project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Klaus (Günther Meisner) ist ein ehemaliger KZ-Arzt, der an Kindern grauenhafte Versuche durchgeführt hat. Nach Endes des Krieges ist er mit seiner Familie ins spanische Exil geflüchtet ist. Doch auch dort übermannt ihn sein Trieb und er mordet und missbraucht Kinder. Als er eines Tages nach einem weiteren Mord an einem Jungen seine Schuld nicht mehr ertragen kann, entschließt er sich, seinem Leben ein Ende zu setzen und springt vom Dach seines Hauses. Doch Klaus überlebt den Selbstmordversuch schwer verletzt, ist aber fortan auf die Dienste einer sogenannten „eisernen Lunge“ angewiesen. Griselda (Marisa Paredes) ist mit der Pflege des Mannes und der selbstgewählten Isolation überfordert und bittet ihre Eltern in einem Brief um Unterstützung. Wenig später dringt ein mysteriöser Fremder in das Haus ein und bittet als persönlicher Pfleger von Klaus angestellt zu werden. Griselda ist eigentlich dagegen, doch Klaus bittet darum, den jungen Angelo (David Sust), der sich als medizinisch geschult ausgibt, zumindest probeweise einzustellen.
Während sich die Tochter Rena gut mit Angelo versteht, ist Griselda der junge Mann suspekt. Durch einen Trick findet sie heraus, dass Angelo keine medizinische Ausbildung besitzt. Doch warum Angelo den schwerstbehinderten Mann in der eisernen Lunge betreuen möchte, bleibt weiterhin unbekannt. Mit der Zeit beginnt sich Angelo jedoch zu verändern. Seine zurückhaltende Art weicht zunehmend einer äußerst aggressiven Verhaltensweise. Angelo scheint, während er versucht im abgelegenen Haus die Kontrolle zu erlangen, langsam die selbige über sich verlieren. Als Griselda dem jungen Mann kündigen und vor die Tür setzen möchte, tötet er sie auf brutale Art und Weise. Am nächsten Tag kündigt er das Dienstmädchen und beginnt mit dem mittlerweile vernachlässigten Klaus ein teuflisches Spiel...
Der Film „Tras el cristal“ bzw. „Im Glaskäfig“ des spanischen Regisseurs Augusti Villaronga ist wahrhaft kein einfacher Film. Ein Streifen, der in ruhigen Bildern sehr eindrucksvoll und drastisch zeigt, welche Spuren sexueller Missbrauch und Gewaltausübung in den Seelen von Opfer und Täter hinterlassen. Mit seiner Thematik und der drastischen Darstellung von Gewalt gegen Minderjährigen sorgt der Film seit Erscheinen des Filmes im Jahre 1987 auch immer wieder für Kontroversen, Diskussionen, körperliche Übergriffe und sogar Polizei-Aktionen. Auch im Internet ist im Vorfeld und in Verbindung mit diesem spanischen Film immer wieder von der Bezeichnung Skandalfilm und Arthouse-Schocker, bzw. das Verbot in Australien nach der Aufführung von einem Schwulenfilmfestival die Rede. Dabei ist „tras el cristal“ beileibe nicht das plakative Schocker mit brutaler Gewalt gegen Kinder, den man sich aufgrund der Stimmen im Vorfeld vielleicht erwarten würde. Mit reißerischen Naziploitation-Filmen, die in den 70er-Jahren zuhauf in Europa entstanden sind, hat „Im Glaskäfig“ nämlich gar nichts zu tun. Viel mehr ist eine Nähe zu Pasolinis anerkannten, doch nicht weniger umstrittenen Kunstschocker „Salo – die 120 Tage von Sodom“ auszumachen. Regisseur Villaronga verknüpft dabei für sein Drehbuch reale Begebenheiten aus den KZ mit der fiktiven Geschichte des pädophilen Arztes Klaus, der sich mit seiner Familie im Exil befindet.
Klaus ist nach dem Krieg nach Spanien geflohen und hat sich so einer gerechten Bestrafung entzogen. Während des Krieges hat er Versuche an Kindern vollzogen und so seine pädophile Neigung befriedigt. Auch nach Ende des zweiten Weltkrieges im Exil hat er sein grausames Treiben nicht unter Kontrolle und missbraucht weiter junge Burschen. Als er eines Tages die Schuld nicht mehr ertragen kann, versucht er sich selbst das Leben zu nehmen. Doch der Suizid misslingt und er ist fortan bewegungsunfähig und auf fremde Hilfe angewiesen an eine eiserne Lunge gefesselt, die für Außenstehende wie ein Glaskäfig aussieht. Seine Frau Griselda und Tochter Rena sind mit der Pflege überfordert. Eines Tages tritt der mysteriöse Angelo in sein Leben, der sein Krankenpfleger werden möchte. Warum sich der junge Mann so intensiv um die Stelle bemüht und welches dunkle Ziel Angelo verfolgt, wird jedoch erst im Verlauf der Handlung klar.
