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René Rupnik ist ein Mathematiklehrer und Frauenversteher, der sich am liebsten mit Formeln über den idealen Busen der holden Weiblichkeit auseinandersetzt. Auch sonst macht sich der etwas von Zwängen behaftete René seine ganz speziellen Gedanken zu allerlei Dinge auf diesem Planeten. Die ideale Frau sieht er in der Schauspielerin Senta Berger, die er seit Jahren vergöttert. Um ihr nahe zu sein, hat der über 50 Mal ihre Vorstellung in einem Wiener Theater gesehen und auch tatsächlich geschafft mit ihr in Kontakt zu treten. Doch zu mehr hat es nicht gereicht, da Rene zu schüchtern war um seinem Idol auch seine große Liebe und Verehrung zu gestehen.
Doch in Wirklichkeit ist René arbeitslos und total vereinsamt. Die Begegnung mit Senta Berger entstammt seiner Fantasie und auch seinen Beruf als Lehrer hat der Soziopath längst aufgegeben. Er lebt gemeinsam mit seiner gebrechlichen Mutter in einer heruntergekommenen Gemeindebauwohnung in Wien, die bis oben hin mit alten Zeitschriften zugemüllt ist. Sein Tag besteht aus den ewig gleichen Abläufen und im Sortieren der angehäuften Zeitschriften. Seine Wünsche und Erwartungen an der Seite der perfekten Frau hat sich nicht erfüllt...
Leicht hat es der österreichische Dokumentarfilmer und Filmemacher Ulrich Seidl seinem ohnehin sehr aufgeschlossenen Publikum wohl noch nie gemacht. Egal ob er in seinen Dokumentationen tierliebende Menschen, Gläubige beim Beten oder „wahre“ Männer auf der Suche nach der idealen Frau portraitiert, oder in seinen semidokumentarischen Filmen Personen zeigt, die es im Leben nicht leicht haben – seine Kamera zeigt uns Dinge, die unbequem sind und die man zumeist auch gar nicht sehen möchte. Seidl hält auch dann drauf, wenn es bereits weh tut und man als Zuschauer am liebsten aktiv in das Geschehen eingreifen möchte. Dabei verzichtet Seidl auf jegliche Wertung und überlässt seinen Protagonisten eine Plattform, die sie ansonsten niemals bekommen würden.
Auch in dem 1997 entstandenen Dokumentarfilm „Der Busenfreund“, der eigentlich für den österreichischen Rundfunk entstanden ist, zeigt uns Ulrich Seidl eine Person, die man wohl unter normalen Umständen wohl nicht so einfach zu Gesicht bekommen würde. René Rupnik, ein Messie um die Fünfzig, der sich philosophische Gedanken über das Leben und insbesondere Frauen macht und dessen Leben irgendwann mal in die falsche Richtung gelaufen ist. Von der restlichen Menschheit hat er sich zurückgezogen und fristet vereinsamt und ohne soziale Kontakte ein tristes Leben zwischen nutzlosen Zeitschriften, die er wie einen Schutzwall gegen äußere Einflüsse aufgebaut hat.
Obwohl er die Frauen und insbesondere die Schauspielerin Senta Berger verehrt, hat es mit der holden Weiblichkeit in Renés Leben wohl nicht geklappt. Die einzige Frau in seinem Leben ist seine greise Mutter, die er aber größtenteils ignoriert oder mit seinem Frischlufttick gehörig auf die betagten Nerven geht. Ihren Bedenken, dass René ein Leben in Einsamkeit und Traurigkeit führen wird, schenkt er keine Bedeutung und verbringt seine Tage lieber damit, in Altpapiertonnen und auf der Strasse nach weiteren Zeitschriften zu suchen, die er danach in seinem Zimmer hortet.
„Der Busenfreund“ bietet René nun die Möglichkeit der Welt seine Thesen über perfekte Busen, Frauen an sich und auch andere – teils ärgerliche - Dinge des täglichen Lebens zu offenbaren und der vereinsamte Mensch macht davon auch ausgiebig Gebrauch. Die Aussagen sind dabei recht skurril und zeugen neben einer offensichtlichen Selbstüberschätzung auch von einer zutiefst einseitigen Sichtweise, die vor allem beim weiblichen Publikum wohl nur noch Kopfschütteln auslösen wird. Vor allem seine Aussage, dass eine Frau mit schönen Busen alle Karrieremöglichkeiten offen stehen und dabei „Berufe“ wie Ehefrau und Geliebte vor Augen hat, wird wohl jede feministische Frau in fassungsloses Entsetzen versetzen.
