project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Froilan Orozco lebt in „El Cartucho“, einem heruntergekommenen Viertel in Kolumbiens Hauptstadt Bogota und präpariert Leichen für ein Bestattungsinstitut. In einer Umgebung zwischen Armut, Drogen, Prostitution und organisierten Verbrechen, an einem Ort, in dem für wenig Geld gemordet wird, arbeitet der Über-Sechzigjährige Orozco tagtäglich hart in seiner kleinen Werkstatt um übel zugerichteten Leichen auf ihrem letzten Weg ihr ursprüngliches Aussehen zurückzugeben und dafür zu sorgen, dass diese nicht zu schnell verwesen. Körper werden aufgeschnitten, die Eingeweide gewaschen, mit Laken wieder zurück in die toten Leiber gestopft, mit Formalin getränkt und wieder zugenäht. Danach werden die Toten wieder bekleidet, geschminkt und in ihre Särge gelegt, wo sie dann oft tagelang aufgebahrt werden. Mit 30 Jahren Berufserfahrung hat Orozco so über 50.000 Leichen auf ihren letzten Weg vorbereitet und von toten Kleinkind, das an einem natürlichen Tod gestorben ist, über grausam-entstellte Unfall-, bis hin zu Verbrechensopfern die ganze Bandbreite menschlicher Überreste auf seiner Tisch gehabt, die man sich nur vorstellen kann.
Der japanische Fotograf und Filmemacher Turisaki Kiyotaki hat den Kolumbianer Froilan Orozco und dessen Berufskollegen bis zu seinem Tod drei Jahre lang in unregelmäßigen Abständen besucht und mit seiner Kamera begleitet. Gefilmt wurde die Arbeit der Einbalsamierer in den Slums von Bogota, sowie das Umfeld der Portraitierten in unvorstellbarer Armut zwischen Drogen und Tod, der in diesem Flecken der Erde zur täglichen Routine geworden ist und auch niemanden sonderlich zu kümmern scheint. Die Arbeit als Leichenpräparator bringt gutes Geld und Geld und Arbeit sind in dem mittlerweile geräumten Elendsviertel „El Cartucho“ ohnehin Mangelware. Die Leichen auf den Tischen sind teils eines natürlichen, teils eines gewaltvollen Todes gestorben. Die Körper sind geschunden und manchmal entstellt und die Arbeit des Leichenpräparators liegt darin, diese Körper wieder eine menschliche und ästhetische Form zu geben und diese so zu präparieren, dass der Körper von deren Angehörigen noch bis zu einem Monat aufgebahrt werden kann.
Über „Orozco – the embalmer“ zu schreiben ist wieder einmal gar nicht so einfach. Eigentlich habe ich was Filme betrifft ja auch eine persönliche Grenze. Diese ist dann erreicht, wenn echte Leichen und Unfälle ins Spiel kommen, die in sogenannten Shockumentaries ohne Rücksicht auf Verluste gezeigt werden. Filme in denen dem Zuschauer unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Dokumentation echte Leichen und tödliche Unfälle vor den Latz geknallt werden. Ganz aus ist es natürlich, wenn diese Bilder dann auch noch billigst ausgeschlachtet und mit menschenverachtenden Kommentaren versehen werden. Und auch wenn es seinerzeit in Schultagen noch als Mutprobe galt, sich die Teile der „Gesichter des Todes“ anzusehen, so hab ich für mich persönlich doch relativ schnell diese Geschmacksgrenze gezogen und diese Deathploitation-Schocker seit Erreichen meiner Volljährigkeit, die mittlerweile auch schon ein paar Jährchen zurück liegt, auch keinerlei Beachtung geschenkt.
Doch „Orozco“ will natürlich anders sein und dazu reicht schon der Blick auf das Cover. Ein schonungsloser Blick auf eine verdrängte Realität, die mit seinem Denkmal für den stillen Leichenpräparator alle Tabus bricht. Doch auch wenn der restliche Text etwas reißerischer ausgefallen ist, so soll dieser grausame Blick in die Slums von Bogota und die Leichenpräparatoren doch mehr bieten als die bloße Aneinanderreihung von möglichst grausamen und ekelerregenden Bildmaterial. Immerhin gilt Tsurisaki Kiyotaka auch als Fotokünstler, der Tote schonungslos und ungeschönt fotografiert und diese in Ausstellungen und Bildbänden dem interessierten Publikum präsentiert. Doch die Frage ist natürlich, hebt sich der Streifen von Kiyotaka auch tatsächlich von Werken wie „Gesichter des Todes“ ab? Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist, und die ich vermutlich mangels Kenntnis dieser Todes-Dokus von mir auch gar nicht beantworten lässt. Und ich werde es auch vermeiden, Deathploitation-Vergleichsmaterial aus der Schmuddelecke meiner Videothek hierfür zu Rate zu ziehen. Aber eines gleich vorweg: Kiyotaka setzt sich mit seinem Werk auch voll zwischen die Stühle. Für ein anspruchsvolles Publikum natürlich viel zu gory, und für die Gore-Fraktion zu anspruchsvoll und natürlich werden sich in nächster Zeit die Stimmen im Internet häufen, die von einer der wohl heftigsten und härtesten Dokumentation aller Zeiten sprechen werden.