Regisseur Villaronga hat für sein Erstlingswerk mit Themen wie NS-Kriegsverbrechen, Homosexualität und Gewalt gegenüber Kindern für sein Entstehungsjahr gleich 3 sehr heiße Eisen angefasst, die auch 20 Jahre nach seinem Erscheinen noch immer den Zuschauer verstören und nachdenklich stimmen. Getreu dem Motto, dass Gewalt immer Gegengewalt erzeugt, wiederholen sich in „Tras el cristal“ die grausamen Taten des pädophilen KZ-Arztes durch eines seiner zahlreichen Opfer. Vermutlich um die Frage nach dem Warum zu ergründen, versucht der anfänglich zurückhaltende Angelo die Rolle seines Peinigers mit sämtlicher Konsequenz zu übernehmen und schreckt auch vor Morden an dessen Gattin und unschuldigen Kindern nicht zurück. Das geräumige Haus von Klaus wird mit fortschreitender Laufzeit immer mehr zu einem KZ-ähnlichen Ort in dem Angelo der Tochter Rena und seinen ausgelieferten Opfern die Befehle erteilt. Am Ende des Filmes hat Angelo sein Ziel scheinbar erreicht, befreit Klaus aus seinem gläsernen Gefängnis, lässt ihn dadurch sterben und übernimmt selbst die Position den Arztes in der eisernen Lunge. Am Ende des Streifens wiederholt sich eine Szene zwischen Angelo und Klaus mit Rena und Angelo in ähnlicher Formt und der Regisseur lässt in den letzten Sekunden Schnee wie in einer Schneekugel auf seine beiden Protagonisten schneien. Meiner Meinung nach eine Andeutung auf das gläserne Lungemaschine von Klaus als auch als Zeichen, dass die Darsteller wie Marionetten durch das traumatisch Erlebte in einer Art Gefängnis gefangen sind, aus dem sie nicht ausbrechen können.
Das der Streifen so gut funktioniert, liegt jedoch neben der stimmigen Inszenierung und den düsteren, sehr blaustichigen Bildern vor allem an den grandiosen Darstellern. Bekanntestes Gesicht ist sicherlich Marisa Paredes, die der geneigte Zuschauer aus zahlreichen Pedro Almavodar-Filmen kennt. Paredes war für damalige Verhältnisse in Spanien schon eine sehr bekannte Schauspielerin, die sich jedoch gerade beruflich neu orientieren und ins dramatische Fach wechseln wollte. Paredes war vom Stoff auch begeistert und unterstützte den Regisseur bei der Realisierung seines Erstlingswerkes.
Günter Meisner hingegen hatte als Deutscher zunächst große Vorbehalte gegenüber der Rolle als pädophiler KZ-Arzt und sagte, nachdem er das englisch-übersetzte Skript gelesen hatte, zunächst ab. Durch seine Gattin, die das Skript auf Spanisch las, wurde er jedoch doch noch dazu bewegt, die doch etwas undankbare Rolle anzunehmen.
David Sust hingegen war der damalige Lebensgefährte einer guten Freundin des Regisseurs und Villaronga war von dessen Ausstrahlung fasziniert und wollte ihn unbedingt für die Rolle haben. Sust hat jedoch nur noch 2 weitere Filme gedreht und sich danach die Schauspielerei nicht weiter verfolgt.
„Im Glaskäfig“ eilt allerdings auch der Ruf voraus, dass der Streifen explizit Gewalt an Kindern zeige und sich auch nicht genug von dem gewaltvollen Handeln seiner Figuren distanziere. Auch gibt es keine eindeutige Trennung zwischen Gut und Böse. Durch diese Tatsachen geriet der Streifen immer wieder in ein negatives Licht. Doch bei „Tras el cristal“ handelt es sich nicht um einen plumpen oder gewaltverherrlichenden Schocker aus der Horror-Ecke, sondern um einen anspruchsvollen Film mit drastischen Szenen. Diese Szenen waren aber der Grund, dass der Regisseur vor den Dreharbeiten und danach auch ziemliche Probleme hatte. So gab es u.a. Probleme überhaupt einen Produzenten für einen Film mit dieser Thematik zu finden. Während den Dreharbeiten ging das Geld aus, David Sust verletzte sich am Auge und nur durch den Einsatz vieler Beteiligter konnte das Werk schlussendlich überhaupt vollendet werden. Premiere hatte „Tras el cristal“ auf der Berlinale, wo der Film zwar nicht im Bewerb lief, jedoch gut angenommen und vielfach diskutiert wurde. Gewalt gegen Kinder ist immer noch ein Tabu im Film und Villaronga mutet Personen, die selbst Kinder haben, sicherlich einiges zu. Trotzdem ist die Gewalt nicht so ausgeschlachtet, wie es in aktuellen Horrorfilmen bereits oftmals der Fall ist. Im Bonusmaterial erklärt der Regisseur auch, wie er die Szene mit dem ganz jungen Darsteller, ohne ihn in die Thematik zu involvieren, realisiert hat.
