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Anna Carla Dosio (Jacqueline Bisset) ist die gelangweilte Frau eines Turiner Groß-Industriellen. Ihre Tage verbringt sie mit intellektuellen Plänkeleien und Nonsens-Diskussionen über die korrekte Aussprache angelsächsischer Wörter mit ihrem homosexuellen Freund Massimo Campi (Jean-Louis Trintignant). Hauptziel ihrer Spötteleinen sind dabei der Werteverfall der Gesellschaft und die zunehmende Verrohung der Sitten innerhalb der sogenannten „feinen Gesellschaft“ Turins. Und dieser personifiziert sich in dem unsympathischen Architekten Garrone, der obszön und fluchend die noblen Veranstaltungen der High Society in ihren Grundfesten erschüttert. In einem handgeschriebenen Brief an Massimo wünscht sich Anna Carla nichts sehnlicher als die rituelle Ermordung des Architekten, der Anstand und Sitte bedroht.
Als dieser tatsächlich mit einem steinernen Penis erschlagen wird, landet dieser Brief in den Händen der Polizei. Komissar Santamaria (Marcello Mastroianni) nimmt die Ermittlungen, wird jedoch von höchster Stelle instruiert, diese mit Samthandschuhen und allerhöchster Diskretion durchzuführen. Massimo und Anna Carla sind natürlich aufgrund des Briefes ziemlich verdächtig, haben jedoch außer ihrer persönlicher Abneigung kein Motiv. Anna Carla sieht in dem Fall die Möglichkeit, die Langeweile ihres Alltages zu beenden und beteiligt sich mit Massimo auch eifrig an den Ermittlungen. Und auch Lello (Aldo Reggiano), recherchiert auf eigene Faust, als er erfährt, dass sein geliebter Freund Massimo ins Visier der Polizei geraten ist. Der Fall zieht immer weitere Kreise und immer mehr Personen beteiligen sich an den Nachforschungen. Doch dann geschieht ein zweiter Mord...
Über den Film „Die Sonntagsfrau“ von dem italienischer Regisseur Luigi Comencini aus dem Jahre 1975 hab ich im Vorfeld ja noch nie was gehört. Und eigentlich habe ich mir auch eher einen handfesten, italienischen Krimi bzw. einen Polizeifilm erwartet. Aber die Geschichte über den Mord an dem schmierigen Architekten bietet ja nur die Rahmenhandlung für einen herrlich-selbstironischen Film, der die sogenannte High-Society portraitiert und deren Verhalten mit allerlei bissigen Dialogen demaskiert. So tritt die Kriminalhandlung des Öfteren dezent in den Hintergrund und bietet Platz für die Enttarnung von Doppel- und Scheinmoral der feinen Gesellschaft, die sich mit ihrem Verhalten so gerne vom gewöhnlichen Proletariat abgrenzen möchte, aber im Grunde doch mit den gleichen, durchaus menschlichen Problemen zu kämpfen hat. In diesem Punkt erinnert mich der Film persönlich sehr stark an Michelangelo Antonionis „Blow Up“, in dem ebenfalls eine Krimihandlung dazu dient, das Zeitgefühl einer Gesellschaftsschicht bzw. einer ganzen Generation zu dokumentieren. Und so ist die Kriminalgeschichte in „Die Sonntagsfrau“ auch nur der Aufhänger für den Blick hinter die Kulissen der reichen und feinen Leute in Turin, die gelangweilt und ohne sinnvoller Beschäftigung die Tage verstreichen lassen.
Und was soll ich sagen, „Die Sonntagsfrau“ ist seit langem wieder mal ein Film, der so was von genau meinen Geschmack getroffen hat. Diese auf den ersten Blick etwas seltsame Mischung aus Kriminalfilm und Gesellschaftssatire mit ihren bissigen Dialogen und grotesken Entwicklungen ist so was von stimmig geraten, dass man dem Film auch gerne verzeiht, dass er nicht wirklich spannend ausgefallen ist und auch das Motiv des Mörders etwas giallo-esk in der letzten Minute aus dem Hut gezaubert wird. Vor allem die Charaktere des Films sind sehr interessant ausgefallen. Da gibt es einerseits die gelangweilte Industriellen-Gattin, für die der Kriminalfall eine gelungene Abwechslung in ihrem tristen Alltag darstellt. Dann der Möchtegern-Intellektuelle Massimo, der noch bei seinen Eltern wohnt, vor denen jedoch die Tatsache verbergen muss, dass er homosexuell ist. Dessen Freund Lello, dessen Selbstwertgefühl nicht gerade von der Tatsache gesteigert wird, dass sein Freund nicht zu ihm stehen will. Dann gibt es noch die bigotten Schwestern, die Probleme mit Prostituierten haben, im Tonfall aber denen um nichts nachstehen und über alle dem steht der gebildete Komissar Santamaria, der teils belustigt, teils desinteressiert die ganzen Entwicklungen beobachtet. Nach dem Mord steht er zwar vor einem Rätsel, es werden ihm jedoch laufend von Personen, die selbst Nachforschungen anstellen, Informationen zugespielt. So fügt sich langsam das Puzzle zusammen und zum Schluss löst sich das Mysterium dann auch fast von selbst.
