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Ich bin neugierig – gelb
Lena Nyman (Leny Nyman) ist eine junge Studentin in Schweden der späten sechziger Jahre und lebt gemeinsam mit ihrem Vater in einer kleinen, schmuddeligen Wohnung in Stockholm. Wie viele ihrer studierenden Kollegen ist Lena mit der politischen und wirtschaftlichen Situation ihres Landes nicht zufrieden. Mit einem Mikrofon und chronischer Neugier bewaffnet ist sie tagtäglich unterwegs und interviewt auf der Strasse, in Geschäften, politischen Zentralen und anderen Örtlichkeiten Arbeiter, Akademiker, Politiker, Gewerkschafter etc um so ein Bild der aktuellen Lage in ihrem Land aufzuzeichnen. Diese Tondokumente sammelt sie genauso akribisch wie Zeitungsausschnitte, Fotodokumente, Berichte und Flugzettel in ihren Zimmer, welches sie ironisch als „Nymans Institut“ bezeichnet.
In ihren Zimmer befindet neben dem bereits erwähnten zeitgeschichtlichen Material auch Fotos aus Konzentrationslagern und einem Portrait des Faschisten Francos, welche als Mahnmale gelten sollen, auch noch eine Tafel, auf der Lena zynisch die Tage zählt, die vergangen sind, seit ihr verhasster Vater, ein ehemaliger Sozialist aus seinem Bürgerkrieg-Einsatz in Spanien von der Interbrigade desertierte und ihrer Meinung nach Spanien den Faschisten überließ. Doch im Gegensatz zu ihrem Vater ist Lena bereit, für ihre Ideale einen Schritt weiterzugehen. Sie betätigt sich in politischen Aktivismus, setzt sich für gewaltlosen Widerstand ein und demonstriert eifrig vor Botschaften gegen die nukleare Aufrüstung.
Wenig später lernt sie Börje (Börje Ahlstedt), einen jungen Modeverkäufer kennen, mit dem sie sich in eine leidenschaftliche Affäre stürzt. Doch Börje hat Lena verschwiegen, dass er bereits Frau und Kind zuhause sitzen hat. Als Lena dieses erfährt ist sie stocksauer, flüchtet aufs Land und versucht in der Abgeschiedenheit mit Yoga und neuen Bewusstseinsformen ihren vermeintlichen Akt ihrer sexuellen Befreiung zu verarbeiten. Doch Börje folgt ihr und die beiden stürzen sich erneut in sexuelle Aktivitäten. Lena muss erkennen, dass der gute Börje jedoch neben seiner Frau und ihr auch weiteren sexuellen Abenteuern nicht abgeneigt. Lenas infiziert sich mit Krätze und die Realität verschwimmt zunehmend und der Film steigert sich zu einer fiebrigen Traumsequenz in der Lena eine gesamte Fußballmannschaft an einen Baum fesselt und ihren Lover erschießt und entmannt und schlussendlich sogar Martin Luther King erklärt, an ihren hohen Idealen gescheitert zu sein.
Aber, gescheitert oder nicht, das Leben geht trotzdem weiter - vor allem wenn der Film zu Ende gedreht werden muss. Lena kehrt zurück und zerstört nach einem miesen Drehtag und einem wilden Streit mir ihrem Vater ihre Aufzeichnungen im so genannten Institut und sticht in einem Wutanfall mit einem Dolch auf das Bildnis von Franco ein. Wenig später wird Lena und Björn in einem Krankenhaus von der Krätze befreit, sie beendet ihre Affäre mit dem Regisseur und flüchtet sich in die Arme von Björn…
Ich bin neugierig – gelb“ von Regisseur Vilgot Sjöman aus dem Jahre 1967 ist ein schwedischer Film, der aus unterschiedlichen Gesichtspunkten seit seinem Erscheinen Grund für zahlreiche Kontroversen war und neben Zensur auch zahlreiche Behörden und Gerichte beschäftigte. Grund ist hierfür nicht nur die relativ-natürliche Darstellung von körperlicher Liebe und nackten Körpern, sondern auch den vermittelten politischen Inhalten, fiktiven Nachrichtenmeldungen und vermeintlicher Polemik. „Ich bin neugierig – gelb“ ist teils dokumentarisch, teils fiktiv und verbindet die erzählte Geschichte mit dessen Entstehung und dem Umfeld der Dreharbeiten. So spielt der Regisseur Sjöman gleichfalls eine Hauptrolle, greift mehrmals in die Handlung ein und gibt Regie-Anweisungen. Lena ist einmal Schauspielerin, die (Ex-)Geliebte des Regisseurs, dann wieder die ideologische Studentin. Klingt verwirrend - ist es aber nicht. Der Film und seine ernste Thematik ist durch seine unkonventionelle Machart und humorvollen Unterton mehrfach ironisch gebrochen, nimmt sich selbst nicht ernst und entkräftet somit nachhaltig den Vorwurf der Pornografie und dem der einseitig (links-) gerichteten Propaganda. Außerdem hat Regisseur Sjöman auch noch Szenen und Interviews von Politikern und Aktivisten wie den späteren Ministerpräsidenten Olaf Palme, Martin Luther King und dem russischen Schriftsteller Yevgeni Yevtushenko in seinen Film eingebaut.
