project: equinoX Forum

Der elfjährige Tommi (Alessandro Morace) lebt mit seiner älteren Schwester Viola (Marta Nobili) und seinem Vater, dem freiberuflichen Kameramann Renato (Kim Rossi Stuart) in einer kleinen Wohnung in Rom. Obwohl Tommi lieber Fußball spielen möchte, ist er auf Drängen seines cholerischen Vaters in einem Schwimmverein und absolviert dort sein Training. Auch in der Schule läuft es eher mittelmäßig und anstatt die Zeit mit gleichaltrigen Jungen zu verbringen, streift er lieber in der Gegend umher und beobachtet mit einem Fernrohr die Nachbarschaft vom Dach des Wohnhauses aus.

Renato hat nie verwunden, dass ihn Stefania (Barbora Bobulova), die leibliche Mutter seiner Kinder verlassen hat und es kommt immer wieder zu Konfrontationen. Dennoch verliert der aufgeweckte Junge nie den Mut und macht stets das Beste aus jeder noch so misslichen Situation und sieht über die Fehler und Schwächen seines Erzeugers hinweg. Als Stefania jedoch eines Tages tränenüberströmt vor der Türe steht und zu Renato und ihren Kinder zurück möchte, kommt es zwischen den Beiden neuerlich zu einem heftigen Streit vor den Kindern. Als Stefania trotzdem bleibt ist Tommi im Gegensatz zu seiner Schwester wenig begeistert, da diese schon zu oft plötzlich aus seinem Leben verschwunden ist.

Als Tommi eines Tages den Nachbarjungen Antonio kennen lernt, erfährt er zum ersten Mal, wie es in einer harmonischen Familie zugeht und verbringt er sehr zum Missfallen seines Vaters sehr viel Zeit bei den wohlhabenden Nachbarn. Als Stefania neuerlich verschwindet und Tommi seinen Vater gesteht, dass er am Schwimmen kein Interesse hat, kommt es darauf zu einem wüsten Streit, bei dem Antonio dem Junge unschöne Dinge an den Kopf wirft. Der flüchtet verstört zu den Nachbarn, nur um wenige Stunden später wieder zu seiner Familie zurück zu kehren…

Über das italienische Drama „Anche libero va bene“ bzw. „Lieber wär ich Libero“ aus dem Jahre 2006 etwas zu schreiben ist gar nicht so einfach. Denn einerseits ist der Film eigentlich sehr gut ausgefallen und auch die tollen Darsteller und Regie bieten keinen Anlass zur Kritik. Andererseits hat mich die sehr realistische und traurige Geschichte über den Jungen und dessen Vater irgendwie vollkommen auf dem falschen Fuß erwischt, sodass es mir schwer fällt, unbefangen über den Film zu urteilen.

Denn auch wenn der ruhige und besonnene Tommi im Film stets das Beste aus seinem Leben macht, so sind die Umstände, unter denen er aufwachsen muss, alles andere als harmonisch und vor allem der Vater Renato, der auch von Regisseur Kim Rossi Stuart verkörpert wird, ist ein derartiger Kotzbrocken vor dem Herrn, dem man dem am liebsten die Fürsorge ins Haus und alles Mögliche an den Hals wünscht. Einerseits möchte er wohl ein Übervater sein, während er andererseits seine Kinder als Sündenböcke für sein verpfuschtes Leben verantwortlich macht und gar nicht bemerkt, wie sehr er seinen Kindern eigentlich damit verletzt.

Und bei psychischer und physischer Gewalt gegen Kinder bin ich ja bisweilen etwas übersensibel und meine Reizschwelle auch dementsprechend gering. Und das Verhalten des Vaters lässt sich imho einfach aus keinem einzigen Grund entschuldigen und deswegen fand ich den Film einfach furchtbar, genauso furchtbar, wie sich der junge Tommi so seinem Schicksal ergibt und mangels elterlichen Halt zum Einzelgänger wird, der einfach nicht erfahren darf, dass man Konflikte auch auf normale Weise lösen kann.

Wer nicht das Glück hatte in einer harmonischen Familie heranzuwachsen wird sich bei „Lieber wär ich Libero“ wohl auch unweigerlich an die eigene Vergangenheit erinnert fühlen.  Aber das ist von dem Episoden-haften und dennoch realitätsnahen Streifen auch durchaus beabsichtigt und funktioniert auch zweifelsfrei sehr gut. Ein angenehmer Streifen ist „Lieber wär ich Libero“ ja nicht geworden, auch wenn im Verlauf der Handlung schon auch immer ein gewisser Grad an Optimismus mitschwingt und sich der Junge nicht unterkriegen lässt und eher wie ein Erwachsener agiert, als die Erwachsenen selbst.

Kim Rossi Stuart, der Sohn des Schauspielers Giacomo Rossi Stuart („Die Grotte der vergessenen Leichen“ der dem deutschen Fernsehpublikum vor allem durch die Fantasy-Serie „Prinzessin Fantaghiro“ bekannt sein dürfte, hat sich für das Drehbuch zu seinem Regie-Debüt ja leider ein sehr trauriges und aktuelles Thema ausgesucht und auch sehr gut umgesetzt. Das Werk wurde dann auch recht gut aufgenommen und wurde auf einigen Festivals mit Preisen ausgezeichnet, auch wenn manche Kritiker bemängelt haben, dass sich der Film doch etwas zu sehr auf seine lauten Momente konzentriert, die er eigentlich gar nicht nötig gehabt hätte.

An den Schauspielern gibt es jedenfalls nichts zu bemängeln und vor allem Alessandro Morace als Tommi ist schlichtweg sensationell. Dieser spielt den kämpferischen Elfjährigen so derart glaubwürdig, dass man wirklich vergisst, dass es sich dabei nur um einen Film handelt. Auch Kim Rossi Stuart, der natürlich keine Sympathien auf seiner Seite hat ist abseits aller Aversionen gegen seine Rolle natürlich ebenfalls gut und auch die ganzen Nebendarsteller sind gut besetzt und bieten keinen Anlass zur Kritik.

Auch die DVD aus dem Hause CMV-Laservision bietet den Streifen in solider Bild- und Tonqualität, die für den aufgeschlossenen Filmfreund außer dem Fehlen von deutschen Untertiteln zur italienischen Originalversion keine Kritikpunkte bietet. Neben dem obligatorischen Wende-Cover bietet die Scheibe auch noch ein kurzes „Behind the Scenes“, entfallene Szenen, sowie Programmtrailer und die obligatorische Bildergalerie.

Unterm Strich bleibt ein gutes, aber schon auch sehr unangenehmes und unbequemes Drama über einen Jungen, der in einer zerrütteten Familie nicht richtig Kind sein kann und sich trotz allerlei Widrigkeiten und cholerischen Vater durchs Leben kämpft und sich auch von niemanden unterkriegen lässt. Ein Streifen, der sicherlich nicht einfach zu konsumieren ist und der manchen Betrachter auch zwangsläufig mit unschönen Erinnerungen aus der eigenen Kindheit konfrontieren wird. Abgesehen davon ist „Lieber wär ich Libero“ aber sicher ein absolutes Highlight in der oftmals etwas abgedroschenen „Coming-of-Age“-Kiste.