Dabei ist der Film recht interessant gestaltet und Ulrich Seidl offenbart erst im Verlauf der 60minütigen Dokumentation die wahren Lebensumstände des ehemaligen Mathematiklehrers. Hat man zuerst noch den Eindruck es handelt sich tatsächlich um einen Professor, der seinen Schülern auf ungewöhnliche Weise seine mathematischen Formeln nahe bringt, wird mit Verlauf des Filmes immer deutlicher, dass Rene weder einer geregelten Arbeit nachgeht, noch in irgendeiner Form soziale Kontakte pflegt. Erst nach gut der Hälfte des Streifens wird ersichtlich, dass René Messie ist und auch seine Vorliebe für Senta Berger einseitiger Natur ist. Seine Kontakte mit der Schauspielerin sind seiner Fantasie entsprungen und ob er sie tatsächlich jemals in einem Theater gesehen hat, ist ebenso fraglich.
Gar so schockierend ist „Der Busenfreund“ aber zum Glück nicht ausgefallen und im Gegensatz zu seinen späteren Werken halten sich die bedrückenden und unerträglichen Momente eher zurück. Sicherlich ist der Streifen immer noch alles andere als leicht verdaulich und vor allem die Szenen mit der betagten Mutter stimmen schon sehr traurig, trotzdem hat der Streifen auch seine humorvollen Momente. Im Gegensatz zu dem zwei Jahre zuvor entstandenen „Tierische Liebe“, der zwar auch in Kooperation mit dem ORF entstand, aber offensichtlich niemals ausgestrahlt wurde, erinnert „Der Busenfreund“ mit seinem Protagonisten auch eher an seine Doku „Die letzen Männer“ aus dem Jahre 1994, bei dem Seidl einen Lehrer auf der Suche nach einer – seiner Meinung nach - perfekten Frau begleitet.
Jedenfalls kommt einem nicht in den Sinn, dass Ulrich Seidl seinen Hauptdarsteller im gelben Rollkragenpullover und schmierigen Pferdeschwanz in irgendeiner Form bloßstellen würde. Sicherlich muss man sich als mündiger Zuschauer schon mehrmals fragen, warum gerade solche Leute den Filmemacher in ihren intimsten Momenten begleiten lassen und ganz ohne Popo-Shot kommt „Der Busenfreund“ dann auch nicht aus, aber René wird trotz intimer Einblicke und bewusster Selbstinszenierung mit minutenlangen Monologen niemals vorgeführt oder gar der Lächerlichkeit preisgegeben. Vielmehr dürfte gerade der Hauptdarsteller wohl ziemlich stolz auf das Endergebnis sein, in dem er frei von der Leber weg, unkommentiert und unreflektiert seine Sichtweise der Dinge präsentieren darf. Das diese dann oft im krassen Gegensatz zu den gezeigten Bildern stehen und daher auch keiner Erklärung bedürfen, spricht nur für die große Kunst des kontroversen Filmemachers.
Bislang war „Der Busenfreund“ auf DVD lediglich als Bestandteil der im April 2010 veröffentlichen Ulrich-Seidl-Box aus dem Hause „Alamode-Film“ zu haben, in der neben seinen drei bekanntesten Streifen auch noch „Tierische Liebe“ in deutscher Erst-VÖ und das Frühwerk „Der Ball“ beinhaltet war. Nun hat man sich aber dankenswerterweise auch dazu entschlossen, die knapp einstündige Doku aus dem Jahre 1997 auch als Einzel-DVD zu veröffentlichen, damit sich auch Seidl-Fans, die die anderen Werke bereits im Regal stehen haben, den Film in die Sammlung stellen können. Da der Preis auch sehr moderat ausgefallen ist, fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, dass es neben dem Trailer kein weiteres Bonusmaterial auf den Silberling geschafft hat.
Unterm Strich bleibt eine interessante Doku irgendwo zwischen skurrilem Portrait eines sonderbaren Zeitgenossen und trauriger Sozialstudie, die Fans des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl natürlich nicht enttäuschen wird. „Der Busenfreund“ ist die Geschichte eines Mannes, der die Frauen liebt, aber trotzdem irgendwann entschlossen hat, sich von der restlichen Menschheit abzugrenzen um in seine ganz spezielle Fantasiewelt zu flüchten. Und dort fühlt sich René Rupnik mit seinen ganz besonderen Thesen zu den unterschiedlichsten Themen dann wider Erwarten offensichtlich auch ganz wohl. Für Fans natürlich unentbehrlich, als Einstiegs in den Kosmos des kontroversen Filmemachers sind andere Werke wohl besser geeignet. Leider weiß man nicht, was René heutzutage macht und auch was Senta Berger über ihren wohl größten und treuesten Fan denkt, ist ebenfalls nicht überliefert: 7/10 Punkten
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@ Jochen,
vielen Dank nochmals fürs Review - ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?p=7068
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