project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Im Spanien des vorigen Jahrhunderts hat der Industrielle Artur (Sergi Mateu) eine bahnbrechende Linse für Gewehre erfunden, die es ermöglicht, Ziele auf weite Entfernungen zu fokussieren. Doch am Tage der Präsentation mit seiner Geschäftspartnerin Prevert (Martina Gedeck) entdeckt der geschäftige Mann, dass mit seiner Tochter Joana (Barbara Goenaga) etwas nicht in Ordnung ist. Die Ärzte diagnostizieren eine seltene Erkrankung namens Agnosie, die dem jungen Mädchen nicht erlaubt, aufgenommene Reize richtig zu deuten und obwohl Joana einwandfrei hören und sehen kann, so erkennt sie nicht einmal ihren eigenen Vater auf geringe Distanz.
Um ihr dennoch ein normales Leben zu ermöglichen schafft Arthur mit seinen zahlreichen Angestellen in seinem geräumigen Haus einen Platz, in dem sich Joana wohl fühlt und mit Carles (Eduardo Noriega) findet die zur jungen Frau herangewachsene Joana auch einen fürsorglichen Partner. Dennoch scheint sich der Zustand der jungen Frau nicht zu bessern und sie ist trotz einer Therapie ihres Arztes Dr. Meissner (Jack Taylor) ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Als sämtliche Versuche keine Änderung erreichen, fasst Meissner den kühnen Entschluss, dass es das Beste wäre, Joana für drei Tage völlig von jeglichen Reizen abzusondern und in einem eigens dafür hergerichteten Zimmer in vollkommener Dunkelheit und ohne Kontakt zu anderen Menschen sich selbst zu überlassen. Der verzweifelte Arthur und auch Carles willigen der ungewöhnlichen Therapie zu und das Personal beginnt, das Zimmer hermetisch abzuschotten.
Doch Arthur hat neben seiner Tochter noch weitere Probleme am Hals. Da er seine Erfindung nicht industriell verarbeiten möchte und sich aus moralischen Gründen auch weigert, seine Idee an die geschäftstüchtige Prevert zu verkaufen, versucht die durchtriebene Geschäftsfrau auf anderem Wege zu der Erfindung zu kommen. Bei dem Versuch, entsprechende Unterlagen aus dem Büro von Arthur zu stehlen, wird dieser nach keinem Kampf von zwei Männern niedergeschlagen und sterbend zurückgelassen. Doch Prevert weiß, dass Arthur wichtige Details seines Geschäftsgeheimnisses an Joana weitergegeben hat und entwickelt einen perfiden Plan um doch noch an die Erfindung zu gelangen…
Das spanische Kino entwickelt sich für den Filmfreund in den letzten Jahren ja immer mehr zur Anlaufstelle Nummer 1, wenn es im europäischen Kino um ungewöhnliche und interessante Streifen geht. Und egal, ob es sich um gepflegten Grusel a la „Das Waisenhaus“, doppelbödige Thriller wie z.B. „Logic Room“ oder auch Terrorstreifen wie „Kidnapped“ oder den beiden Teilen von „Rec“ handelt, immer ist das Gesamtpaket stimmig und originell und sprechen dennoch die breite Masse ansprechen. Der dramatische Thriller „Agnosia“ von Regisseur Eugenio Miro schlägt da natürlich in dieselbe Kerbe und präsentiert dem Zuschauer eine interessante und ungewöhnliche Geschichte über Misstrauen und Verrat, die auch wunderbar opulent und detailgetreu verfilmt wurde.
In dem ungewöhnlichen Drama „Agnosia“ aus dem Jahre 2010 geht es um eine junge Frau, die im Spanien des vorigen Jahrhunderts an einer seltenen Wahrnehmungsstörung leidet und nach dem gewaltsamen Ableben ihres geliebten Vaters das Ziel eines grausamen Planes wird. Dabei soll ihr mit Hilfe eines zu dieser Tat genötigten Hausdieners ein Geheimnis entlockt werden, dass der jungen Dame unwissentlich von ihrem Vater mitgegeben wurde. Und tatsächlich schafft es der junge Mann das Vertrauen der introvertierten Joana zu gewinnen und verliebt sich in die hübsche Frau, was für alle Beteiligten jedoch weitreichende Konsequenzen hat.
