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Seit Anbeginn der Kinogeschichte sind Musik und bewegte Bilder untrennbar miteinander verbunden. Stummfilme wurde mit Live-Klaviermusik begleitet und seit dem Tonfilm gibt es kaum einen Streifen, in dem nicht Musik und Geräuschbegleitung in irgendeiner Art und Weise als begleitendes Stilelement eine Rolle spielen. Und so hat sich der Zuschauer mit seinen Sehgewohnheiten im Lauf der Jahrzehnte auch völlig daran gewöhnt, dass spannende und dramatische Szenen, insbesondere beim Horrorfilm mit Musik oder Geräuschen, Kinderliedern und Melodien unterlegt sind, die diese Momente dann natürlich entsprechend unterstreichen sollen.
Frank Hentschel geht in seinem Buch „Töne der Angst – die Musik im Horrorfilm“ der sehr interessanten Frage nach, inwieweit Musik in diesen Filmen eine wesentliche Rolle als begleitendes Stilelement spielen. Und so wie sich auch der Horrorfilm ab den Siebzigerjahren immer wieder herkömmlichen Konventionen widersetzte und Themen wie Politik, Sexualität und Gewalt durchaus tabubrechend begegnete, so ist auch die Musik in diesem Filmen oft gegen gängige Normen und Hörgewohnheiten gestaltet um den Zuschauer auch in akustischer Form einen Grad der Verunsicherung zu bescheren. Im Gegensatz zu Massen-kompatiblen Filmen wurde auch hier im Musik- und Tonbereich vielfach experimentiert und auf sogenannte „Neue Musik“ zurückgegriffen, die sich ebenfalls Traditionen verweigert und bewusst auf konventionelle Tonabfolgen verzichtet.
Die Art und Weise, wie sich Frank Hentschel dabei diesem sehr komplexen Thema nähert ist zwar sehr speziell und einige Erfahrungen im Musikbereich sind sicherlich nicht schlecht, dennoch ist das Buch auch ohne musikwissenschaftlichen Background sehr interessant ausgefallen , auch wenn ich persönlich schon das ein oder andere Mal Wikipedia bemühen musste. Sicherlich ist „Töne der Angst – die Musik im Horrorfilm“ alles andere als leichte Kost und durchaus etwas „anstrengend“ (im positiven Sinn) geschrieben, doch wer sich auf das Thema einlässt, wird mit einem sehr tiefgehenden und ausführlichen Blick in die Welt der Filmmusik belohnt, dass selbst den aufgeschlossensten Horrorfilmfan neue Facetten in diesem Gebiet eröffnen wird.
Nach einer mehrseitigen Einleitung über das Thema im Allgemeinen widmet sich der erste große Bereich des Buches der sogenannten „Neuen Musik“. Unter diesem Titel werden die unterschiedlichen Richtungen der „ernsten Musik“ (sprich, das Gegenteil der sogenannten Unterhaltungsmusik) zusammengefasst, die sich im 20. Und 21 Jahrhundert entwickelt hat und in der sich Musiker bewusst von althergebrachter, klassischer Musik abgrenzten und sogar bewusst distanzierten. In diesem Kapitel werden neben einem Diskurs über die Tendenzen des Siebziger-Jahre-Horrorfilms vor allem das Sound-Design der beiden Streifen „Der Exorzist“ von William Friedkin und Stanley Kubriks „The Shining“ näher betrachtet, in denen Komponisten der „Neuen Musik“ eine Rolle spielen.
Im zweiten großen Teil des Buches beschäftigst sich Frank Hentschel dann mit dem Geräusch bzw. der Abgrenzung von Filmmusik und der „handlungsbedingten Klangkulisse“, die durch Drehort bzw. Handlungen der Protagonisten hervorgerufen werden. Hier wird dann „The Texas Chain Saw Massacre“ hervorgehoben, dass mit zahlreichen Geräuschen aufwartet, die den Terror-Aspekt der Handlung und die Hilflosigkeit der Hauptdarstellerin, die in die Hände einer degenerierten Familie fällt, noch zusätzlich unterstreichen. Auch in David Lynchs experimentellen Horrorfilm „Eraserhead“ spielt die Geräuschkulisse eine große Rolle und sorgt dafür, dass der Zuschauer immer tiefer in den hypnotischen Sog aus strangen Bildern und seltsamen Tönen abgleitet.
