project: equinoX Forum

Seit den Dreißiger-Jahren des vorigen Jahrhunderts gibt es mittlerweile Fernsehen bzw. bewegte Bilder in den heimischen Stuben. Was damals jedoch noch eine sensationelle Erfindung war, verkam hierzulande vor allem in den Achtzigern und durch den Boom von Werbe-finanzierten Privatsendern zu einer Art täglich aktualisierter Müllhalde von unterschiedlichsten TV-Formaten, die kostengünstig-realisiert eigentlich nur dazu dienten, die Zeit zwischen den einzelnen Werbeblöcken zu überbrücken und den Zuschauer dabei nur ja nicht geistig in irgendeiner Form zu überfordern.

Und so standen irgendwann einmal quietschbunte Gewinnshows, amerikanische Klamauk-Serien mit Hintergrundgelächter, Infomercials und kostengünstig realisierte Endlos-Daily-Soaps am Programm, die nicht unwesentlich dazu beitrugen, dass der ehemals gute Ruf des Fernsehens kontinuierlich nach unten ging. Und auch heutzutage sind sogenannte Trash-Formate wie „Das Dschungelcamp“, hanebüchene Gerichtsshows und semi-dokumentarisch angehauchte Reality-Soaps noch immer an der Tagesordnung und lassen das Fremdschäm-Barometer in ungeahnte Höhen steigen.

Seit einigen Jahren hat sich zum Glück für jeden halbwegs-anspruchsvollen Konsumenten jedoch auch eine Trendumkehr bei Serien zu mehr Qualität ergeben und die Macher hinter den Sendern, sowie auch renommierte Regisseure entdeckten in den Staaten das Fernsehen zunehmend als Spielwiese von neuen Ideen und Möglichkeiten. Denn während sich im deutschsprachigen Raum die Zensur überall ein Wörtchen mitzureden hat, gibt es in den USA zahlreiche Pay-TV-Sender, die frei von staatlicher Kontrolle (in diesem Fall die FCC) ihrem erwachsenen und zahlenden Publikum Serien anbieten können, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in dieser Form aufgrund von Sexszenen, Gewalt, Drogenkonsum, Flüchen und sonstiger „explicit language“ nicht gesendet werden könnten.

So entstanden in den vergangenen Jahren auch einige großartige Serien, die in Punkto Qualität auch den Vergleich mit der großen Leinwand gar nicht zu scheuen brauchen und auch tabubrechend in Punkto sexueller Darstellung agieren, Serienkiller als Sympathieträger agieren lassen und auch die gezeigte Gewalt auf ein neues, bislang noch nicht dagewesenes Level hievten. Dabei sind diese Serien mittlerweile sogar so gut, dass sich diese nicht nur international gut verkaufen, sondern sogar ihre Zuschauer auf DVD-Veröffentlichungen finden, was für TV-Formate nicht denkbar gewesen wäre.

In dem Büchlein „Fernsehen wider die Tabus – Sex, Gewalt, Zensur und die neuen US-Serien“ beschäftigt sich Autor Ivo Ritzer, seines Zeichens auch Chefredakteur der Kulturzeitschrift „Ikonen“ den modernen Serien-Strömungen des US-Pay-TV und zeichnet dabei nicht nur ein recht interessantes Bild aktueller Beispiele, sondern beschäftigt sich auch mit dem Umfeld, in dem solche, teils- tabubrechenden Serien überhaupt erst entstehen konnten. Beginnend mit Serien wie der weniger bekannten Gefängnisserie „Oz“(1997 – 2003)  und dem mittlerweile legendären Welterfolg „Sex and the City“ (1998 – 2004) des Kabelsenders HBO werden auch Formate wie „Die Sopranos“ (1999 – 2007) und „Six Feet under“ (2001 – 2005) erwähnt, und auch aktuelle und umstrittene Produktionen wie „True Blood“ (2008 - ) und „Blood and Sand“ und „The Walking Dead“  (2010 - ) werden dem Leser näher vorgestellt und die unterschiedlichen Aspekte der Serien beleuchtet.

Auch wenn man all die unterschiedlichen Serien natürlich nicht alle kennen kann, so sind die meisten zumindest vom Titel ein Begriff und es ist schon durchaus interessant, wie einzelne von ihnen tabubrechend agierten. So ist vor allem die freizügige Serie „Sex and the City“ zu erwähnen, bei denen sich die Protagonisten einer Sprache bedienen, die in den Staaten im Fernsehen durchaus nicht üblich ist und auch die ungeschönte Gewaltdarstellung in der Serie „Die Sopranos“ war zur Zeit der Entstehung alles andere als alltäglich. Auch bei den Inhalten gingen diese Serien weit über das hinaus, das bislang im Fernsehen als sendefähig galt und mussten daher teilweise vor der nationalen und internationalen Weitervermarktung an andere Sender entschärft und/oder geändert werden.

Diese oft auch sehr teuren Serien sind ja mittlerweile nicht mehr auf die bloße Ausstrahlung auf einem Sender konzipiert, sondern sollen auch auf anderen Kanälen und Vertriebswegen gewinnbringend vermarktet werden. Und das gelingt auch aufgrund der Qualität der unterschiedlichen Formate recht gut und selbst eine etwaige Zensur wird, wie im Falle von Takashi Miikes Beitrag „Imprint“ zur „Masters of Horror“-Serie („Banned from Cable Broadcast“) dazu verwendet, ein Produkt bei der Zielgruppe entsprechend zu vermarkten und zu verkaufen.

Das Buch ist dann auch aufgrund der farbenfrohen Thematik durchgehend interessant geschrieben, auch wenn der Text wie bei Bertz+Fischer üblich teils etwas hochgestochen daherkommt. „Fernsehen wider die Tabus – Sex, Gewalt, Zensur und die neuen US-Serien“ richtet sich aufgrund der zahlreichen Hintergrundinfos dann schon auch eher an ein (Fach-)Publikum, das sich mit der Materie auch einigermaßen auskennt und nichts gegen zahlreiche Fußnoten hat. Den unterschiedlichen Tabubrüchen wird dabei ebenso nachgegangen, wie der durchaus berechtigten Frage, inwieweit Mainstream-TV-Serien heutzutage überhaupt noch subversiv sein können.

Das Ganze kommt wie schon Marcus Stigleggers „Terrorkino: Angst/Lust und Körperhorror“ im handlichen Poketformat und bietet neben seinem Text auf knapp 130 Seiten auch zahlreiche S/W-Bilder der portraitierten Serien, Infos und ausführliche Anmerkungen. „Fernsehen wider die Tabus“ ist daher für Interessierte auch sehr empfehlenswert und bietet einerseits einen gelungenen Überblick über die Serien, wie auch einen umfassenden Einblick auf die Entstehung und Entwicklung dieser Formate, die Problematik der staatlichen Zensur und weitere Einblicke, die neue Aspekte offenlegen. Einzig und allein das Fehlen einer genaueren Auflistung der unterschiedlichen Serien ist zu verzeichnen, was aufgrund des Taschengeld-freundlichen Preises aber auch zu verschmerzen ist. Tipp!