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Die 21jährige Mima ist erfolgreiche Sängerin in der japanischen Girl-Group „Cham“. Da jedoch der Markt für Girl-Groups und Plastik-Pop ziemlich ausgereizt ist, verlässt sie auch auf Anraten ihres Managements am Höhepunkt ihrer gesanglichen Karriere die beiden Kolleginnen, um sich in Hinkunft einer schauspielerischen Karriere zu widmen. Dieser Wechsel stößt jedoch nicht bei allen Fans auf Gegenliebe. Durch Zufall erfährt sie bei einer U-Bahn-Fahrt von einer Internet-Homepage, auf der unter ihrem Namen ein Tagebuch geführt wird, auf der auch sehr intime Geheimnisse offenbart werden. Dinge, von denen nur Mima bzw. ihr Umfeld etwas wissen kann. Doch die angehende Schauspielerin fühlt sich im ersten Augenblick geschmeichelt und schenkt der Homepage keine weitere Beachtung
Mimas erster Auftritt in der erfolgreichen Mystery-Serie „double bind“ ist sehr kurz und wird auch noch von einem tragischen Zwischenfall überschattet. Mimas Agent wird durch eine als Fanbrief getarnte Briefbombe an der Hand verletzt. Als der Drehbuchautor auf Bitte des Managements der Rolle von Mima mehr Gewicht und Präsenz verordnet, schreibt dieser eine heftige Szene, in dem der Rollencharakter Mimas von mehreren Männern in einer Strip-Bar vergewaltigt wird. Rumi, die persönliche Assistentin rät Mima, diese gewagte Szene nicht zu spielen, da sie ihren früheren Fans endgültig vor den Kopf stoßen würde. Auch Mima behagt der Gedanke nicht sonderlich, doch sie spielt die Szene. Die Serie läuft mittlerweile sehr erfolgreich und aus Publicity-Zwecken werden auch von einem Fotografen erotische Fotos gemacht und in einem Magazin veröffentlicht.
Wenig später sieht sich Mima jedoch mit einem Stalker und einer ominösen Doppelgängerin konfrontiert, die sich ihr gegenüber als „die wahre Mima“ vorstellt. Die Doppelgängerin offenbart Mima, dass sie in ihrem Leben nur einen Wunsch hat. Nämlich weiter in der Girlgroup „Cham“ zu singen und so ihre zahlreichen Fans mit ihren Liedern glücklich zu machen. Auch im fiktiven Tagebuch von Mimas Homepage finden sich Einträge, die nicht mehr mit den Gedanken der eigentlichen Mima übereinstimmen. Als dann auch noch besagter Drehbuchautor und wenig später der Fotograf auf grauenvolle Weise ermordet werden, zweifelt Mima zunehmend an ihrem Verstand und Zurechnungsfähigkeit. Realität, Rolle und Traum scheinen zu verschwimmen und letztendlich weiss selbst Mima nicht mehr genau, ob sie nicht selbst die Täterin der furchtbaren Morde ist. Als die Morde weitergehen und sie selbst Opfer eines Anschlages wird, versucht sie verzweifelt, diesem Alptraum zu entkommen...
Der Anime „Perfect Blue“ von Satisho Kon aus dem Jahre 1997 ist ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlicher Film. Animes waren vor dem Studio-Ghibli-Boom bis zu diesem Zeitpunkt in Europa auch eher als gewalttätige Manga-Verfilmungen oder sehr sexuelle Sci-Fi-Werke inklusive Tentakelmonster bekannt. Bei „Perfect Blue“ handelt es sich aber trotz einiger gewalttätiger Szenen, um ein handfestes Psychodrama, das in der Tradition von Alfred Hitchcock und David Lynch, den Zuseher mehrfach hinters Licht führt und vor allem in der zweiten Spielzeit nicht mehr sicher sein lässt, was jetzt gerade wirklich passiert. Realität und Szenen, die Alpträumen entsprungen sein könnten, verbinden sich weiters mit Mimas fiktiver Serienrolle und sorgen für zusätzliche Verwirrung. Wer dem Film nicht seine volle Aufmerksamkeit widmet, wird bei der ersten Sichtung auch leicht den Faden verlieren.