Aber sagen wir so: erwartet habe ich mir von „Oroczo“ im Vorfeld schon eine sehr harte Doku über das Präparieren von Leichen mit all seinen grausigen Details, in der die Kamera auch draufhält, wo sich andere schon längst in einen bereitgestellten Kübel übergeben. Doch nebenher hätte ich mir schon auch erwartet, dass die Leichenpräparatoren aus ihrem Leben erzählen und auch etwas über das Umfeld und die Situation in Kolumbien, einem der gewalttätigsten Länder der Erde berichtet wird. Und hier krankt es dann auch schon mal gewaltig. Dass man in einem korrupten Land wie Kolumbien nicht so einfach mit einer Kamera durch die Gegend rennen kann und Polizisten, Spurensicherung und Einbalsamierer bei der tagtäglichen Arbeit filmen kann ist wohl klar. Das Kiyotaka mit einem prallen Geldbörsel nach Bogota geflogen ist und diese auch kräftig für alle Gefilmten aufgehalten hat, ist da wohl offensichtlich und wird auch sogar im Film einmal kurz erwähnt. Doch trotzdem hüten sich die Portraitierten tunlichst davor, dem Filmemacher all zu Privates oder sonstiges aus ihrem Umfeld und Anekdoten aus ihrem Berufsleben zu erzählen. Und die Momente, in denen Orozco und seine Kollegen dann auch wirklich etwas Persönliches erzählen, sind leider sehr rar gesät bzw. wurden im Film nicht verwendet. Und so kann man angesichts des Endproduktes auch erahnen, dass nicht unbedingt die Intention des Regisseurs war, dem Zuschauer das tägliche Leben und gesellschaftliche Umfeld der vielbeschäftigten Präparatoren zu zeigen.
Eine Dokumentation ist halt auch immer nur so gut wie sein Informationsgehalt und hier muss bei „Oroczo“ abgesehen vom anatomischen Aspekt einfach zu viele Abstriche gemacht werden. Hauptaugenmerk hat Kiyotaka einfach viel zu sehr auf das Präparieren, Aufschneiden, Zunähen und Bekleiden der Leichen gelegt. Der Härtegrad steigert sich dabei von Leichnam zu Leichnam und verlangen schon einen sehr starken Magen. Denn wo andere Regisseure schon längst abblenden würden, hält Kiyotaka volle Kanne drauf. Doch wenn der japanische Regisseur dann mit seiner Handkamera auch noch in die ausgeweideten Bauchhöhlen zoomt, dann frage ich mich, ob hier Information oder doch nur bloßes Ekelgefühl vermittelt werden soll. Verknüpft sind diese Bilder vom Präparieren der Leichen dann mit verwackelten Bildern von Polizeiaktionen und Spurensicherung bzw. Bilder von verdreckten Strassen und Menschen, die in absoluter Armut leben. Doch irgendwie wirken diese verwackelten Bilder etwas wahllos und Regisseur Kiyotaka verzichtet dabei nahezu auf jeglichen Kommentar, Information oder moralische Wertung und lässt seine Bilder nur musikalisch untermalen. Am Ende des Films kann es sich Kiytaka jedoch leider nicht verkneifen, nach dem (natürlichen) Tod des Leichenpräparators, dessen Freunde zu seltsamen Statements über die Ursache seines Todes zu verleiten.
