project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Der übergewichtige und etwas naive Wissenschaftler Tokita hat für Dr. Shima bzw. dessen Abteilung für Psycho-Analyse ein revolutionäres Gerät erfunden. Mit Hilfe eines sogenannten DC-Mini´s kann der Therapeut die Träume seines zu behandelten Patienten teilhaben, diese aufzeichen und sogar verändert auf sie einwirken. Damit sind neuen Behandlungsmethoden in der Traumanalyse Tür und Tor geöffnet und die etwas unterkühlte Dr. Atsuko Chiba behandelt mit ihrem Traum-Alter-Ego namens Paprika mit dem Polizisten Toshimi bereits ihren ersten Patienten. Toshimi, ein Jugendfreund von Dr. Shima ist seit Jahren einem immer wiederkehrenden Alptraum ausgesetzt.
Wenig später kommt es im Labor zu einem Zwischenfall. Mehrere Prototypen des DC-Minis wurden gestohlen. Bei einer eilends zusammengerufenen Versammlung mit dem Vorstandvorsitzenden der Klinik äußerst dieser Bedenken bei der Anwendung eines solchen Gerätes. Und auch Shima verhält sich merkwürdig, redet wirres Zeug und springt in einem Anflug einer Wahnvorstellung schlussendlich aus dem Fenster. Shima überlebt durch einen glücklichen Zufall, liegt jedoch bewusstlos im Krankenhaus. Doch wie sich kurze Zeit später herausstellt, wurde Shima ein Alptraum eines Patienten in sein Unterbewusstsein gepflanzt. Dieser konnte nicht mehr zwischen Traum und Realität unterscheiden. In dem eingepflanzten Traum findet Atsuko neben einer grotesken Parade voller Symbolik auch den Hinweis, dass es bei dem Dieb um Himuro ein Mitglied der Forschungseinrichtung handeln könnte.
In dessen Wohnung finden Tokita, Atsuko und ein weiteres Mitglied der Forschungseinrichtung tatsächlich Hinweise, dass es sich bei dem Dieb um Himuro handelt, der offensichtlich Neidgefühle gegenüber dem genialen Wissenschaftler Tokita hegte. Während Atsuko die Wohnung durchsucht, wird auch sie Opfer einer Attacke, kann jedoch in letzter Sekunde gerettet werden. Wenig später gibt es weitere Angriffe mit der immergleichen Wahnvorstellung auf Mitglieder der Forschungsabteilung. Doch auch dieser Art Traum scheint sich mittlerweile mit denen der Opfer zu vereinen und nimmt immer größere Ausmaße an. Durch einen Hinweis im Traum findet Atsuko und Tokita den verdächtigen Himuro in einem aufgelassenen Vergnügungspark. Doch dieser ist selbst nur Opfer der Wahnvorstellung und stürzt sich vor den Augen seiner Freunde beinahe in den Tod.
Als der Vorstandvorsitzende alle weiteren Versuche untersagt, bittet Shima seinen Jugendfreund Toshimi in dem Fall zu ermitteln. Der ist jedoch gerade selbst damit beschäftigt, die eigenen Geister seiner Vergangenheit zu bewältigen. Und der Schlüssel zu dem Mysterium ist ohnehin nicht in der Realität, sondern viel mehr in einem der Träume zu suchen. Als diese jedoch immer mehr in die Realität eingreifen dringt Atsuko mit Hilfe von Paprika im Schlaf in diese Wahnvorstellung ein und versucht herauszufinden, wer oder was hinter diesen Attacken steht. Doch da scheint es schon fast zu spät zu sein. Traum und Realität verschmelzen vollends und die Zerstörung der Zivilisation scheint unvermeidlich...
Dass sich in Satoshi Kons Filmen gerne mal Realität und Traum zu einem sonderbaren Etwas vermischen ist ja hinlänglich bekannt. Was der japanische Ausnahme-Regisseur jedoch mit „Paprika“ abgeliefert hat, hat man in der Form wohl noch nirgends gesehen. „Paprika“ ist quietschbunt, laut, rasant inszeniert und wird am Ende gar apokalyptisch. Dabei ist der Beginn mit der Zirkusparade schon so derartig schräg, dass man die Kinnlade nach ein paar Minuten gleich nach unten geklappt lassen kann. Das Gesehene dabei in Worte zu fassen ist mehr als schwierig. Nur soviel: „Paprika“ ist entweder das Werk von Irren oder von Genies. Nach mehrmaliger Sichtung, die auch dringend empfohlen sind, tippe ich schlussendlich doch auf Letzteres. Dieses (w)irre Werk lässt sogar die fantasievollen Werke von Tim Burton und Konsorten hoffnungslos verblassen. „Paprika“ ist nicht nur einfach ein Film, sondern eine Achterbahnfahrt der unmöglichsten Impressionen und ein mehrfach überdrehter Genre-Cocktail , der sich definitiv in keine Schublade pressen lässt.
