project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
Sie sind nicht angemeldet.
Der fünfzehnjährige Schulabgänger Mike (John Moulder-Brown) tritt in einer heruntergekommenen Londoner Badeanstalt seinen ersten Job als Badewärter an und trifft dort neben weiteren Kollegen auch auf die attraktive Sue (Jane Asher). Diese betreut den Frauentrakt des Bades und erklärt dem unerfahrenen Jungen seine tägliche Arbeit, die größtenteils daraus besteht, die sanitären Einrichtungen zu reinigen, für Ordnung zu sorgen und den Besuchern frische Handtücher und Shampoo zu bringen. Schon wenig später erfährt der junge Mann jedoch von seiner Kollegin, dass es in dem Bad durchaus üblich ist, sich mit speziellen Diensten das spärliche Gehalt aufzubessern und obwohl Mike von dieser Idee angewidert ist, wird er schon wenig später von einer drallen Blondine auf eindeutige Weise bedrängt.
Dieses Erlebnis ist jedoch bald einmal vergessen und Mike beginnt sich zunehmend für seine Kollegin zu interessieren. Er verfolgt diese und erfährt, dass diese nicht nur mit dem reichen und auch reichlich unsympathischen Chris (Christopher Sandford) verlobt ist, sondern auch mit dem ehemaligen Lehrer (Karl Michael Vogler) von Mike eine Affäre hat. Das hindert den jungen Badewärter jedoch nicht, ebenfalls Besitzansprüche an Sue zu stellen und sich zunehmend in ihr Leben zu drängen. Diese ist zwar einerseits von den Bemühungen des jungen Mannes genervt, genießt aber andererseits auch die Aufmerksamkeit und beginnt ein erotisches Spiel mit dem Jungen. Sie provoziert ihn öffentlich und weist ihn in der nächsten Sekunde wieder schroff zurück. Doch Mike lässt sich nicht beirren, beginnt zunehmend ein obsessives Verhalten zu entwickeln und als er sich endlich am Ziel seiner Träume sieht, nimmt alles eine tragische Wendung…
Der Streifen „Deep End“ des polnischen Regisseurs Jerzy Skolimowski ist in mehrfacher Hinsicht ein doch etwas ungewöhnlicher Film. So ist der 1970 entstandene Film mit seiner Geschichte zwar ein typischer Vertreter eines sogenannten „Coming-of-Age“-Streifen, präsentiert jedoch nebenher auch auf interessante Weise das unbeschwerte Lebensgefühl der endenden Sechzigerjahre. Trotz der englischer Thematik wurde „Deep End“ größtenteils mit deutschen Geldern und deutschen Schauspielern in München gedreht und bietet nebenher auch einen Soundtrack der Krautrocker Can, sowie einen Titelsong aus der Feder des Liedermachers Cat Stevens, als sich dieser noch so nannte.
Die Geschichte über einen heranwachsenden Jungen, der seine Sexualität entdeckt und sich in das falsche Mädchen verliebt, die schamlos mit dessen Gefühlen spielt ist dabei gar nicht mal so neu und der ganze Streifen ist auch stark episodenhaft angelegt. Doch Regisseur und Drehbuchautor Jerzy Skolimowski schafft es scheinbar mühelos, sämtliche Genre-Konventionen und -Gefahren zu umschiffen und hat einen Film geschaffen, in dem selbst sensible Themen mit einer ungeahnten Leichtigkeit und Glaubwürdigkeit daherkommt, die vergleichbaren Filmen oftmals so fehlt. Denn auch wenn „Deep End“ zunehmend auf ein zunehmend dramatisches Finale hinausläuft, so ist der Streifen doch nie zu düster und trägt auch immer humoristische und gegen Ende auch stark surrealistische Züge in sich.
Als Vergleich drängen sich dann auch die frühen Filme wie z.B. „Das Messer im Wasser“ von dem polnischen Regie-Kollegen Roman Polanski auf und auch der Klassiker „Blow Up“ von Michelangelo Antonioni hat den Regisseur offensichtlich stark beeinflusst. Dient bei Antonionis Werk ein loses Thriller-Handlungsgerüst über einen vermeintlichen Mord dazu, das Lebensgefühl einer ganzen Generation in den „Swingin´ Sixties“ zu portraitieren, so nutzt Skolimowski seine Geschichte des Heranwachsens für den gleichen Zweck und zeigt ein pulsierendes und buntes London am Ende der Sechzigerjahre, in dem Tradition, Aufbruch und sexuelle Befreiung kraftvoll aufeinander prallen und nicht ohne Folgen bleiben.
