project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Eines Tages kommt eine ukrainische Frau mit ärmlichen Look in eine norditalienische Stadt und mietet sich eine heruntergekommene Wohnung. Im Haus gegenüber versucht sie über den Hausmeister eine Arbeit als Putzhilfe zu bekommen. Doch Irena (Xenia Rappoport) ist gar nicht so mittellos wie es vielleicht den Anschein hat, sondern hat eine Tasche voller Geld im Gepäck, das sie in der Decke ihrer Wohnung versteckt. Wenig später freundet sie sich mit Gina (Piera Degli Esposti), der Haushälterin der wohlhabenden Juwelierfamilie Adacher an, die ebenfalls in dem besagten Haus eine Wohnung besitzt. Als die beiden eines Tages ins Kino gehen, entwendet Irena die Schlüssel um in die Wohnung der Familie zu kommen um diese zu durchsuchen. Kurze Zeit später stürzt Irena die ahnungslose Gina die Treppen hinunter, die dieses Attentat mit schweren Kopfverletzungen zwar überlebt, aber nicht mehr arbeitsfähig ist. Irena bewirbt sich für die freigewordene Stelle und erhält diese auch nach der positiven Fürsprache des Hausmeisters.
Durch ihre zuverlässigen Dienste und Kochkünste erlangt sie schon bald das Vertrauen von Valeria (Claudia Gerini) und ihrer Tochter Tea. Zunehmend wird sie ein Teil der Familie und fährt mit den Adachers auch auf Urlaub. Doch Irena ist nicht die gute Seele des Hause, sondern hat einen Plan, für dessen Umsetzung sie auch zu allem bereit ist. Der Schlüssel dazu liegt in der Vergangenheit der jungen Frau, der mit Prostitution und Menschenhandel zu tun hat. Doch schon bald holen sie eben diese Schatten der Vergangenheit wieder ein. Ihre Wohnung wird durchwühlt und eines Nachts wird sie von zwei Männern brutal zusammengeschlagen. Valeria schöpft aufgrund der Verletzungen Irenas Verdacht und sieht ihre Familie und insbesondere ihre Tochter zunehmend von unbekannter Seite bedroht. Doch dann verändert ein weiterer Unfall alles...
„Die Unbekannte“ von Regisseur Guiseppe Tornatore erzählt die Geschichte einer Frau mit dunkler Vergangenheit, die wie aus dem Nichts zu kommen scheint und deren Motive und Absichten auch weitgehend im Dunkeln bleiben. Sie erschleicht sich das Vertrauen von unterschiedlichen Personen und manipuliert diese geschickt zu ihren eigenem Nutzen. Doch was Irenas tatsächlicher Plan ist, erschließt sich dem Zuschauer trotz geschickt montierter Rückblenden erst sehr langsam. Stück für Stück wird in einem eher gemächlichen Tempo das Puzzle vollendet und das ganze Grauen sichtbar, dem die junge Irena in ihrer dunklen Vergangenheit ausgesetzt war. Ein Sumpf aus Korruption, Menschenhandel und Prostitution, aus dem sie zwar flüchten konnte, der jedoch seine Spuren im Leben der jungen Ukrainerin hinterlassen hat.
Von der spannenden Handlung möchte ich an dieser Stelle auch gar nicht zuviel verraten. Nur soviel: die Thematik des Films ist ziemlich heavy und Tornatore spielt geschickt mit Vorurteilen und der Erwartungshaltung des Zusehers und führt diesen mehrmals auf falsche Fährten. Weiters vermeidet es der italienische Regisseur auch ganz geschickt, Aspekte seiner Geschichte gänzlich zu offenbaren, sodass dem Zuschauer zusätzlich Raum für Interpretationen gegeben wird. Soviel soll jedenfalls an dieser Stelle verraten werden. Mich hat diese spannende Italo-französische Co-Produktion aus dem Jahre 2006 jedenfalls restlos begeistert. „Die Unbekannte“ startet gleich mit einem guten Thema durch und steigert stetig seine mysteriöse Spannung bis zum bitteren Ende. Was aber als Thriller mit Rache-Thematik beginnt, wandelt sich zunehmend zum handfesten Drama, bei dem es keine Gewinner geben kann. Und wenn sich am Ende das ganze Grauen der Geschichte offenbart, dann wird wohl kein Zuschauer unberührt bleiben.
Eigentlich weiß ich auch gar nicht so recht, an welcher Stelle ich meine Lobeshymnen beginnen soll. Die Geschichte ist durchdacht, bleibt trotz relativ langer Laufzeit stets spannend, voller Überraschungen und dank schauspielerischen Höchstleistungen auch stets glaubwürdig. Im Presseheft wird „Die Unbekannte“ dann auch mit Werken von Alfred Hitchcock und David Lynch verglichen. Ein Vergleich der sich auch zweifelsohne anbietet, obwohl Regisseur Tornatore es vermeidet, das Augenmerk seiner Inszenierung zu sehr auf Spannung oder eine verschachtelte Story zu legen. Die Geschichte der Frau mit dunklen Vergangenheit hat Tornatore bereits im Jahre 1987 verfasst und seitdem stetig weiterentwickelt. Herausgekommen ist ein glaubwürdiges Werk über eine Frau, der alles genommen wurde, eingefasst in düsteren Bildern und zugleich berührt und verstört.
