project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Die junge und verträumte Valerie lebt gemeinsam mit ihrer streng-gläubigen Großmutter in einem großen Haus in einem kleinen tschechischen Dorf. Die einzige Erinnerung, die sie an ihre Mutter hat sind ein paar Ohrringe, die offensichtlich ein seltsames Geheimnis bewahren. Als sie eines Nachts durch Geräusche geweckt wird, sieht sie gerade noch, wie sich ein junger Mann mit den gestohlenen Ohrringen davon macht und als am nächsten Tag Schausteller für eine vorbereitete Hochzeit in das Dorf kommen, scheint sich die Welt, wie sie Valerie kennt auf mysteriöse Weise zu verändern. Ein Bischof mit gar seltsamen Aussehen stellt sich als ihr leiblicher Vater vor, während auch ihre Großmutter eine mysteriöse Verwandlung durchmacht. Neben allerlei seltsamen Menschen und Wesen trifft sie immer wieder auf einen jungen Mann namens Orlik, der sich als ihr Bruder ausgibt und dieser begleitet sie von einer unglaublichen Situation in die nächste, in denen sich die magischen Ohrringe als durchaus nützlich erweisen…
Dass das Heranwachsen nicht immer eine einfache Sache ist, weiß der aufgeschlossene Filmfreund durch zahlreiche Coming-of-Age-Streifen, die es ja mittlerweile zuhauf gibt. Doch in keinem mir bekannten Streifen ist die schwierige Thematik des Erwachsenwerdens in so poetische und träumerische Bilder verpackt worden, wie in Jaromil Jires Horrormärchen „Valerie – eine Woche voller Wunder“, der in traumhaft-schönen Bilder die Geschichte eines jungen Mädchens erzählt, die mit dem Eintreten ihrer ersten Menstruation auf einmal ihre ehemals kindliche Welt mit ganz anderen Augen sieht und sich als von Männern und Frauen gleichermaßen , sowie auch von Fantasiefiguren begehrtes Mädchen auf einmal den zahlreichen Verlockungen und Wirrungen in der Welt der Erwachsenen konfrontiert sieht.
„Valerie“ und ihre wundersamen Erlebnisse einer Woche lässt sich aber nur schwer beschreiben und der 1970 entstandene Streifen ist wohl einer dieser Filme, die man auch mit eigenen Augen gesehen haben sollte. Eine durchgehende Geschichte lässt sich in Jires Adaption des 1935 erstmalig publizierten Werkes des tschechischen Autors Viteszlav Nezval mit gleichem Titel ohnehin nicht ausmachen und der Zuseher landet wie auch die Protagonistin wie einer sexualisierte „Alice“ in einer Art abgründigen Wunderwelt, die aus grausamen Vampiren und gottlosen Geistlichen besteht und in der sich jeglicher Faden nach wenigen Minuten bereits zugunsten einer träumerischen Optik verliert, die den aufgeschlossenen Zuschauer zweifelsfrei in seinen Bann ziehen wird und nach knapp 74 Minuten verzückt entlassen wird.
Wer sich für außergewöhnliche Werke der Filmgeschichte interessiert, kommt an „Valerie – eine Woche voller Wunder“ ja ohnehin nicht vorbei. Als Teil der sogenannten „Tschechischen Neuen Welle“ begeistert der Film auch vierzig Jahre nach Entstehung durch die ungewöhnliche Art seine Geschichte zu erzählen, sowie einer surrealen Optik, in der jedes Bild perfekt durchkomponiert scheint. Der Look des Filmes ist wirklich außergewöhnlich und erinnert die Älteren von uns vielleicht noch an die zahlreichen und tschechischen Märchenfilme, die in früheren Fernsehtagen hauptsächlich im Sonntag-Nachmittag gelaufen sind. Doch die Thematik des Streifens erinnert dann an die düstersten Märchen und bietet mit Vampiren und Untoten dann eigentlich auch wenig Kind-gerechte Elemente. Die große Kunst Jiros besteht meines Erachtens auch darin, dass er einen Streifen geschaffen hat, bei dem alles metaphorisch und dennoch unmöglich scheint, dieses filmische Rätsel letztgültig zu entschlüsseln. Und so wird sich jeder Zuschauer selbst eine Deutung über die wundersamen Vorgänge in der kindlichen Fantasiewelt seiner Protagonistin finden.