Die ursprüngliche Vorlage zu „Paprika“ stammt von dem japanischen Schriftsteller Yasutaka Tsutsui, der diese Geschichte als Fortsetzungsroman für eine Frauenzeitschrift geschrieben hatte. Zahlreiche Pläne, das Buch als Realfilm zu verfilmen scheiterten mehrmals am Budget. Auch Satoshi Kon hatte diese Vorlage bereits 1998 für seinen ersten Film im Sinn, diesen Gedanken jedoch wieder verworfen, da er nicht daran glaubte, jemals die Rechte daran zu erhalten. Im Jahre 2003 trafen sich Tsutsui und Kon mehr oder weniger zufällig und Tsutsui fragte Kon, ob er nicht Lust hätte, sein Buch als Anime zu verfilmen. Der war natürlich begeistert und machte sich eifrig ans Werk, das Buch nach seinen Vorstellungen zu adaptieren. Und so entstand in eineinhalb Jahren Arbeit ein von Kon entworfenes Storyboard mit 1046 Bildern und 614 Seiten, die als Vorlage für den fertigen Film diente.
Träumen an sich ist ja eigentlich ein seltsames und auch weitgehend noch unerforschtes Phänomen. Klar ist nur, dass jeder Mensch im Schlaf die unterschiedlichsten und unmöglichsten Dinge träumt, an die man sich dann nach dem Aufwachen entweder ganz, bruchstückhaft oder gar nicht mehr erinnern kann. Träume unterliegen keiner Ordnung, keinen physikalischen Gesetzen, keinen moralischen Grundsätzen. Sprich: im Traum ist einfach alles möglich. Und auch, wenn sie vermutlich mehr über jemanden aussagen, so bleiben sie doch oftmals unser Geheimnis. Die Traumdeutung ist jedoch auch ein wichtiger Zweig der Psychoanalyse, die jedoch vor einem unlösbaren Problem steht. An einem Traum kann keine zweite Person teilhaben und nicht direkt beobachtet werden. Der Traumforscher muss den Patienten wecken um ihn nach seinen Erlebnissen zu befragen und selbst dann spielt das Gehirn und Erinnerungsvermögen oftmals einen Streich.
Und genau hier setzt Satoshi Kon mit seiner Geschichte an. Mit Hilfe des revolutionären DC-Minis kann der Therapeut an den Träumen der Patienten teilhaben, diese aufzeichnen und Schritt für Schritt gemeinsam mit dem Patienten analysieren. Eine Entwicklung, die zwar Abhilfe für ein bisher unlösbares Problem beinhaltet, jedoch auch zahlreiche Gefahren in sich birgt. Den ein Traum ist immer eine zutiefst persönliche Verarbeitung von fiktiven und realen Elementen, die im Normalfall auch für keine weiteren Personen gedacht sind. Das sind dann auch die Bedenken einiger Personen, die mit dem DC-Mini die letzte Bastion der persönlichen Intimität bedroht sehen. Natürlich kommt es, wie es kommen muss und der DC-Mini gerät in die Hände einer Person mit Geisteskrankheit und Größenwahn. Und im Verlauf des Filmes verschwimmen Realität und abstruse Traumwelten so unkontrolliert miteinander und weder die Protagonisten, geschweige denn die Zuschauer wissen so recht, wie es ihnen geschieht. Und einzig und allein „Paprika“ – das traumdeutungs-erfahrene Alter-Ego von Atsuka kann schlussendlich Licht in die verworrende Sache bringen und die alte Ordnung wieder herstellen.
