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Marcus (Vincent Cassel) und Alex (Monica Bellucci) sind ein glückliches Paar, das in Paris lebt. Eines Tages gehen sie gemeinsam mit ihrem Freund Pierre (Albert Dupontel) auf eine Party, bei der sich zwischen den Beiden ein kleiner Streit entwickelt. Als Alex beschließt die Party ohne ihren Freund zu verlassen um alleine nach Hause zu gehen, wird sie in einer Unterführung von einem Zuhälter brutal vergewaltigt und ins Koma geprügelt. Als Marcus hilflos mit ansehen muss, wie seine Freundin schwer verletzt abtransportiert wird, macht er sich mit seinem Freund auf den Weg um den Täter auf eigene Faust zu stellen. In einer Schwulenbar ist der vermeintlich Schuldige auch rasch gefunden und am Ende des Abends hat eine brutale Tat und ein noch sinnloserer Racheakt das Leben aller Beteiligten für immer zerstört.
An dem französischen Regisseur Gaspar Noé scheiden sich seit nunmehr Jahrzehnten die Geister. Obwohl er seit seinem Debut im Jahre 1985 lediglich drei abendfüllende Streifen und eine Handvoll Kurzfilme und Musikclips geschaffen hat, erhitzt der mittlerweile 47jährige immer wieder Gemüter und sorgt für polarisierende Reaktionen. Die einen halten ihn für einen der radikalsten Filmemacher unserer Zeit mit düsterer Weltanschauung, während ihn andere für einen geschickten Blender halten, der seine banalen Geschichten mit unzumutbarer Härte verpackt um damit Aufmerksamkeit für sich und seine Werke zu erlangen und dem Zuschauer einen Schlag in die Magengrube zu verpassen.
Über den 2002 entstandenen Streifen „Irreversibel“ muss daher eigentlich auch nicht mehr viel gesagt werden und jeder der sich für kontroverses Arthouse-Kino jenseits jeglicher Schmerzgrenzen interessiert, wird diesen Streifen auch gesehen haben. Auch an die angeregten Diskussionen, die in Medien und Internet-Foren über die Zumutbarkeit von Gewaltszenen betrieben wurden, werden sich noch viele erinnern können. „Irreversible“ erwischte bei Erscheinen selbst die hartgesottendsten Gore-Freaks am falschen Fuß, führte zu heftigen Reaktionen und ist auch vielmehr eine Erfahrung, als ein herkömmlicher Film, der man sich nichtsdestotrotz einmal im Leben gestellt haben sollte.
Der Film beginnt neben der Figur des Metzgers aus „Menschenfeind“ mit einer überaus brutalen und berüchtigten Szene im Schwulenclub. Doch zu diesem Zeitpunkt weiß der Zuschauer natürlich nicht, warum Marcus so derart in Rage ist. Und so wird im Zorn auch nicht der richtige Täter gefunden, der das Treiben aus sicherer Distanz erstaunt verfolgt, sondern eine andere Person attackiert. Doch auch Marcus wird von Täter unvermittelt zum Opfer und so ist es nicht einmal der impulsive Marcus, sondern der besonnenere Pierre, der schlussendlich den Feuerlöscher zur Hand nimmt, um damit immer wieder auf den Kopf des vermeintlichen Täters einzuschlagen, bis nur noch eine breiige Masse übrig bleibt.
Doch dieser verabscheuungswürdige Akt sinnloser Brutalität ist nur der Auftakt, denn das wahre Grauen erwartet den Zuschauer in der endlos erscheinenden Vergewaltigung von Alex, die in der Mitte des Streifens das Herzstück von „Irreversibel“ darstellt. Diese Szene ist in ihrer Unerträglichkeit eigentlich unerreicht und zählt neben der gleichartigen Sequenz aus dem Original von „I spit on your grave“ zu den wohl heftigsten Szenen der Filmgeschichte. Erst danach gönnt Noé seinen Figuren Ruhe und der Zuschauer bekommt in teils sehr intimen Momenten die Möglichkeit mehr über sie zu erfahren.