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Erstlingsroman des italienischen Schriftstellers Carlo Fruttero, der diesen Roman gemeinsam mit seinem Partner Franco Lucentini. Ungewöhnlich war in dem Werk der offene Umgang mit dem Thema Homosexualität, der im Erscheinungsjahr 1974 nicht unbedingt selbstverständlich war. Das Buch bietet wie der Film ein sehr stimmiges und detailreiches Bild der italienischen Gesellschaft der Siebzigerjahre. Der Handlungsstrang mit dem ermittelnden Komissars, der aus dem tiefsten Süditalien stammt und sich erst in Turin zurechtfinden muss, wurde im Film jedoch nur angedeutet. Die beiden Autoren veröffentlichten seit „Die Sonntagsfrau“ zahlreiche weitere erfolgreiche Romane, die neben Kriminalhandlungen auch immer eine gesellschaftskritische Komponente beinhalteten und von denen auch einige verfilmt wurden.
Ein Grund warum „Die Sonntagsfrau“ auch so gut funktioniert ist wohl die Tatsache, das für den Streifen ein absolut grandioses Ensemble gecastet wurde. Jacqueline Bisset verkörpert die lasziv-gelangweilte Dame der oberen Gesellschaft mit jeder Pore ihres wunderschönen Körpers. Jean-Louis Trintignant spielt den homosexuellen Freizeit-Philosophen, der hingerissen ist zwischen spießbürgerlichen Adel und homosexueller Lebensweise auch sehr facettenreich und überzeugt in jeder Sekunde. Und über Marcello Mastroianni muss ja ohnehin nicht mehr viel gesagt werden. Den Womenizer vor dem Herrn kennt ohnehin jeder und wer ihn in „Die Sonntagsfrau“ beobachtet, der wundert sich auch nicht, warum der gute Herr zur Elite der Schauspielerei gezählt wird. Aber auch die restlichen Darsteller, allen voran der sympathische Aldo Reggiano sind sehr gut gewählt und verleihen dem Film im darstellerischen Bereich wohl die volle Punktezahl.
Koch Media beweist mit „La Donna della Domenica“ wieder einmal recht eindrucksvoll, dass sie nicht nur von Filmen, sondern auch von der technischen Umsetzung etwas verstehen. Wie schon die Vorgängerfilme aus der Italokiste ist die Bild- und Tonqualität nahezu perfekt und wer auf die gelungene deutsche Synchronisation verzichten möchte, der kann sich diesen tollen Streifen selbstverständlich ungekürzt auch im italienischen Original mit optionalen, deutschen Untertiteln genehmigen. Als Bonusmaterial gibt es neben dem Trailer und einer umfangreichen Bildergalerie noch eine Featurette mit dem Kameramann Lucioano Tovoli, der sehr sympathisch von den Dreharbeiten und den mitunter schwierigen Verhältnis zum Regisseur berichtet. Abgerundet wird das ganze noch mit einer schönen Verpackung und einem ausführlichen Booklet, welches mir jedoch nicht zur Verfügung stand.
„Die Sonntagsfrau“ ist ein weiteres Schmankerl aus der Italo-Ecke, welches wunderbar aufbereitet auch jeden Fan von italienischen Meisterstücken begeistern sollte. Irgendwo zwischen Komödie, Giallo und Poliziotteschi angesiedelt, begeistert dieser dialog-lastige Streifen mit Wortwitz, skurrilen Charakteren und einer durchdachten Geschichte. Man merkt, die Nähe von Comencinis Werk zum anspruchsvollen Film, als zu herkömmlichen Werken aus der Giallo-Schmuddelecke, die im selben Zeitraum zuhauf gedreht wurden. Der Soundtrack von Ennio Morricone ist wieder einmal grandios, die Inszenierung gelungen und sowieso und überhaupt, sollten italophile Leser gar nicht mehr lange überlegen, sondern sich sofort diesen tollen Streifen organisieren. Den wo andere Werke bei der Kombination aus Gesellschaftssatire und Krimi kläglich gescheitert sind, überzeugt dieser Streifen auf der ganzen Linie. „Die Sonntagsfrau“ ist ein Film für jeden Wochentag, ein wahres Highlight in jeder Sammlung und ein weiterer eindrucksvoller Beweis, dass in meinem Geburtsjahr nur tolle Filme gedreht wurden.
Beitrag geändert von jogiwan (09.October 2008 14:45:19)
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@ Jochen,
das Review ist nun Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=4369
Vielen Dank nochmals!!!
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Lol, KOCH MEDIA hatte mir heute endlich das Booklet zu diesem Film als .pdf Datei geschickt.
Soll ich Dir das schicken, oder eher nicht mehr?
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jogiwan schrieb:
nur her damit - der Vollständigkeit halber
Ok, ist an Dich raus, wenn Du was am Review ergänzen magst, kannst Du das natürlich gerne machen - kein Thema.
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