Dabei ist der Streifen ja gar nicht mal so englisch wie er scheint und wurde – wie man in der interessanten Featurette „Starting out“ ersehen kann - größtenteils in Deutschland gedreht. So fand man ein altes Volksbad mitten in München, in dessen Nebentrakt die meisten Szenen des Films gedreht wurden. Zu diesem Zwecke wurden die Räume vom Ausstatter extra noch auf britisch getrimmt, was auch zweifelsfrei sehr gut gelungen ist. Auch die winterlichen Szenen im Park wurden wider Erwarten im Münchner April gedreht, bevor das vorwiegend aus deutschen Mitarbeitern bestehenden Team nach London geflogen wurde, um in wenigen Tagen in ehemaligen Londoner Rotlicht-Viertel Soho die notwendigen Außenaufnahmen zu drehen.
Auch bei den Darstellern hat man ein gutes Händchen bewiesen und zwei Hauptdarsteller gecastet, bei denen die Chemie auf der Leinwand einfach stimmt. John Moulder-Brown („Das Versteck“ und „Cirkus der Vampire“) war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 17 Jahre und hatte bereits einige Erfolge zu verbuchen. Die hübsche, wie talentierte Jane Asher war hingegen bereits ein sehr bekannter Star und als damalige Freundin von John McCartney ein unverzichtbarer Bestandteil sämtlicher Klatschspalten. Beide agieren jedoch stets glaubwürdig und freizügig und das die Dialoge zum großen Teil improvisiert wurden, lässt die ganze Sache sehr natürlich erscheinen. In den Nebenrollen gibt es dann wie bereits erwähnt einige deutsche Gesichter zu bestaunen, allen voran Serien-Veteranin Louise Martini als Prostituierte (!) Beata, sowie Karl Michael Vogler als Lehrer mit zweifelhaften Erziehungsmethoden und Hang zu jungen Mädchen.
Die ganz genauen Umstände sind mir ja nicht bekannt, aber offensichtlich galt der Streifen auch lange Zeit als verschollen und offensichtlich war die englische VHS-Kassette neben einer Free-TV-Austrahlung in den Siebzigern, sowie die damalige Kinoauswertung bislang die einzige Möglichkeit, den Film auch tatsächlich zu sehen. Doch das hat sich nun geändert und der Streifen wurde aufwendig restauriert und wird nun mit aufwendigem Bonusmaterial unter die Leute gebracht. Sämtlicher Aufwand hat sich auch definitiv gelohnt und „Deep End“ kann jetzt schon zu den absoluten VÖ-Highlights des bisherigen Jahres gezählt werden.
Die Bild- und Tonqualität ist auch sehr gut und bietet den bunten Streifen in sensationeller Qualität. Auch das Bonusmaterial kann sich definitiv sehen lassen und die bereits erwähnte Doku ist ein absolutes Highlight, das alle Aspekte des Filmes beleuchtet und dabei auch noch schwer unterhaltsam ist. Neben dem englischen Trailer gibt es dann noch ein zwölfminütiges Featurette über Erinnerungen an entfallene Szenen, sowie eine ausführliche Bildergalerie, die mit Musik aus dem Soundtrack unterlegt ist.
Unterm Strich ist „Deep End“ ein sehr empfehlenswerter Streifen irgendwo zwischen Drama, Komödie, „Coming-of-Age“ und Sozialreport, der teils humorvoll, dann wieder ganz dramatisch und teils sehr surreal eine Geschichte über das Heranwachsen erzählt. Diese ist teils zwar etwas episodenhaft ausgefallen, aber deswegen nicht minder interessant. Ein absolutes Paradebeispiel an europäischem Kunstkino mit tollen Darstellern und Soundtrack, wie es wohl auch nur zu dieser Zeit entstehen konnte. Ein faszinierendes Werk für den aufgeschlossenen Cineasten, dem dieses Werk dann auch ausdrücklich empfohlen ist!
Offline
@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8062
Offline