester Bild- und Tonqualität, sondern auch mit einer deutschen Synchronisation, die ebenfalls sehr gelungen ist. Der Bonusbereich ist ebenfalls überzeugend und im knapp siebzigminütigen „Making Of“ bekommt der Zuschauer auch einen interessanten Einblick in die Dreharbeiten und den Hype in Japan. Eine weiteres Featurette und zahlreiche Trailer aus dem Programm des sympathischen Labels rund die Scheibe harmonisch ab.

Unterm Strich bleibt ein absolut gelungenes Psychodrama mit hypnotischen Bildern und einer Geschichte, die gleich mehrfach unbequeme Themen anrührt. Und wo andere Regisseure einen dramatischen Film für Erwachsene geschaffen hätten, geht Nakashima ein paar Effektivitätsgrade höher und schafft mit seinem Zeitlupen-artigen Bildersog in Kombination mit ruhigen Worten ein schockierendes und wachrüttelndes Statement gegen die Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft  und zugleich ein Plädoyer für den Wert des Lebens. Nach „Cold Fish“ ist „Geständnisse“ dann auch der nächste Kracher aus dem Hause „REM“, der hier dann auch uneingeschränkt empfohlen wird. Sensationeller, hypnotischer und vor allem ungewöhnlicher Streifen, der auch in meiner persönlichen Jahrescharts ganz oben zu finden sein wird.