Im dritten, großen Teil des Buches geht es um Atonalität, Geräusch und Elektronik vor 1970, zu einer Zeit, in der der Begriff der „Neuen Musik“ noch nicht so gefestigt war. In diesem Kapitel werden auch einige Filme von Hitchcock erwähnt, wie z.B. „Vertigo“, in denen der Klang elektronischer Orgeln und ihren „geisterhaften“ Klang bzw. deren Wirkung auf das an akustische Musikinstrumente gewöhnte Publikum näher eingegangen wird. Weitere Themen sind dann noch die unterschiedlichen Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung und Verfremdung, die damals ja noch in den Kinderschuhen steckte und der 1956 entstandene Streifen „Forbidden Planet“ a.k.a. „Alarm im Weltall, für den als erster Streifen ein vollelektronischer Soundtrack auf den Sci-Fi-Leib geschneidert wurde.
Nach mehreren Seiten mit Szenenfotos aus den abgehandelten Filmen gibt es ein Kapitel über geistliche Musik, in denen auch der Zusammenhang zwischen Religion und Horrorfilm behandelt wird. Dabei geht es nicht nur um die Anziehungskraft des Bösen, sondern auch um das Interesse der Menschheit an übernatürlichen Ereignissen und wie die Religionen diesem Drang begegnen. Hier wird dann natürlich auch „Das Omen“ mit seinen Chorälen erwähnt, aber auch der etwas unbekanntere „Carnival of Souls“ mit seinem doch etwas ungewöhnlichen Orgelsoundtrack näher beleuchtet.
Das Kapitel „Musik der Unschuld: Kinderlieder und Spieluhren“ ist ja quasi selbsterklärend und es ist interessant, wie viele Horrorfilme auf Kinderlieder oder auf recht kurze Sequenzen von Spieluhren und vergleichbaren Apparaturen zurückgreifen um diese eigentlich harmonischen Melodien für gruselige Momente ihrem eigentlichen Zweck zu entfremden. Dieser Frage wird dann mit einer näheren Betrachtung der Filme „The Bad Seed/Böse Saat“, „You better watch out/Teuflische Weihnacht“ und „The Innocents/Schloss des Schreckens“ näher nachgegangen und auch Filme wie Argentos „Profondo Rosso“ und „Black Christmas werden erwähnt, bevor im letzten Kapitel dann ein kurzer Ausblick auf die Verwendung von „Neuer Musik“ im Horrorfilm nach 1980 gemacht wird.
Eigentlich gibt es ja nichts Abstrakteres, als über Musik zu schreiben, aber Frank Hentschel meistert die Sache ja ganz gut und mit „Töne der Angst – Die Musik im Horrorfilm“ ist dem 1968 geborenen Autor die wohl bislang ausführlichste Auseinandersetzung zu diesem doch etwas ungewöhnlichen Thema gelungen, dass für Musik-interessierten Horrorfilmfan dank vielen Filmen sicherlich essentiell ausgefallen ist. Das knapp 250seitige Buch liefert aber nicht nur interessante Einblicke in die Welt der sogenannten „Neuen Musik“, dessen Verwendung im Film und ihren Komponisten, sondern liefert nebenher auch dank mitgelieferter DVD Einblicke in die Welt musikuntermalten Spannungssteigerung und seinen individuellen Möglichkeiten im Genre des Horrorfilms. Auch die Faszination am Bösen im Allgemeinen und die emotionalen und gesellschaftlichen Aspekte werden neben zahllosen Anekdoten abgehandelt und machen das Buch so zu einem interessanten Werk über Horrorfilme, dass man sich gut und gerne ins Regal stellen kann.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=7862
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