Die Geschichte der Girl-Group-Sängerin, die Schauspielerin werden möchte ist dabei durchaus hintergründig ausgefallen. Vor allem in Japan haben die zu Püppchen stilisierten Sängerinnen seit Jahren Konjunktur. Der Markt ist jedoch mittlerweile übersättigt, die Gruppen sowie Sängerinnen mitsamt ihren Liedern erschreckend austauschbar. Doch die Versuche im ebenfalls umkämpften Schauspiel-Genre Fuß zu fassen ist mit Kompromissen verbunden. Die Rolle, die Mima vom männlichen Drehbuchschreiber auf den erotischen Leib geschrieben wird, ist von Männerphantasien geprägt und von sexueller Gewalt geprägt. Später müssen für Marketing-Zwecke erotische Fotos her. Auch ein Umstand, der von einem jungen Menschen nicht so einfach verkraftet werden kann und die erstrebte Unabhängigkeit entpuppt sich neuerlich als Gefängnis.
Der Charakter von Mima erfährt nach der ersten Konfrontation mit der Doppelgängerin nach der ersten Halbzeit eine unerwartete Wendung. Denn wie die Rolle, die Mima in der Serie „double bind“ zu verkörpern hat, scheint auch die ehemalige Sängerin zunehmend an einer Persönlichkeitsspaltung zu leiden. Realität und Traum scheinen sich zu vermischen, Situationen wiederholen sich und die junge Schauspielerin weiß schlussendlich selber nicht mehr genau, ob sie gerade wach ist oder träumt. Als dann die grauenvollen Morde geschehen, scheint Mima zu wissen, dass sie in irgendeiner Form daran beteiligt zu sein scheint. Doch die Lösung bzw. der Schlüssel zu dem Ganzen ist natürlich weit komplizierter als ursprünglich gedacht. Doch das wird natürlich an dieser Stelle nicht verraten.
Die Geschichte von „Perfect Blue“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Yoshikazu Takeuchi, der jedoch in der ursprünglichen Form wesentlich Action lastiger geschrieben wurde. Regisseur Satoshi Kon hat bei seinem Film das Hauptaugenmerk eher auf die charakterliche Entwicklung seiner Figuren gelegt und dahingehend adaptiert. Die ursprüngliche Intention lag auch darin, einen Film für ein Publikum zu entwickeln, die sich normalerweise nicht für Splatter- und Sci-Fi-Orgien bzw. Animes generell interessieren. Eine Kinoauswertung im japanischen Raum war für diese Direct-to-Video-Produktion ursprünglich auch gar nicht vorgesehen und wurde erst durch den zunehmenden Erfolg im Ausland möglich. Denn auch wenn der Film nicht unbedingt für ein westliches Publikum konzipiert wurde, so kam die ungewohnte Mischung aus Kunstfilm, Anime, Gewalt und unvorhersehbar-mysteriöser Geschichte beim amerikanischen und europäischen Publikum unerwarteter weise gut an. So war „Perfect Blue“ neben „Akira“, „Jin-Roh“ und „Ghost in the Shell“ auch einer der ersten Anime, der in deutscher Synchronisation am deutschen Markt erhältlich war. Die deutsche Erstaufführung fand sogar bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin statt.