Die Einflüsse, die Autor Viteszlav Nezval als Vorlage für seine Geschichte dienen, sind unverkennbar „Alice im Wunderland“ von Lewis Carrol, aber auch der Streifen „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau, der seinerseits ein nicht-autorisierte Fassung von „Dracula“ darstellt. Nezval vermischt diese Elemente jedoch auch mit Romantik und erotischen Momenten und fügt eine große Portion Surrealismus dazu. „Valerie a tyden divu“ diente aber auch als Grundlage für die Romanvorlagen von Neil Jordans „Zeit der Wölfe“ und auch anderweitig ist der Einfluss des Werkes aus dem Jahre 1970 zu finden. Die britische Elektronik-Formation und Warp-Signing „Broadcast“, die seit jeher stark von Soundtracks beeinflusst ist, veröffentlichte auf deren imho zweitbesten Album „Haha Sounds“ einen Lo-Fi-Folksong namens „Valerie“, der sich an Lubos Fisers Soundtrack orientiert und dessen Video aus Szenen des Filmes besteht und das auch im Zusatzmaterial zu sehen ist.
Generell scheint „Valerie – eine Woche voller Wunder“ bzw. sein Soundtrack einen großen Einfluss auf viele Menschen zu haben, was sich auch im Bonusmaterial bemerkbar macht. In dem Feature „Valerieholics“ spricht u.a. der umtriebige Musiker, Grafiker und Label-Chef Andy Votel über die optische Wucht des Filmes, der seines Zeichens auch verantwortlich war, dass die Musik von Fiser im Jahre 2006 erstmals in 23 nach den Kapitel des Buches benannten Tracks auf Soundtrack-CD erhältlich war, die es dankenswerterweise auch auf die Veröffentlichung von „Bildstörung“ geschafft hat. Auch Trish Keenan („Broadcast“) kommt zu Wort und spricht über ihre Empfindungen bei der Sichtung des Filmes und auch ein kurzer Ausschnitt einer Performance namens „Valeries Project“ ist zu sehen, die sich aus Teilen der Folktruppe „Espers“ und anderen Bands zusammensetzt, die live zu den Bildern des Filmes spielen und deren Ergebnis auch auf CD erhältlich ist.
Weniger popkulturell - dafür cineastisch interessant ist das weitere Bonusmaterial „Waking Valerie“ in dem die Entstehung des Filmes näher beleuchtet wird. Hier erfährt der geneigte Zuschauer dann auch über die Einflüsse des Romans, sowie des Regisseurs, etwas über die „Tschechische Neue Welle“ und über die Dreharbeiten mit der damals dreizehnjährigen Jaroslava Schallerová.
Die Scheibe aus dem Hause „Bildstörung“ ist wirklich phänomenal und lässt keinerlei Wünsche offen. Das Bild und der Ton sind phänomenal und absolut kein Vergleich zur bisher erhältlichen, englischen VÖ aus dem Hause Redemption, die man nun getrost in die Tonne kloppen kann. Neben interessanten Bonus gibt es auch noch ein schönes Cover, ein 64-seitiges Booklet mit Linernotes von Andy Votel bis Daniel Bird, die Extra-Soundtrack-CD mit 23 Tracks und knapp 45 Laufzeit und noch weitere Dinge, die wohl jeden Fan von Grund auf befriedigen werden. Unterm Strich ist der magische Streifen „Valerie – eine Woche voller Wunder“ wohl die bisher schönste DVD-Veröffentlichung des heurigen Jahres und für aufgeschlossene Filmfreunde uneingeschränkt empfehlenswert. Schöner und besser wird man Jaromil Jiros surreale Parabel über das Erwachsenwerden wohl ohnehin nicht zu Gesicht bekommen. Prädikat: besonders einzigartig!
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review - ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=6897
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