project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Der jüdische Allgemeinmediziner Dr. Daniel Hirsch (Peter Finch) und die Personalberaterin Alex (Glenda Jackson) teilen sich im der von der Wirtschaftskrise gebeutelten London der späten Sechzigerjahre nicht nur einen Telefonservice miteinander, sondern auch noch eine weitere Sache in ihrem Leben: die Liebe zu dem bisexuellen Künstler Bob Elkin (Murray Head), den die beiden durch die Freundschaft zu dem kinderreichen Ehepaar Alva und Bill Hodson kennen gelernt haben. Als dieses gemeinsam mit einem afroamerikanischen Professor über das Wochenende einen Vortrag besuchen möchte, bitten diese Alex und Bob auf ihre fünf Kinder, den Hund, sowie einen Affen aufzupassen. Alex willigt gerne ein, da sie hofft, mit dieser Erfahrung den etwas umtriebigen und freiheitsliebenden Bob näher an sich zu binden, da sie über seine Besuche bei Daniel durchaus Bescheid weiß.
Die fünf Kinder der Hodsons halten die beiden aber durchaus auf Trab und das geplante Wochenende erweist sich als durchaus stressig. Nach einem gemeinsamen Frühstück, bei dem die Kinder Pot rauchen, den die Eltern hinter Schallplatten versteckt haben, wird es dem Künstler zuviel und er flüchtet aus dem Haus in die Arme seines älteren Liebhabers, der sich natürlich über den unerwarteten Besuch des jungen Mannes freut. Auch Daniel weiß über Alex Bescheid, die an diesem Tag traurig zurückbleibt. Am Abend kehrt Bob zurück und hilft der immer noch wütenden Alex nach einem Stromausfall die Sicherungen des alten Hauses wieder in Ordnung zu bringen. Als am nächsten Tag bei einem Ausflug der Hund der Hodsons von einem Lastwagen überfahren wird, fühlt sich Alex durch die traumatisierte Lucy an ein Erlebnis aus ihrer eigenen Kindheit und beschließt für sich selbst, dass sie diese energieraubende Dreieckskiste nicht mehr weiter machen möchte, da Bob ohnehin vor hat, mit seinen Installationen in Amerika Karriere zu machen.
Sie verändert ihren Typ und ist fix davon überzeugt, ihren langweiligen Job zu kündigen, trifft jedoch wenig später auf George, der soeben seinen Job verloren hat. Die beiden verbringen eine Nacht miteinander und Alex gelingt es kurzfristig, sich von der Beziehungsmisere abzulenken. George hingegen ist mit der Planung einer Italienreise für sich und Bob beschäftigt, der sich zur gleichen Zeit aufgrund seiner Abreise bei einem anderen Arzt eine Pockenimpfung geben lässt. Als er daraufhin erkrankt, erfährt auch Daniel von den Absichten seines Liebhabers und ist erzürnt, da der junge Mann nichts von seinen Absichten das Land zu verlassen erzählt hat. Die beiden verbringen eine letzte Nacht miteinander, während Alex bereits ihren Job gekündigt hat, aber Bobs Angebot ausschlägt, gemeinsam für unbestimmte Zeit England zu verlassen. Am darauffolgenden Sonntag treffen Daniel und Alex vor dem Haus der Hodsons zufällig aufeinander. Die beiden reden kurz miteinander und vergewissern sich gegenseitig, ob der gemeinsame Liebhaber auch tatsächlich das Land verlassen hat.