Womit wir auch schon beim nächsten Thema sind. Der selbsternannte „Todeskünstler“ Tsurisaki Kiyotaka hat natürlich gröbstens einen an der Waffel, was sich auch im seltsamen Statement des Regisseurs äußert, das im Bonusmaterial der DVD zu finden ist. Kiyotaka kommt eigentlich aus der SM-Pornoecke und hat angeblich irgendwann einmal den Auftrag bekommen, ein Modell wie eine Leiche für ein S/M-Magazin zu fotografieren. Nach diesem – offensichtlich einschneidenden – künstlerischen Erlebnis hat sich der Kiyotaka wohl irgendwie dazu berufen gefühlt, als Fotograf von echten Leichen von sich reden zu machen. Und bei so einer Tätigkeit, in der auf menschliche Würde und Respekt vor dem Tod keine Rücksicht genommen wird, ist weltweite Aufmerksamkeit natürlich so gut wie garantiert. Kiyotaka, der offensichtlich eine seltsame und sehr fragwürdige Obsession für tote Körper hegt, vertritt auch einen etwas verqueren Standpunkt, dass Pornografie und Gewalt beim Zuschauer eine ähnliche Erregung auslösen. Da können dann gelbstichige Fotos von geschundenen Körpern in denen die Farbe Rot auch schön zur Geltung kommt, dann auch als Kunst an ein sensationsgeiles Schneller-Höher-Weiter-Publikum vermarktet werden.
Die DVD von dem frischen deutschen Label „Camera Obscura“ bringt diese japanisch-kolumbiansiche Co-Produktion aus dem Jahre 2001 als Regionalcode freie VÖ in spanischer Sprache mit deutschen und englischen Untertiteln. Die Bilder wurden über einen Zeitraum von mehreren Jahren mit einer Handkamera gedreht und sind teils dadurch auch etwas verwackelt und grobkörnig, was für eine Dokumentation geht das aber auf jeden Fall klar. Als Bonusmaterial gibt es das bereits erwähnte Statement des Regisseurs, in dem er über die Begegnungen mit Froilan Orozco erzählt, sowie ein kurzer Bericht des renommierten Arte-Tracks-Journals über die Arbeit des Künstlers in französischer Sprache mit deutschen Untertiteln. Abgerundet wird diese auf 1000 Stück limitierte DVD mit einem Trailer zum Film, einer Bildergalerie, sowie einen informativen Booklet mit einem Text von dem Kölner Filmwissenschaftler Dr. Markus Stiglegger.
Unterm Strich bleibt ein zwiespältiger Dokumentarfilm von einem seltsamen Regisseur, der sein Hauptaugenmerk auf das Ausweiden von Leichen gelegt hat. Ein Film der Grenzen überschreitet und Szenen einfängt, die der abgebrühte Zuschauer sicherlich in dieser Form noch nicht gesehen hat. Den wenn Orozcos Kollege zerstörte Gesichtszüge rekonstruieren muss und Innereien aus dem Körper geschnitten werden, dann wird sich 99 % der Zuschauer wohl ohnehin der Magen umdrehen und die Freaks aus der Gorefraktion werden jubeln. Doch leider hält sich der sonstige Informationsgehalt des Gezeigten leider etwas stark in Grenzen und man wird den Verdacht nicht los, dass man aus dieser Thematik weit mehr machen hätte können. Kolumbien ist eines der gewalttätigsten Länder der Erde und der Tod somit allgegenwärtig. Doch dieser Blick in das Leben der Leichenpräparatoren ist allzu sehr auf Grausigkeiten fokussiert und der Informationsgehalt deswegen auch arg begrenzt – von einem Unterhaltungswert mal ganz zu schweigen. Und auch ohne den Moralapostel spielen zu wollen, finde ich persönlich, dass man tote Körper nicht derart für künstlerische und kommerzielle Zwecke ausschlachten sollte. Auch nicht in einem Land, in dem ein Menschenleben wenig zählt und man für ein paar ausländische Dollar auch alles bekommen kann. Dafür bietet die Film- und Dokumentargebiet auch noch genug andere Möglichkeiten. Und mit weniger grafischen Details und mehr Interesse an der ungewohnten (Todes-)Kultur eines Landes wie Kolumbien, wäre der Film vermutlich auch wesentlich interessanter und nachhaltig-verstörender ausgefallen, als es „Orozco“ mit seinen doch allzu plakativen Schockeffekten schlussendlich geworden ist.
Beitrag geändert von jogiwan (20.March 2009 13:19:41)
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@ Jochen,
vielen Dank für das Review!!! Ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=5032
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jogiwan schrieb:
Ich sag danke! Bin ja schon gespannt, was du zu dem Teil meinst!
Meine DVD ist bislang leider nicht nicht eingetroffen - aber selbst wenn, hätte ich sicher noch keine ´Lust´ auf sowas gehabt, wobei ich schon gespannt bin.
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