Trotz aller Skandale, Anschuldigungen und Widrigkeiten, denen der Film ausgesetzt war, ist Vilgot Sjöman jedoch zweifellos ein zeitgeschichtliches Dokument gelungen. Eine Bestandaufnahme eines von außen betrachtet liberales Landes im Zwiespalt zwischen Tradition und Mut zur Veränderung. Das Portrait einer Generation, die nicht mehr bereit ist, sich alles von Kirche und Staat diktieren zu lassen und teils demonstrativ, teils naiv für ihre Ideale auf die Strasse zu gehen. So sind in dem Film auch einige – für damalige Verhältnisse - gesellschaftlich sehr brisante Szenen humorvoll verpackt. So gibt es in der Szene, in der Lena von den sexuellen Erfahrungen mit ihren bisherigen 23 Männern erzählt. Im Jahre 1968 war dieses in Schweden noch verpönt und damit gleich gar keine Missverständnisse aufkommen, sieht man in der unmittelbar darauf folgenden Szene das Schild des schwedischen Filminstituts mit dem Hinweis „Stiftung Zensur“. Lustig auch der Workshop zur gewaltlosen Verteidigung und die Szene, in der Lena mit dem König von Schweden über seine alltäglichen Probleme spricht.
Die medientechnische Werbewirksamkeit eines programmierten Skandals ist bekanntermaßen eine tolle Möglichkeit mit wenig Etat ein größtmögliches Publikum zu erreichen. Meist ist ja die katholische Kirche, die mit erhobenen Zeigefinger hilft, Independent-Filmmacher zu größerer Popularität zu kommen. Aber Regisseur Sjöman war das wohl zu wenig. Er legt sich mit seinem Rundumschlag mit allem an: Kirche, Militär, den Diktaturen dieser Welt, der Polizei und auch der schwedische Monarch bekommt seine kleine Portion Fett ab. Es wäre vermutlich naiv zu behaupten, dass Sjöman diese Themen nicht bewusst gewählt hätte.
Und natürlich blieb der Film nicht verschont. Während 1,3 (von damaligen 8) Millionen Schweden zu „Jag är nyfiken – en film in gult“ scharenweise in die Kinos strömten, war der Film in den Nachbarländern Finnland und Norwegen zeitweise verboten. Auch in zahlreichen anderen Ländern landete er auf den Index oder Verbotsliste und konnte - wenn – dann überhaupt nur in der geschnittenen Form aufgeführt werden. Die Gründe hierfür waren unterschiedlicher Natur. Teils wurden die Szenen der Nacktheit mit Balken versehen, teils wurden politische Meinungen herausgeschnitten. In Amerika beschäftigte „ich bin neugierig – gelb“ zwei Jahre nach seiner erstmalige Aufführung den obersten Gerichtshof, der danach urteilte, dass der Film nicht obszön sei, weil sich Kunst und Pornografie – man höre und staune - gegenseitig ausschließen. Auch in Deutschland blieb der Film nicht verschont. Da er vom deutschsprachigen Verleih im Zuge der damals aktuellen soft-sexuellen und tabulosen „Schweden“-Filme vermarktet wurde, musste er handlungstechnisch ordentlich Federn lassen. Gut 15 Minuten an Interview-Material und Handlungsmaterial wurde für die deutsche Kinoauswertung herausgeschnitten.
ich bin neugierig – blau
Lena, die 22jährige Studentin ist noch immer neugierig und möchte alles wissen. Doch dieses Mal interessiert sie sich weniger für politische Zusammenhänge, sondern für Fragen der Sexualität und Kirche. Warum sind die sexuellen Bedürfnisse der Frau noch immer denen des Mannes und der Gesellschaft untergeordnet. Wie wirkt sich die Moral und die soziale Struktur der Leistungsgesellschaft auf den Geschlechtstrieb der Menschen aus? Und warum ist die Rolle der Frau in der Kirche noch immer so unterrepräsentiert. Und vor allem: hilft die Enthaltsamkeit der Menschheit ein glücklicheres Leben zu führen? Neuerlich macht sich Lena mit dem Mikrofon auf, um ein Bild der aktuellen Lage der Menschen in Schweden zu zeichnen.