Im Jahre 1970 gewann der britische Regisseur John Schlesinger für sein Außenseiter-Drama „Midnight Cowboy“ mit Dustin Hoffman und Jon Voight in den Hauptrollen bei sieben Nominierungen drei Oscars und war einer der wenigen Filme, der trotz eines damaligen „X-Ratings“ aufgrund des sexuellen Inhalts mehrfach ausgezeichnet wurde. Ein Jahr später wagte sich Schlesinger dann neuerlich an kontroversen Stoff und zeichnet in „Sunday bloody Sunday“ das Bild einer Dreiecksgeschichte zweier Männer und einer Frau, in dem auch die offene Darstellung von Homosexualität eine große Rolle spielt. Auch die Kussszene zwischen zwei männlichen Darstellern war im Jahre 1971 alles andere als üblich und auch wenn der Film für heutige Verhältnisse natürlich zahm und harmlos wirkt, so kam er in einem Entstehungsjahr doch einem Tabubruch gleich.
Die durchaus realistische und auch interessante Geschichte, die frei von Kitsch oder Sentimentalitäten erzählt wird, basiert dabei neben einer Erzählung der englischen Autorin Penelope Gilliatt durchaus auf autobiografischen Erlebnissen des Regisseurs, der als homosexueller Sohn eines jüdischen Arztes in London aufgewachsen ist. Daher ist die Darstellung der Dreieckskiste auch durchaus realistisch und frei von moralischer Bewertungen. Der 1971 entstandene „Sunday bloody Sunday“ hat dann auch nichts mit dem 30. Januar 1972 und als „Blutsonntag“ bezeichnete Tragödie zu tun, bei dem 13 Menschen bei Demonstrationen für Bürgerrechte in der nordirischen Stadt Derry von britischen Soldaten erschossen wurden und das von U2 in ihrem wohl bekanntesten Song „Sunday bloody Sunday“ künstlerisch verarbeitet wurde.
Der Film selbst ist für heutige Verhältnisse zwar sicherlich ruhig und beinahe unspektakulär inszeniert, bleibt aber doch über die Dauer von knapp 110 Minuten spannend. Das liegt daran, dass die Charaktere von Daniel und Alex interessant ausgefallen ist. Daniel ist gutsituiert und Arzt und muss sein Geheimnis doch vor seiner Umwelt bewahren. Die kinderlose Alex hingegen ist für 1971 sehr progressiv, hat eine Scheidung hinter sich und ist dabei, ihre Karriere voranzutreiben. Beide sehen sich zwar nach einer Beziehung, welche jedoch sowohl für Daniel als auch für Alex hinderlich wäre. Und so arrangieren sich beide mit dem aufgeschlossenen Künstler Bob, der sich auch nicht so recht zwischen Mann und Frau entscheiden vermag und sich von beiden Seiten das Beste für sich herausholt.
Während Daniel mit der Situation eigentlich zufrieden ist, möchte Alex jedoch nicht mehr der andauernden Konkurrenz eines Nebenbuhlers ausgesetzt sein und entschließt für sich, ihre Beziehung zu beenden und kommt so dem Künstler zuvor, der kurz davor ist, das Land in Richtung USA zu verlassen. Ihre beginnende Unabhängigkeit äußert sich auch in ihrem veränderte Äußeren und dennoch schafft sie es nicht ganz über den jungen Mann hinweg. In den letzten Minuten des Filmes trauert auch Daniel in einem an den Zuseher gerichteten Monolog über das Ende der Beziehung mit dem jungen Mann, den er nach eigene Aussage nach eigentlich nicht als interessant empfunden hat. Dennoch führten die beiden ein harmonisches Miteinander, dass den vielbeschäftigten Arzt auch vollkommen gereicht hätte.
„Sunday bloody Sunday“ zeichnet also ein Bild von alternativen Beziehungsformen, dass im katholisch-geprägten England in der Wirtschaftskrise sicherlich nicht üblich war. Heutzutage ist es ja völlig normal, sich seine Beziehungsform frei wählen zu können, vor knapp 40 Jahren war das allerdings noch nicht so der Fall und alles abseits von Mann und Frau mit Kind war verpönt bzw. wurde auch von der Kirche als nicht rechtens bezeichnet. John Schlesinger war mit dieser autobiografisch-gefärbten Geschichte auch sicherlich seiner Zeit voraus und portraitiert zwei progressive Charaktere, die sich nicht mehr mit althergebrachten und geschlechterspezifischen Rollenbildern zufrieden geben wollen.