Die durchaus interessante und spannende Geschichte stammt dabei aus der Feder von Antonio Trashorras, der auch das Drehbuch zu dem stimmigen „The Devil´s Backbone“ geschrieben hat, der von Guillermo del Toro mit einer wunderbaren Marisa Paredes und dem ebenfalls mitwirkenden Eduardo Noriega verfilmt wurde. Wie auch in „The Devil´s Backbone“ ist die Geschichte anfänglich eher ruhig und die Spannung steigt kontinuierlich an. Der Zuschauer kann sich im Verlauf des Filmes nie sicher sein, was als nächstes geschieht und das Ende ist ebenfalls unvorhersehbar. Einen reißerischen Thriller sollte man sich jedoch nicht erwarten, da der Film eher dramatische Töne anschlägt und sich neben der Kriminalhandlung auch eher auf das zerrüttete Seelenleben der Darsteller konzentriert.
Was an „Agnosia“ jedoch sofort auffällt, ist der grandiose Look und die tollen Bilder, die von Kameramann Unax Mendia in schwelgerischen Kamerafahrten eingefangen wurde und mit ihrer detailreichen Ausstattung mühelos den Geist vergangener Tage ins heimische Wohnzimmer zaubern. Gedreht wurde u.a. im gotischen Viertel meiner erklärten Lieblingsstadt Barcelona und Lleida und auch die Studioaufnahmen sind für das doch eher schmale Budget ziemlich sensationell.
Auf der technischen Seite gibt es in „Agnosia“ jedenfalls wenig zu bemängeln und auch der unaufdringliche Score, für den sich der Regisseur selbst verantwortlich zeigt, passt hervorragend zu den ruhigen und dramatischen Bildern. Es ist jedenfalls schon etwas verwunderlich, dass Regisseur Eugenio Mira nach seinem doch etwas skurrilen und überdrehten „The Birthday“ mit Corey Feldman in der Hauptrolle als Zweitling nun so einen ruhigen und atmosphärischen Film gezimmert hat, der wohl auch bei der Verleihung der nächsten Goyas die ein- oder andere Rolle spielen wird.
Auch die Darsteller sind sehr gut gewählt und vor allem Eduardo Noriega überzeugt in seiner ambivalenten Rolle als liebender und betrogener Ehemann von Joana. Ihm zur Seite steht Jack Taylor als Hausarzt Meissner, der ja schon seit Jahrzehnten Filme dreht und dem ein oder anderen auch durch seine Mitwirkung in den Filmen von Jess Franco bekannt sein dürfte. Auch der in Spanien sehr bekannte Serien-Darsteller Felix Gomez verkörpert seine Rolle als Hausdiener Carles sehr überzeugend. Interessant ist für den deutschen Zuschauer natürlich die Mitwirkung von Martina Gedeck in einer Nebenrolle als durchtriebene Industrielle. Aber auch hier gibt es nix zu meckern und Frau Gedeck ist wie immer überzeugend.
Genauso überzeugt dann auch die Blu-Ray-Disc aus dem Hause Universum Film. Die Bild- und Tonqualität ist natürlich top und auch die Synchronisation ist sehr gelungen. Wer sich „Agnosia“ jedoch lieber im spanischen Original anschauen möchte, hat mit optionalen Untertiteln auch die Möglichkeit dazu. Im Bonusbereich gibt es ein interessantes Filmtagebuch, sowie unverwendete Szenen. Ein paar Trailer runden das Gesamtbild harmonisch ab, auch wenn es leider kein Wendecover gibt.
Unterm Strich bleibt ein ruhiges und ungewöhnliches Thriller-Drama mit historischen Anleihen, das jedoch wenig mit den Grusel- und Fantasyfilmen aus Spanien der letzten Zeit zu tun hat. Wer sich einen Film, wie die am Cover zitierten „Das Waisenhaus“ oder „Pan´s Labyrinth“ erwartet, ist hier sicher an der falschen Adresse. „Agnosia“ ist zwar technisch ebenfalls sehr gelungen, geht inhaltlich jedoch andere Wege und überzeugt durch seine pessimistische Geschichte, seinen Darstellern und der etwas ungewöhnlichen Erzählweise. Auch das düstere Ende passt hervorragend zum Gesamtbild und macht „Agnosia“ für Euro-Cineasten mit Hang zu Dramen sicher zu einem der interessantesten Werke dieses Sommers. 7/10
Beitrag geändert von jogiwan (28.June 2011 16:37:01)
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=7814
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