project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Am Aschermittwoch des Jahres 2008 wartet Luzviminda Mercado (Flor Salanga) vergeblich auf ihren Sohn Jay. Dieser arbeitet als Lehrer in Manila und hat seine Koffer bereits gepackt um eine Pädagogenstelle in den Staaten anzutreten. Doch der homosexuelle Jay (Rjay Payawal) in der Nacht zuvor von einem Stricher mit acht Messerstichen brutal in seiner Wohnung ermordet worden und anstatt den erhofftes Sohnes steht auf einmal sein Namenskollege, der Reporter Jay (Baron Geisler) samt Kameramann vor der Türe. Durch die Nachrichten erfährt die geschockte Familie von dem brutalen Mord und es bricht für sie eine Welt zusammen, da Jay seit dem Ableben seines Vaters, die Rolle des Ernährers übernommen hat. Reporter Jay filmt diese tragischen Moment und gewinnt durch seine einfühlsame Art auch rasch das Vertrauen der einfachen Leute. Er überredet die Familie zu einem Deal mit seinem Sender, in dem er verspricht, durch die filmische Aufbereitung der tragischen Ereignisse auch dessen Mörder schneller fassen zu können.
Luzviminda und ihre beiden Kinder Jennifer (Angelica Rivera) und Jerry (Jericho Espiritu) willigen ein und der Reporter schafft es durch geschickte und einfühlsame Worte sich immer mehr in den Familienverband zu integrieren und gelangt so zu intimen Geheimnissen des Verstorbenen. Er übernimmt teilweise sogar die gleiche Funktion wie sein verstorbener Namensvetter und ist wie Luziminda wie ein Sohn. Von Jennifer erhält er die Telefonnummer von Jays Ex-Freund Edward (Coco Martin), den er kurze Zeit später zu einem Interview einlädt und danach sogar körperlich begehrt. Wenig später schafft es die Polizei durch das gestohlene Handy des Opfers den Mörder des homosexuellen Lehrers ausfindig zu machen und Jay reist zurück nach Manila um seine spannende Reportage für den Sender zu beenden...
In letzter Zeit sind mir ja vermehrt schwule Filme aus den Philippinen vor die Linse gekommen, die ja für den westlichen Zuseher doch etwas ungewöhnlich ausgefallen sind. Da werden ohne Rücksicht auf Verluste dramatische Geschichten von oftmals einfachen Leuten mit großen Gefühlen und einer gehörigen Portion nackter Haut kombiniert. Oftmals werden in den Low-Budget-Filmen auch die Probleme des Landes thematisiert und mit einer doch etwas seltsam anmutenden Softsex-Optik kombiniert, die man sonst sicher nicht in der Form kennt. Der Streifen „Jay“ des philippinischen Regisseurs Francis X. Pasion sticht aber in mehrfacher Hinsicht aus der Masse dieser Filme heraus und ist nicht zu unrecht bereits auf mehreren Festivals gelaufen und auch mehrfach ausgezeichnet worden.
Der Auftakt von „Jay“ bietet auch einen etwas reißerischen Bericht über die Ermordung eines schwulen Lehrers, der in seiner Wohnung von einem Stricher grausam gemeuchelt und anschließend beraubt wird. Danach wird der Zuschauer Zeuge, wie die Familie des Opfers mit der schrecklichen Nachricht konfrontiert wird und fast das gesamte Dorf in kollektive Trauer verfällt. Es folgen die allgemeinen Begräbnis-Zeremonien, Interviews mit Arbeitskollegen des Opfers und sogar der Bürgermeister des kleinen Ortes verspricht vor laufender Kamera, der Familie des Ermordeten zu helfen. Anschließend kommt es tatsächlich zur Verhaftung des Täters und es kommt zur Konfrontation zwischen der Familie des Opfers und dem Mörder.
Doch das ist nur die eine Seite der Wahrheit bzw. der erste Teil einer Reality-TV-Reportage in drei Akten, die der skrupellose Reporter Jay unter dem Namen „Geliebte Verstorbene“ für seinen Sender fabriziert. Und für gesteigerte Einschaltquoten nehmen es die Verantwortlichen mit der Wahrheit dann auch gar nicht so genau. Und im Laufe des Filmes wird der Zuschauer mehrfach Zeuge, wie das Kamerateam die Familie zu Aussagen und Handlungen nötigt, die so in der ursprünglichen Form gar nicht stattgefunden haben. Und um seine Reportage möglichst reißerisch zu gestalten, wird auch Jay immer skrupelloser und wird in seiner Vorgehensweise penetranter und nutzt das Vertrauen der einfachen Leute auch schamlos für seine Zwecke aus.
Was also wie eine seriöse Reportage über einen tragischen Mord beginnt, entpuppt sich also nach einiger Zeit als durchaus bitterböse Satire über die Mechanismen der Reality-TV Macher, die für eine entsprechende Quote auch über eine normale und authentische Berichterstattung hinausgehen und alle Beteiligten dabei geschickt manipulieren. Denn was nützt die beste Geschichte, wenn diese nicht mediengerecht eingefangen wird. Die Familie des Opfers ist in der Stunde der größten Trauer dem Filmteam bzw. dem Reporter Jay eher hilflos ausgeliefert und dieser drängt sich auch ganz geschickt in die Familie und kommt so zu Informationen, die ein seriöser Berichterstatter wohl niemals erlangen würde. Dieses wiederum nutzt der Reporter auch schamlos aus und hat auch keine Hemmungen sich an den Ex-Freund des Opfers heranzumachen.