Was mich jedoch am meisten verwundert ist die Tatsache, dass der Streifen von der Kritik so wohlwollend von der Kritik aufgenommen wurde. Durch die Bank wurde der Streifen mit Lob überhäuft und die Darstellung seiner Charaktere gelobt. Auch bei der Oscarverleihung im Jahre 1972 ging der Streifen in der Kategorie „bester Film“, sowie „beste Hauptdarsteller und Hauptdarstellerin“ ins Rennen. Dort musste sich „Sunday Bloody Sunday“ zwar anderen Filmen geschlagen geben, aber für andere Preise, wie z.B. den Golden Globe für den besten ausländischen Film in englischer Sprache, sowie zahlreiche BAFTA-Awards für Regie und die beiden Hauptdarsteller hat es dann aber trotzdem gereicht.
Schlesinger griff bei der Auswahl seiner Schauspieler auch auf absolute Größen zurück. Glenda Jackson war Anfang der Siebziger eine der bekanntesten Schauspielerinnen Großbritanniens und hatte ein Jahr zuvor für ihre Rolle in einem Ken Russell-Film einen Oscar erhalten. Der ebenfalls renommierte Schauspieler Peter Finch war hingegen nicht die erste Wahl, wurde aber genommen, nachdem andere Schauspieler aufgrund der schwulen Kussszene und dem damit verbundenen, möglichen Skandal und etwaigen Karriere-Ende abgewunken hatten. Auch andere Schauspieler hatten Hemmungen in einem Film aufzutreten, der so offen mit kontroversen Themen umgeht. Wer ganz genau hinschaut, kann außerdem auch noch Daniel Day-Lewis als jugendlicher Vandale entdecken, der jedoch in den Credits nicht gelistet ist.
Was jedoch etwas verwundert ist die Tatsache, dass der Streifen im deutschsprachigen Raum bislang nicht veröffentlich wurde. Während andere Werke von John Schlesinger ohne Probleme erhältlich sind, ist „Sunday bloody Sunday“ neben diversen Einsätzen im Free-TV trotz guter Kritiken bislang offensichtlich nicht auf Video oder DVD veröffentlicht worden. Das ändert sich jetzt zum Glück mit der empfehlenswerten Scheibe aus dem Hause CMV-Laservision, die den Streifen in sehr guter Bild- und Tonqualität. Da der Streifen im Jahre 1971 auch in den deutschen Kinos gezeigt wurde, gibt es auch eine gelungene Synchronisation und neben einem Wendecover gibt es auch noch den Originaltrailer, in dem der Film zu Recht über den grünen Klee gelobt wird.
Unterm Strich ist John Schlesinger mit seinem autobiografische gefärbten Werk ein interessantes Bild einer Beziehungsform gelungen, dass wohl seiner Zeit wirklich weit voraus war und für alle Beteiligten aufgrund „tabubrechender“ Darstellung von Homosexualität ein entsprechendes Wagnis war. Am Ende ist ein Skandal natürlich ausgeblieben und „Sunday bloody Sunday“ wurde von der Kritik einhellig als großartige Charakterstudie bezeichnet und rückt Homosexuelle als einer der ersten Filme auch in ein normales und alltägliches Bild. Sicherlich wirkt der Streifen heutzutage nicht mehr aktuell und mit seiner harmlosen Darstellung menschlicher Erotik ist „Sunday bloody Sunday“ auch eher ein etwas altbackenes Drama und Zeitdokument, als progressive Filmkunst. Seine Auswirkung auf die Filmgeschichte und die Millionen von Menschen, die ihn gesehen haben, ist jedoch unbestritten. Prädikat: besonders empfehlenswert!
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review - ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=7106
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