Womit aber viele westliche Zuseher auf den ersten Blick nicht so recht zusammenkommen, ist der beinahe inflationäre Gebrauch diverser Handlungsebenen, die in späteren Werk „Paprika“ jedoch noch intensiver und verwirrender verwendet wurden. Alptraumhafte Sequenzen, Film-im-Film-Thematik und Realität wechseln so sprunghaft miteinander, dass der Seher zweifelsfrei sehr oft auf falsche Fährten geführt wird. Die Auflösung mag zwar auf den ersten Blick logisch erscheinen, bietet aber aufgrund eines zweideutigen Endes schlussendlich auch mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Entweder man mag Kons Art und Weise Geschichten auf mehreren Ebenen zu erzählen, oder man wird auch mit seinen weiteren Filmen – mit Ausnahme von „Tokyo Godfathers“ überhaupt nicht zu recht kommen. Denn wie auch bei den nachfolgenden Werken üblich, bietet der Film mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Als Einstieg in die komplexen Bilderwelten von Satoshi Kon eignet sich „Perfect Blue“ hingegen sehr gut.
Die Entwicklung des 81minütigen Animationsfilmes betrug von der ersten Skizze bis zur fertigen Produktion an die 3 Jahre. Als Special Supervisior konnte Katsuhiro Otomo gewonnen werden, der für den Klassiker „Akira“ verantwortlich zeigt. Im Gegensatz zu einem Budget von 10 Millionen Dollar (Akira) standen bei „Perfect Blue“ lediglich 3 Millionen Dollar zur Verfügung. Aber selbst wenn bei den Zeichnungen aufgrund des Budgets sicher einige Abstriche gemacht werden müssen, so überzeugt der Film doch durch eine durchwegs gute Umsetzung mit spärlichem Einsatz von CGI, einer ungewöhnliche Geschichte und noch ungewöhnlicheren Erzählweise. Im Jahre 2002 wurde der Roman von Takeuchi neuerlich als Realfilm verfilmt. Angeblich soll sich dieser Film näher am Originalbuch halten, ist jedoch außerhalb des asiatischen Raumes meines Wissens nicht erhältlich und somit weitgehendst unbekannt.
Wie bereits erwähnt, war „Perfect Blue“ einer der ersten Anime, die im deutschsprachigen Raum auf DVD veröffentlicht wurde und die schicke DVD aus dem Hause REM ist mittlerweile auch vergriffen. Diese beinhaltet den Film, der zu recht mit einer FSK 16-Freigabe auf den Markt kam, in guter Bild und sehr guter Tonqualität. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle auch noch den Soundtrack, der inklusive Plastik-Pop und sphärischen Klängen immer perfekt zum Geschehen passt. Auch die deutsche Synchronisation ist im Gegensatz zu weiteren Genre-Vertretern sehr gelungen. Und wer sich „Perfect Blue“ lieber im japanischen Original anschauen möchte, kann auf deutsche Untertitel zurückgreifen. Es zahlt sich daher trotz spartanischem Extra-Bereich aus, in diversen Online-Auktionshäusern nach der Scheibe Ausschau zu halten. Wer weniger wert auf die deutsche Fassung legt, kann aber auch mit einer der zahlreichen ausländischen Fassung Vorlieb nehmen.
Satoshi Kon ist mit seinem Erstlings-Regiewerk „Perfect Blue“ ein absoluter Klassiker des Genres gelungen, der eine äußerst spannende Geschichte auf höchst unkonventionelle Weise erzählt und sich eher am westlichen Suspense-Thriller als an anderen Animationsfilmen orientiert. Ein Film über die Abgründe der Pop- und Filmindustrie und die noch weit tieferen Abgründe der menschlichen Psyche. Ein Anime, der auch 10 Jahre nach seinem Erscheinen noch immer den anspruchsvollen Genre-Fan und Kunstfilmfreund gleichermaßen begeistert und dessen wirtschaftlicher Erfolg dem Regisseur zum Glück die Möglichkeit gab, weitere seine ungewöhnlichen Geschichten und Bilderwelten zu realisieren. Und da dieser spannende Streifen auch noch meine Einstiegsdroge ins Anime-Genre war, so gibt es trotz einiger Budget-technischer Einschränkungen im zeichnerischen Bereich von mir auch an dieser Stelle die absolute Höchstwertung: 10 von 10 Punkten
Beitrag geändert von jogiwan (31.July 2008 07:41:09)
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