project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Die Jungen Ramallo, Manuel und das Mädchen Francisca werden gemeinsam mit ihren Freund Pau Zeuge, wie Männer des Franco-Regimes eines nachts regierungskritische Männer auf einem Friedhof hinrichten. Auch Paus Vater ist unter den Opfern und dieser beschließt daraufhin, sich an Juliá, dem etwa gleichaltrigen Sohn eines der Männer zu rächen, der den Tod seines Vaters zu verantworten hat. Gemeinsam lauern sie Juliá in einer Höhle auf. Doch die als Bestrafung geplante Aktion eskaliert und Pau zerschmettert den Kopf des Jungen an einem Stein, während die anderen regungslos den Mord beobachten. Pau flüchtet aus der Höhle und stürzt sich Minuten später in den Selbstmord. Die anderen drei Kinder bleiben schockiert und verstört zurück.
Jahre später führt das Schicksal die drei Jugendlichen an einem unheilvollen Ort wieder zusammen. Es ist ein abgelegenes Sanatorium für Tuberkulosepatienten, das die Wege der drei Jugendfreunde wieder miteinander verknüpft. Während Ramallo vor Lebenslust zu strotzen scheint und als Neuankömmling im Sanatorium keine Gelegenheit auslässt, um seine Männlichkeit und Draufgängertum zu beweisen, hat sich der stille Manuel in seine Religion geflüchtet. Francisca Nonne geworden ist und die todkranken Patienten bis zum Endstadium ihrer grausamen Krankheit betreut. Doch Ramallo ist seit Kindheit in Francisca verliebt und stellt, obwohl sie Nonne ist, weiter nach.
Ramallo wirkt tapfer und scheint sein Leben zu genießen. Mit seiner Art wirkt er auch positiv auf die anderen Patienten. Doch er hat ein düsteres Geheimnis: aus Geldmangel hat er als Stricher gearbeitet und sein Gönner bestimmt noch immer über ihn und sein Leben. Manuel hingegen unterdrückt seine Homosexualität und sieht seine Liebe zu Ramallo als große Prüfung von Gott an. Aus Geldmangel stiehlt Ramallo zuerst Geld aus dem Opferstock und beschließt, ein kriminelles Ding zu drehen. Er stiehlt Kisten mit Medikamenten von der Klinik, um diese teuer zu verkaufen. Doch der Coup scheitert und als Ramallo erfährt, dass die beiden anderen ihn hinter seinem Rücken verraten haben, steuert alles einem tödlichen Höhepunkt entgegen.
Leicht hat es Augusti Villaronga seinen Zuschauern noch nie gemacht. In seinem Film „Im Glaskäfig“ lies er unvermittelt einen düsteren Cocktail aus Faschismus, Homosexualität, Pädophilie und Machtmissbrauch in seiner extremsten Form auf die Menschheit los, dass diese nichts besseres wusste, als das Werk weltweit zu zensurieren und sogar zu beschlagnahmen. „Im Glaskäfig“ ist ein Streifen, der keinen Zuschauer unberührt lassen kann – egal, ob man den Streifen nun gut findet oder abgrundtief verabscheut. Und es hat beinah Jahrzehnte gebraucht, um den Film samt Regisseur zu rehabilitieren und endlich die Beachtung zukommen zu lassen, die beide im Grunde schon lang verdient hätten.
„El Mar“ aus dem Jahre 2000 wirkt zwar auf den ersten Blick etwas massenkompatibler und weniger brutal, ist aber im Grunde nichts anderes, als ein weiterer Schlag in die Magengrube. Wieder bleibt Villaronga seinen Themen wie „unterdrückte Homosexualität“, „fanatischer Katholizismus“ und „Gewalt, die wiederum Gewalt erzeugt“ treu und verfrachtet seine Geschichte über drei Jungendliche mit einem düsteren Geheimnis in das morbide Umfeld eines Sanatoriums. Dort scheinen alle Insassen das zu spüren, was im Film unausgesprochen bleibt. Sie alle sind auf die ein- oder andere Weise dem Tode geweiht. Und jegliche Form von Optimismus, die Ramallo zu Anfang des Filmes noch verströmt, weicht immer mehr einen unheimlichen Gefühl, welches sich auf den Zuschauer überträgt und erwartungsgemäß auch in einem dramatischen Finale gipfelt.