Danach gab es aber durch die finanziellen Probleme der Produzenten und durch die Zensur lange Zeit Probleme, den Film öffentlich zu zeigen. In den USA wurde der Streifen sehr gut aufgenommen und das steigerte sich auch durch die Fürsprache von Trash-Filmer John Waters („Pink Flamingos“), der sich wohlwollend zu dem Film äußerte. Im November 2007 war der Filmemacher zu Gast in einer Fernsehsendung, wo er den aufgeschlossenen Publikum seine Lieblingsfilme empfahl. Zu „Im Glaskäfig“ meinte er – frei übersetzt – „Das ist der schockierendste Film, den ich jemals gesehen habe. (...) Ich glaube, dieser Film geht definitiv zu weit. Aber er ist erstaunlich gut gemacht und unglaublich spannend. Es ist einer dieser Filme, der die Zensur rasend macht und nicht nur weil er politisch unkorrekt oder zu gewaltvoll ist. Dieser Film ist in allem vollkommend unkorrekt und deswegen, so glaube ich, auch sehr wichtig.“ Und so begann der Film langsam über die USA an Aufmerksamkeit zu erlangen. Der Streifen lief in wenigen Arthouse-Kinos und auf Festivals und wurde dort vom vorwiegend jugendlichen Publikum sehr gut aufgenommen. Der Film wurde bekannter und es folgte die weltweit erste VÖ mit englischen Untertiteln, die jedoch in Punkto Bildqualität etwas zu wünschen übrig ließ.
Diese Tatsache hat sich nun geändert, denn die empfehlenswerte Scheibe aus dem Hause Bildstörung bringt „Im Glaskäfig“ in sehr guter Bild- und Ton-Qualität in spanischer Originalfassung mit optionalen deutschen Untertiteln. Neben einem ausführlichen Audiokommentar des Regisseurs, gibt es auch noch ein knapp halbstündiges und sehr interessantes Interview mit Regisseur Augusti Villaronga, welches im Zuge der DVD-Veröffentlichung in Barcelona aufgenommen wurde. In diesem spricht der Regisseur über die teils schwierigen Dreharbeiten, über seine Darsteller und die Probleme im Vorfeld der Produktion und danach. Abgerundet wird das höchst-positive Gesamtbild der ungekürzten DVD mit einem Storyboard-Vergleich, einer kommentierten Bildergalerie, dem Originaltrailer und einem alternativen Anfang im Storyboard, der jedoch nicht realisiert wurde. Und weil das alles noch nicht reicht, gibt es auch noch ein 16-seitiges Booklet, in dem man auch noch allerlei Interessantes nachlesen kann.
„Tras el cristal“ ist ein verstörendes Drama über Schuld und Sühne und über die tiefgehenden Narben, die Missbrauch in den Seelen der Opfer und der Täter hinterlassen. Ein unbequemer Arthouse-Schocker, der teils auf realen Begebenheiten beruht auch 20 Jahre nach seinem Erscheinen den Zuschauer nichts von seiner verstörenden Wirkung auf den Zuschauer verloren hat. „Im Glaskäfig“ ist ein äußerst kontroverses Psychodrama, der noch immer sehr starke Reaktionen bei seinen Zuschauern hervorruft und nur Fans von filmischen Extremerfahrungen der anspruchsvolleren Sorte uneingeschränkt zu empfehlen ist. Zartbesaitete Gemüter seinen jedenfalls schon mal an dieser Stelle ausdrücklich gewarnt. Ein sehr mutiger Film, der dem Zuschauer vieles abverlangt und ihn danach mit einem beunruhigenden Gefühl zurücklassen wird. Ich prophezeie jedenfalls, dass man von diesem Streifen noch viel hören wird und der früher oder später seinen verdienten Platz in der Kinogeschichte einnehmen wird. Und an der tollen Arbeit, die das noch junge Label aus Aschaffenburg mit der nahezu makellosen Veröffentlichung geleistet hat, sollten sich selbst größere Labels noch ein Beispiel nehmen. Von mir gibt’s an dieser Stelle daher auch gerne mit 9 von 10 Punkten nahezu die volle Punktezahl.
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@Jochen,
vielen Dank für das Klasse Review - ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=5028 !!!
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