Einmal tief durchatmen – runterkommen! Satoshi Kon macht es dem Zuschauer mit seinem 4. Spielfilm nämlich alles andere als leicht. Kollektiv-Träume als Wahnvorstellung, die die Zurechnungsfähigkeit der Menschen bedrohen, Traum-Alter-Egos, Nonsens-Monologe, Zeitsprünge, wiederholende Sequenzen und Dialoge sind Dinge, die bei der ersten Sichtung gleich auf mehreren Fronten für Verwirrung sorgen. Beim ersten Mal sehen wirkt „Paprika“ auch eher wie ein surrealistisch-konzipiertes Puzzle voller Widersprüche, als ein herkömmlicher Film. Satoshi Kon nutzt die Möglichkeiten des Animationsgenres auch zur Gänze aus und präsentiert in einem haarsträubenden Tempo Szenen auf Szenen, die in ihrer Unwirklichkeit auch nicht zu überbieten sind. Allem voran eine bizarre Parade in denen Haushaltsgegenstände, Autos, Stofffiguren, Roboter, Relikte, Heiligenfiguren, Musikinstrumente, Torbögen etc mit Pauken und Trompeten durch die Gegend zieht und die Verschmelzung immer zahlreicherer (Traum-)Einflüsse verdeutlicht.
Eine Schublade für das Werk zu finden ist wie bereits erwähnt dann auch unmöglich. „Paprika“ ist Sci-Fi, Krimi, Psychodrama und experimenteller Kunstfilm zugleich und bietet zwischendurch noch eine zarte Liebesgeschichte und leise Kritik am Forschungswahn der Menschheit. Was aber sofort ins Auge sticht, ist die grelle Farbgebung des Filmes. Während „perfect blue“ und „Tokyo Godfathers“ noch mit verhaltener Farbgebung ihre Geschichten erzählen, so wurde bei „Paprika“ in den vollen Farbtopf gegriffen und satte Farben verwendet. Eine grellbunte Reise in finstere Traumwelten, die man in der Form sicherlich noch nie gesehen hat. Und auch die Musik, abermals von Susumo Hirasawa passt mit seinen komplett überladenen Sounds, den verfremdeten Vocal-Samples und ungewöhnlichen Rhythmuswechseln hervorragend zu den schrägen Bildern.
Die DVD von Sony Pictures bringt dieses ungewöhnliche Machwerk in einer schönen Euro-Veröffentlichung als Doppel-DVD. Auf der ersten Scheibe gibt es den Hauptfilm in Japanisch, Englisch und deutscher Sprache, sowie unzähligen Untertiteln von B wie Bulgarisch bis U wie Ungarisch. Die Bildqualität ist phänomenal und auch die Tonqualität ist sehr gut. Auf der Bonus Disc gibt es zahlreiche Dokumentationen, wie zum Beispiel ein ausführliches Making-Of, das Einblicke in die Arbeitsweise von Satoshi Kon bietet. Weiters gibt es ein Zusammentreffen von Regisseur und Schriftsteller und die Unterschiede zwischen Romanvorlage und Film werden erläutet und auch die japanischen Sprecher kommen ausführlich zu Wort. Und als besonderen Bonus gibt es noch 3 Reproduktionen von Originalzeichnungen im Postkartenformat. Alles in allem eine mehr als würdige Veröffentlichung, die den Fan restlos begeistern wird.
Abschließend bleibt zu sagen, dass „Paprika“ das wohl bisher extravaganteste und farbenfrohste Werk des japanischen Ausnahmeregisseurs handelt, das ich Einsteigern nur bedingt empfehlen würde. Hier prallt alles, was Kons Werke so Besonders machen in einem atemberaubenden Tempo so unvermittelt aufeinander, dass Anime-unerfahrene Personen wohl hoffnungslos überfordert sein werden. Vieles was beim ersten Mal jedoch unlogisch wirkt, löst sich spätestens bei der zweiten Sichtung wieder auf. Und ein mehrmaliges Schauen von „Paprika“ bleibt wohl niemandem erspart, der den Film zumindest annähernd verstehen will. Und auch wenn sich Satoshi Kon am Ende doch ein bisschen zu sehr in apokalyptische Traumwelten verstiegen hat, so bleibt unterm Strich doch ein mehr als außergewöhnlicher Film, den man schon gesehen haben sollte und der auch in keiner Anime-Sammlung fehlen sollte. Eine mehrmalige Sichtung ist aber dringend empfohlen. Wie man dieses Werk noch toppen kann, ist allerdings fraglich - ich bin jedenfalls mehr als gespannt: 9 von 10 Punkten
Beitrag geändert von jogiwan (02.August 2008 20:18:02)
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@ Jochen,
Review ist nun Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=4002
Vielen vielen Dank nochmals für das tolle Special!!!
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