Regisseur Giuseppe Tornatore ist ja in der europäischen Filmlandschaft für den anspruchsvollen Cineasten ja auch kein unbeschriebenes Blatt. Bereits mit seinem zweiten Film „Cinema Paradiso“ mit einem grandiosen Philippe Noiret in der Hauptrolle landete der Regisseur einen Welterfolg und erhielt den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film. Danach folgten so bekannte Werke wie „Die Legende vom Ozeanpianisten“ mit Tim Roth und der etwas umstrittene Film „Der Zauber von Malena“, der Monica Bellucis bzw. deren sinnliche Ausstrahlung zu einer Weltkarriere verhalf. Auch für „Die Unbekannte“ hagelte es natürlich wieder Preise und Auszeichnungen. Unter anderem auch den „David di Donatello“, die italienische Variante des Oscars für den besten Film und die beste Regie.
Ausgezeichnet wurde aber auch die Hauptdarstellerin Xenia Rappoport in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“. Und wer sich die Leistungen der russischen Theaterschauspielerin anschaut, ist auch wenig verwundert. Rappoport spielt die Rolle der mysteriösen Frau mit dunkler Vergangenheit auch mit einer derartigen Hingabe, dass alles andere als der Hauptpreis wohl nicht in Frage gekommen wäre. Egal ob verletzlich oder stark oder aufgrund ihrer Vergangenheit zu verzweifelten Taten genötigt, Frau Rappoport ist zu jeder Sekunde absolut glaubwürdig. Besondere Highlight ist aber auch Michele Placido, der mit viel Mut zur Hässlichkeit wohl auch die wohl unsympathischste Rolle seines Lebens verkörpert. Ehrlich gestanden, hab ich den erst gar nicht erkannt und musste auf der IMDB nochmals recherchieren, ob es auch tatsächlich DER Michele Placido aus „Allein gegen die Mafia“ und nicht um einen namensgleichen, aber anderen Schauspieler handelt.
Die DVD aus dem Hause Senator bringt diese Perle der europäischen Filmkunst nach seinem Kinoeinsatz im Frühjahr 2008 nun bereits auf einem schönen Silberling, der diesem Film auch gerecht wird. Neben einer sehr guten Bild- und Ton-Qualität gibt es dankenswerterweise auch die Möglichkeit, sich den Film alternativ im italienischen Original mit deutschen Untertiteln anzusehen. Neben einem informativen Audiokommentar des Regisseurs gibt es noch zahlreiches Bonusmaterial wie Trailer, Featurettes, Teaser und ein kurzes Making-Of, in dem der Regisseur unter anderem auch von der Filmmusik von Musiker-Gott Ennio Morricone und den Dreharbeiten erzählt. Weitere Trailer runden das positive Gesamtbild ab. Alles in allem eine schöne Veröffentlichung eines tollen - wenn auch nicht leicht verdaulichen Werkes, das wohl kein Zuschauer so schnell vergessen wird.
Unterm Strich bleibt ein Film, der mich aufgrund der Geschichte, der Inszenierung und der darstellerischen Leistungen mehr als begeistert hat. Die zwei Stunden vergingen wie im Flug und daher kann ich die teils verhaltenen Kritiken im Netz nicht ganz verstehen. Personen, die die Geschichte für zu konstruiert halten, dem empfehle ich vor der Beurteilung derselben jedenfalls einen Blick in aktuelle Tageszeitungen. Was illegale Einwanderer und vor allem Frauen teils über sich ergehen lassen müssen, kann man sich teils wirklich gar nicht vorstellen. Aber auch wenn die doch etwas ungewöhnliche Mischung aus anspruchsvollen Drama und Thriller mit Rache-Thematik mit seiner verschachtelten Erzählstruktur nicht überall so gut ankommt, mir hat „Die Unbekannte“ mit seinen schwelgerischen Kamerafahrten jedenfalls sehr, sehr gut gefallen. Wer europäisches Kino mag, wird von Tonatores neuestem Genie-Streich sicherlich nicht enttäuscht werden. Für mich zählt der Film jedenfalls zu den wenigen Überraschungen des Jahres und als eindeutiger Beweis, dass die spannendsten Werke noch immer aus Europa kommen. Ein Film der durchaus weh tut und ein unangenehme Geschichte menschlicher Ausbeutung erzählt. Daher gebe ich an dieser Stelle auch mit 9 von 10 Punkten gerne eine Wertung im Spitzenfeld. Tipp!
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@ Jochen,
Review ist nun Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=4530
Vielen Dank nochmals dafür!!!
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