Wenig später trifft sie bei ihrer Arbeit auf Hans (Hans Hellberg) und dessen Freundin Bim (Bim Warne). Hans ist so etwas wie Lenas geistiger Vater, der damals erst ihr politisches Interesse geweckt hatte. Eine ehemalige Affäre wird wieder aufgewärmt, doch als Hans sie menschlich und sexuell enttäuscht, trifft sich Lena wieder mit Börje und macht sich danach auf, ihre Mutter im hohen Norden zu suchen.
Dort, wo die Mitternachtssonne scheint findet Lena zwar nicht ihre Mutter jedoch trifft sie auf allerlei interessante Menschen. Sie prangert nebenher die Methoden des modernen Straffvollzuges an und lernt die Nöte und Wünsche der ländlichen Jugend kennen. Sie beobachtet ein lesbisches Pärchen, kehrt wieder zurück und landet wieder beim politischen Aktivismus. Doch von ihrer Reise hat Lena nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch die Krätze mitgebracht. Die hat Börje dann natürlich auch und beide müssen ins Krankenhaus. Dort erfährt der Zuschauer auch, dass am nächsten Tag das Finale gedreht wird: Lena trifft endlich ihre Mutter.
Ein Jahr nach der gelben Version, drehte Regisseur Sjöman mit der (den Nationalfarben von Schweden entsprechend) blauen Variante eine Alternativ-Version seines Werkes aus dem Jahre 1967. Und dieses Mal sind die Grenzen zwischen Realität und Fiktion noch fließender. So beschäftigt sich „blau“ auch mit den Auswirkungen von „gelb“ auf die Schauspieler und berichtet ironisch von Zuschauerreaktionen, die mitunter sehr heftig ausgefallen sind und spielt auch mehrfach mit der Erwartungshaltung des Zuschauers. Aber auch Regisseur und Darsteller scheinen sich weiter entfernt bzw. entwickelt zu haben und mehrfach ist der (vermeintliche) Abbruch der Dreharbeiten nahe.
Die beiden „Nyfiken“-Filme sind laut Regisseur ein „Film-Zwilling“, ein Porträt eines politisch- und sexuell-radikalen Menschen in zwei Varianten, die sich gegenseitig ergänzen. „Blau“ erzählt die Geschichte von „Gelb“ allerdings von einem anderen Gesichtspunkt aus. Jedoch ist „blau“ in meinen Augen wesentlich gemäßigter ausgefallen. Außer, der für damalige Verhältnisse gewagte, Darstellung von lesbischer Liebe ist „Blau“ doch ruhiger ausgefallen. Die revolutionäre Wut scheint verflogen und statt ihrem selbst auferlegten Auftrag die Welt zu retten, besinnt sich Lena nun mehr ihrer eigenen Probleme..
Allerdings unterscheiden sich die beiden Filme auch wohltuend von anderen Filmen ähnlicher Machart. So verzichtet Lena zum Beispiel im Gegensatz zu einem „Borat“ gänzlich auf das Bloßstellen von Menschen und sie versucht auch nicht wie ein Michael Moore Personen durch eine bestimmte Interviewweise, bestimmte Antworten zu entlocken. Pro und Contras halten sich die Waage und auch Lena wird nicht als unfehlbare Instanz dargestellt, sondern auch als junger Mensch dargestellt, der zwar Ideale, jedoch mitunter nicht über das umfassende Wissen verfügt, weltpolitische Zusammenhänge im größeren Sinn zu begreifen. „Nyfiken“ will aufzeigen und zum Denken anregen, aber keinesfalls den Zuseher mit der Holzhammermethode in ein politisches Lager drängen.
Regisseur Vilgot Sjöman wurde 1924 als Sohn eines Stockholmer Bauarbeiters geboren. Nach einigen Versuchen im Theater und Schriftstellerei und einem Film-Stipendium bekam er 1961 einen Posten als Regieassistent bei Ingmar Bergman. Sein erster Film entstand 1962 auch mit dessen Hilfe. 1964 entstand „491“, ein Film über schwer-erziehbare Jugendliche, der bei seinem Erscheinen bereits aufgrund seiner Freizügigkeit heftige Reaktionen auslöste. Lena Nyman spielte dabei eine der skandalträchtigen Hauptrollen. „491“ hätte auf der Berlinale laufen sollen, wurde aber aufgrund zahlreicher Proteste aus dem Bewerb genommen. Insgesamt listet die IMDB 25 Werke, wobei Rotbart Sjöman neben Filmen wie „Glücklicher Scheißer“ aus dem Jahre 1970 auch zahlreiche Serien und TV-Filme inszenierte. Sjöman starb am 09.04.2006 an den Folgen eines Schlaganfalles
Wie es sich für so kontrovers-diskutierte Filme gehört, kommt „Ich bin neugierig gelb/blau“ als Nr. 9 der beliebten „Kino-Kontrovers“-Reihe aus dem Hause Legend. Und da muss und kann man Legend einfach nur ein großes Kompliment machen. Die beiden S/W-Filme mit jeweils über 100 Minuten Laufzeit kommen in der Originalversion, sowie der synchronisierten Version jeweils auf einer Disk. Dabei muss aber gesagt werden, dass es aufgrund massiver Kürzungen im Vorfeld keine durchgehende, deutsche Synchronisation gibt. Diese Szenen wurden mit Untertitel jedoch wieder eingefügt. Es besteht aber auch die Möglichkeit, den Film komplett in Schwedisch mit deutschen Untertiteln anzusehen.