Die Geschichte ist jedenfalls sehr vielschichtig und bietet jede Menge Platz für Interpretationen. Jede der beiden Hauptfiguren kann seinem Schicksal nicht entrinnen und versucht auf eigene Weise damit fertig zu werden. Manuel stürzt sich in seine Religion und sieht sich mit fortschreitendem Krankenverlauf immer mehr von Gott geprüft. Und je mehr er sich nach seinem Jugendfreund verzehrt, desto mehr geißelt er sich selbst, fastet und erhält auch die Leidensmale von Jesus. Ramallo hingegen flüchtet sich in die Gewalt und sieht keine andere Lösung, als die Probleme, die er für sein Schicksal verantwortlich macht, mit Verbrechen zu lösen. Doch auch Ramallo ist nicht nur der „böse“ Charakter, sondern kümmert sich aufopfernd wie ein großer Bruder für seinen jüngeren Zimmerkameraden, als dieser im Endstadium seiner Krankheit angekommen ist. Zwischen den beiden gegensätzlichen Charakteren steht die unschuldige Nonne Francisca, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, todkranke Patienten bis zum bitteren Ende zu begleiten.
Der Streifen aus dem Jahre 2000 basiert auf den gleichnamigen Roman des mallorquinischen Dichter, Kunstkritiker und Schriftstellers Blai Bonet (1922 – 1997), der im Jahre 1958 erstmalig publiziert wurde. Fast alle Werke spiegeln sein konfliktbeladenes Verhältnis zur katholischen Kirche wieder und auch die Krankheit Tuberkulose hat ihn und seine Werke stark geprägt. So gab es auch immer wieder Probleme mit Zensur und selbst preisgekrönte Werke konnten erst mit jahrelanger Verspätung publiziert werden. Erfahrungen, die – wie bereits erwähnt - auch der Regisseur Villaronge bereits machen musste. Und so ist es wohl wenig verwunderlich, dass der in Mallorca geborene Regisseur, sich dem kontroversen Werk des ebenfalls in Mallorca geborenen Schriftstellers angenommen hat.
Bei den Darstellern hat Villaronga ein gutes Händchen bewiesen: Roger Casamajor als Ramallo bringt seinen ambivalenten Charakter sehr überzeugend auf die große Leinwand und auch Bruno Bergonzini als zweifelnder Manuel hätte besser nicht gewählt worden können. Bekannteste Gesichter des spanischen Streifens sind aber sicherlich Simón Andreu, den man in den Siebzigern in zahlreichen Giallos von Luciano Ercoli wie z.b. „Death walks on High Heels“ oder auch „Death walks at midnight“ an der Seite der bezaubernden Nieves Navarro bewundern konnte. Und auch Angela Molina als Carmen ist keine Unbekannte. Sie kennt der aufmerksame Zuschauer aus Pedro Almodovars Drama „Live Flesh“ und „Zerissene Umarmungen“.
Die DVD aus dem Hause CMV bringt diesen kontroversen und mehrfach ausgezeichneten Kunstfilm natürlich ungekürzt in deutscher Zweitveröffentlichung im spanischen Original mit deutschen und englischen Untertiteln. Die Bild- und Tonqualität ist sehr gut und auch die Untertitel sind sehr gut lesbar. Neben dem Originaltrailer gibt es noch eine kurze Bildergalerie, sowie Trailer aus der anspruchsvollen Ecke der CMV-Laservison-Veröffentlichungen. Leider gibt es kein weiteres Bonusmaterial, was bei einem Film dieser Art sicherlich sehr interessant gewesen wäre. Und wer sich am Anblick der FSK-Plakette am Cover nicht erfreuen möchte, kann diesem dank Wendecover auch entgehen.
„El Mar“ ist massen-unkompatibles Kunstkino der besten Sorte und überzeugt optisch, sowie inhaltlich als abgründiges Arthouse-Drama, das seine Wirkung beim Zuschauer sicher nicht verfehlen wird. Denn auch wenn im Gegensatz zu „Im Glaskäfig“ ausgiebig Farben im Einsatz sind, so ist es der großen Kunst von Villaronga zu verdanken, dass „el mar“ ein absolut düsteres Werk über Liebe, Hass, Macht und Tod geworden ist. Warum Herr Villaronga noch nicht die Anerkennung bekommen hat, die ihm eigentlich zusteht ist mir nach „Im Glaskäfig“ und „El Mar“ schleierhaft. Augusti Villaronga ist ein Künstler, der auch nicht davor zurückschreckt, unbequeme Themen anzupacken und diese gnadenlos dem Zuschauer ohne Rücksicht auf Verluste vorzuführen. Vielleicht ist „El Mar“ auf den ersten Blick nicht so schockierend wie „Im Glaskäfig“, aber nachhaltig verstörend ist er allemal. Unterm Strich ein absolut sehenswerter Film, der aufgeschlossenen Sehern auch uneingeschränkt empfohlen werden kann: 9/10 Punkten.
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@ Jochen,
Danke fürs Review - ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=5763
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