Anders als im herkömmlichen Erzählkino, geht es in „Irreversible“ auch nicht um das „Warum“, denn aufgrund der Tatsache, dass der Streifen rückwärts erzählt wird, sieht der Zuschauer auch immer die Auswirkungen und Konsequenz vor der eigentlichen Ursache. Und obwohl sich auf diese Art und Weise kaum eine emotionale Bindung des Zuschauers zu den Figuren des Films aufbauen kann, verfehlt der Streifen seine Wirkung keinesfalls und auch die harmonischen Zustände mit denen der Streifen endet, hinterlassen beim Zuschauer – der ja zu diesem Zeitpunkt bereits weiß, dass diese Momente des Glücks jäh zerstört werden, ein umso flaueres Gefühl. Obwohl man sich vom Gezeigten distanzieren möchte, gelingt Noé durch seine direkte und schonungslose Inszenierung das Meisterstück, dass dieses unmöglich wirkt und involviert seinen Zuschauer weiter in die brutalen Vorgänge, als es diesem eigentlich lieb ist.
„Irreversibel“ ist dann auch ein Streifen, der auch knapp 10 Jahre nach seinem Erscheinen nur wenig von seiner ursprünglichen Kraft verloren hat. Auch wenn im Jahre 2011 die technischen Spielereien wie z.B. die hysterische Kameraführung, Bildmanipulationen und grobkörnige Optik vertrauter als damals wirken und auch die brutalen Szenen längst im Mainstream-Horror Einzug gefunden haben, so ist der Film optisch und inhaltlich noch immer eine wahre Tortur für den Zuschauer, der schon einiges aushalten muss. Es ist wenig verwunderlich, dass die Reaktionen und Standpunkte noch immer sehr unterschiedlich ausfallen, doch ohne seine ungeschönte und vor allem sehr drastische Gewalt würde „irreversibel“ einfach nicht funktionieren.
Das der Streifen so gut funktioniert liegt neben dem Einsatz von CGI, die jedoch nicht als diese wahrnehmbar sind, dann auch an vor allem an den Darstellern, die allesamt recht authentisch und freizügig agieren. Vincent Cassel und Monica Belluci sind ja mittlerweile auch schon über ein Jahrzehnt skandalfrei miteinander verheiratet und stolze Eltern zwei Kinder. Die Musik von Thomas Bangalter landet immer noch ab und an im Winamp-Player und auch Gaspar Noé ist mit „Enter the Void“ seinem Ruf als Skandal-Filmer treu geblieben, auch wenn der 2009 entstandene Film die Wogen nicht mehr ganz so hoch gehen ließ.
„Irreversibel“ erschien ja eigentlich schon im Jahre 2004 als Nr. 2 der Reihe „Kino Kontrovers“ aus dem Hause Legend, die mittlerweile ebenfalls schon Geschichte ist. Das dieser Text überhaupt erst geschrieben wurde liegt aber daran, dass „Alamode Film“ gemeinsam mit „Universum Film“ nun eine Neu-Auflage des Streifens veröffentlicht haben, die auch mit der bisherigen VÖ ident ist. Und so gibt es neben dem Kurzfilm „Intoxication“ ein kurzes „Making-Of“ über die Entstehung der Special-Effects, unverwendete Szenen, zwei Music-Clips, sowie den Trailer. Abgerundet wird das positive Gesamtbild mit einem schicken Schuber, sowie dem obligatorischen Wendecover.
Unterm Strich bleibt einer der wohl größte Skandalfilm der letzten Jahre, der auch knapp 10 Jahre nach seiner Premiere nichts von seiner immensen Wucht und Kraft verloren hat. Ein provokantes und vor allem unbequemes Werk mit harter Gewalt und verstörenden Szenen, das man zumindest einmal in seinem Leben gesehen haben sollte, auch wenn man ihn danach sicherlich nie mehr vergessen wird. Ein bedrückendes Statement eines wütenden Regisseurs über die unabänderliche Macht des Schicksals, die Sinnlosigkeit von Gewalt und der destruktiven Kraft der Zeit, die alles zu zerstören vermag. Nach herkömmlichen Gesichtspunkten muss man Gaspar Noés Werk dann auch gar nicht mehr bewerten und daher entfällt das auch an dieser Stelle. Meisterwerk – Punkt!
Beitrag geändert von jogiwan (05.June 2011 17:43:52)
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=7697
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