Sogenanntes Reality-TV boomt ja mittlerweile seit Jahren und auch wenn der Höhepunkt mit Formaten wie „Big Brother“ oder „Frauentausch“ mittlerweile schon vorbei ist, so erfreuen sich diese Art von kostengünstigen Eigenproduktionen noch immer größter Beliebtheit. Die Bandbreite an Formaten ist mittlerweile fast unüberschaubar und reicht von harmlosen Dingen wie „Das perfekte Dinner“ über nachgespielte Familientragödien und Gerichtsshows im Nachmittagsprogramm von RTL und Sat1 bis hin zu absolut haarsträubenden Sendungen wie „Die strengsten Eltern der Welt“, „Frauentausch“ oder auch „Extrem schön“, wo die Grenzen des guten Geschmacks schon sehr weit hinter sich gelassen werden.
„Reality-TV“ steht aber aufgrund der reißerischen Berichterstattung und dem Bloßstellen der Beteiligten auch immer in der Kritik von Medienwächtern und jedem halbwegs aufmerksamen Zuschauer wird schon bewusst sein, dass die Verhaltensweisen der oftmals sehr, sehr naiven Darsteller, deren Selbstdarstellungstrieb oft mit Bildungsdefiziten einhergehen, natürlich von den Verantwortlichen im Hintergrund dementsprechend gelenkt werden, damit am Ende natürlich auch ein für die Zielgruppe interessantes Produkt herauskommt. Zu welchen Machenschaften die Verantwortlichen dabei fähig sind und inwieweit diese als real verkauften Geschichte ohnehin einem Drehbuch entstammen, mag man ja gar nicht vermuten, aber wie beim Fernsehen so oft, ist halt vieles nicht so, wie es dem Zuschauer auf den ersten Blick erscheinen mag.
Und der interessante Streifen „Jay“ zeigt dieses auf sehr eindrucksvolle Weise und manipuliert die portraitierte Familie und den Zuschauer gleichermaßen. Der Zuschauer bekommt eine Szene vorgesetzt und wird danach auch Zeuge deren tatsächlichen Entstehung, wobei sich diese oftmals als ganz anders entpuppt. Und auch am Ende schafft es Regisseur Francois X. Pasion den Zuschauer geschickt auf eine falsche Fährte zu locken. In diesem Punkt ist „Jay“ auch ganz gut gelungen und entpuppt sich als teils grelle Satire auf die Mechanismen des Fernsehens. Vollkommen grotesk wird es allerdings, als dem Fernsehmacher Jay die Verhaftung des Mörders als zu unspektakulär erscheint und diese nochmals mit dem vermutlich bestochenen Polizeiapparat neu mit einer Verfolgungsjagd in Szene gesetzt wird.
„Jay“ zeigt aber neben seiner medienkritischen Geschichte auch noch ganz andere interessante Dinge, wie z.B. die Bestechlichkeit des Polizeiapparates, deren zweifelhaften Verhörmethoden, sowie auch die Unterbringung von Gefangenen ins Massenzellen. Auch wird der Aberglaube der einfachen Bevölkerung gezeigt, der darin gipfelt, dass in einer Szene ein armes und eingefärbtes Küken sein Leben lassen musste. Das eigentlich nicht geplante Ableben des Tieres hat ja zumindest mich ganz schön geschockt und wurde anschließend von den Machern gleich in den Film eingearbeitet, was wiederum die eigentlich medienkritische Tendenz des Filmes ad absurdum führt. Aber auch noch andere Dinge werden in einem Aufwischen behandelt, was „Jay“ zu einem absolut interessanten Werk mit mehreren Perspektiven und Ebenen macht.
CMV-Laservision bringt diesen mehrfach ausgezeichneten Streifen nun auf DVD und präsentiert den Film in der Originalfassung mit optionalen deutschen und auch englischen Untertiteln. Die Bildqualität ist für einen philippinischen Streifen aus der Independent-Ecke auch sehr gut und selbst bei den Darstellern gibt es dieses Mal wenig zu meckern. Als Bonusmaterial gibt es eine umfangreiche Bildergalerie, das obligatorische Wende-Cover und auch Trailer zu anderen Filmen aus dem queeren Programm des sympathischen Berliner Labels.
Und so bleibt unterm Strich ein empfehlenswerter und vor allem ungewöhnlicher Streifen, der auf interessante Weise und Machart seine kritische Geschichte präsentiert und während der Laufzeit der Erwartungshaltung des Zuschauers mehrfach einen fetten Strich durch die Rechnung macht. In „Jay“ ist nichts so wie es scheint und sowieso und überhaupt erinnert der Regie-Erstling von Francois X. Pasion so überhaupt nicht an die restlichen Werke wie „Walang Kawala“ oder auch „Sagwan“ aus der selben Kiste. „Jay“ ist ein empfehlenswerter und entlarvender Film über die Mechanismen der Medienindustrie, die für eine entsprechende Quote auch über sprichwörtliche Leichen geht und dabei auf die Gefühle von den eigentlich portraitieren Menschen wenig Rücksicht nimmt. 8/10
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@ Jochen,
Danke für beide Reviews - das mit den Pics ist kein Thema, ich sammle eh 3-4 Reviews und mache die dann auf einmal fertig.
Schöne Grüße
cu Sven
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review - ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=6771
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