Zu jeden der beiden Filme gibt es jede Menge Bonusmaterial und ein äußerst ausführliches und interessantes Booklet bzw. Begleitheft, welches von Johannes Leisen (www.35millimeter.de) verfasst wurde und sich mit der Entstehung, dem Umfeld, den Auswirkungen, dem Regisseur und den Hauptdarstellern der beiden Filme befasst. Weiters nicht verwendete Szenen, Trailer, Berichte über Zensur und Gerichtsverhandlungen, Geleitwort sowie ein ausführliches, aber doch etwas anstrengendes (Selbst-)Portrait des Regisseurs aus dem Jahre 1992. Das Bonusmaterial entspricht somit fast weitgehend dem der bereits länger erhältlichen Criterion-DVD und wurden deutsch untertitelt.
Mir persönlich haben die beiden Filme sehr gut gefallen, auch wenn ich mir – ehrlich gesagt - im Vorfeld doch etwas anderes erwartet habe. Skandale oder Kontroversen werden die beiden Filme knapp 40 Jahre nach Erscheinen jedenfalls keine mehr auslösen. Die Darstellung von freier Sexualität ist in Zeiten von Triers „Idioten“, Chereaus „Intimacy“ und zuletzt Cameron Mitchells „Shortbus“ erfrischend antiquiert und objektiv gesehen doch sehr harmlos. Zwei sich ergänzende Filme, wobei mir „Gelb“ aufgrund der radikaleren Geschichte und der humorvolleren Erzählweise, doch einen Tick besser als „blau“ gefallen hat. Während „Gelb“ auch alleine bestens funktioniert, würde „blau“ für sich alleine gesehen doch etwas abfallen.
Regisseur Vilgot Sjöman ist mit seinen Filmen eine ironische Bestandsaufnahme voller gesellschaftlicher und politischer Seitenhiebe auf sein Heimatland Schweden gelungen. Nebenbei sind die Filme auch noch sehr interessant und ungewöhnlich inszeniert und man wird wohl mit jeder Sichtung neue Dinge und Zusammenhänge, so wie das der mysteriösen Zahlentafel, entdecken können. Vor mir gibt’s jedenfalls eine ausdrückliche Empfehlung für dieses cineastische Doppelpack, wenn auch dieses Mal wohl eher für den politisch-interessierten Menschen. Zwei Filme, die uns abermals in Erinnerung rufen, dass Personen für politische und gesellschaftliche Rechte, die für uns heutzutage selbstverständlich sind, auf die Strasse gegangen sind und für Veränderung in den Gesetzbüchern und Köpfen der Menschen und Politiker gekämpft haben. Aber auch, dass dieser Kampf gegen Ausbeutung, Zensur und Einschränkung noch längst nicht zu Ende geführt ist.
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@ jogiwan
Wow, cooles Review - alle Achtung. Sobald die Screenshots da sind mache ich das Review mit fertig - bin heute daheim und morgen ist ja eh feiertag .
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Danke sehr! Das ging dann irgendwie doch total flott von der Hand... Die Screenshots sind auch schon gemacht, die schick ich dir dann heute abend oder spätestens morgen!
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jogiwan schrieb:
Danke sehr! Das ging dann irgendwie doch total flott von der Hand... Die Screenshots sind auch schon gemacht, die schick ich dir dann heute abend oder spätestens morgen!
Alles klar, vielen Dank nochmals!
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@ jogiwan
Das Review ist nun Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=2320 - Danke nochmals!!!
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grad gesehen, bei "1,5 Millionen (von damaligen 8)", da ist ein Smiley-Icon statt der 8) ...
Sollte man vielleicht ein Leerzeichen einfügen
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jogiwan schrieb:
grad gesehen, bei "1,5 Millionen (von damaligen 8)", da ist ein Smiley-Icon statt der 8) ...
Sollte man vielleicht ein Leerzeichen einfügen
Upss, gar nicht gesehen. Hab die Klammern durch ein "-" ersetzt .
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