project: equinoX Forum

geschrieben von jogiwan am 15.08.05

Ricky (Antonio Banderas) ist 23 und mutterseelenallein auf dieser Welt. Soeben wurde er per richterlichen Erlass aus dem Irrenhaus entlassen und ist nun mit 50.000 Pesten - die ihm die wohlwollende Anstaltsleiterin für seine "körperlichen Dienste" gegeben hat - auf den Strassen Madrids unterwegs. Er hat auch schon einen Plan, er möchte eine Familie gründen und Kinder haben. Eine Frau dafür hat er auch schon ausgewählt: Marina (Victoria Abril), eine Schauspielerin mit zweifelhafter Film- und Drogenvergangenheit, mit der er vor Jahren mal eine wilde Nacht in einem Puff verbracht hat und die gerade einen billigen Horrorfilm unter der Regie von Máximo Espejo, einem an den Rollstuhl gefesselten, todkranken Regisseur, dreht. Doch diese weiss zu diesem Zeitpunkt noch nichts von ihrem Glück.

Ricky schleicht sich auf das Filmset und versucht Marina mit einem pralinen-gefüllten Herz und einem kindlich-naiven Kunststück zu beeindrucken. Diese ist jedoch gerade mit der letzten Filmszene und schlimmen Zahnschmerzen beschäftigt, sodass sie ihn nicht einmal richtig bemerkt. Er stiehlt in ihrer Garderobe ihre Schlüssel und allerlei sonstiges Zeug, dass er gebrauchen kann. Am selben Abend läutet er bei Marina und verschafft sich gewaltsam Zutritt in ihrer Wohnung, in dem er die völlig überraschte Schauspielerin mit einem Kopfstoss ausser Gefecht setzt. Als sie wieder zu sich kommt, erklärt ihr Ricky, dass er dieses getan habe, um ihr die Möglichkeit zu geben, ihn besser kennen und lieben zu lernen. Marina ist davon natürlich nicht begeistert und versucht wiederholte Mal zu flüchten. Ricky sieht sich genötigt, die Arme - wenn auch widerwillig - ans Bett zu fesseln.

Doch Marina leidet, nicht nur an der Gefangenahme in ihrer eigenen Wohnung, sondern auch unter ihren schlimmen Zahnschmerzen. Da sie an der Nadel gehängt ist, helfen auch keine normalen Mittel und so besuchen die beiden spätnachts, Marinas suchtberatende Ärztin (Maria Barranco), die ihr ein morphiumhaltiges Schmerzmittel verschreibt. Doch die ansässige Apothekerin hat das Mittel nicht lagernd und rät zum Kauf am Schwarzmarkt. Ricky macht sich nächtens auf der Suche und überfällt eine Dealerin (Rossy de Palma) um an das Mittel zu kommen. Doch Marinas Verschwinden bleibt auch nicht verborgen. Ihre Schwester Lola (Loles León) macht sich Sorgen, dass sie wieder in Drogenprobleme verstrickt sein könnte und auch der Regisseur Maximo sucht dringend nach ihr, da er einige Szenen des Filmes neu drehen möchte.

Doch die anfängliche Ablehnung legt sich, als Marina erkennt wie ehrlich die Absichten von Ricky sind. Er möchte weder morden noch vergewaltigen - im Gegenteil: wie ein Ehemann kümmert er sich rührend um sie, repariert den Wasserhahn, kauft ein hautfreundlicheres Pflaster und überrascht sie mit einem romatischen Dinner. Und als Ricky eines Tages zusammengeschlagen von Drogeneinkäufen für Marina zurückkehrt, pflegt sie seine Wunden. Als Ricky erwähnt, dass ihn diese Geste an seine Eltern erinnere, ist sie gerührt und schläft mit ihm. Doch kurz bevor sie wenig später mit Ricky gemeinsam in sein Heimatdorf fahren möchten, dass er schon seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat, wird sie gefesselt von ihrer Schwester Lola entdeckt und ergreift die Flucht...

"Fessle mich" ist wohl ohne Zweifel der umstrittenste Film von Pedro Almodóvar. Schon bei seiner Premiere wurden kritische Stimmen laut, die Almodóvar vorwarfen, dass er die Gewalt an Frauen verherrliche. Als der Film in die amerikanischen Kinos kommt, bekommt er aufgrund der Sexszenen ein X-Rating verpasst, welches sonst nur pornographischen Filmen vorbehalten war. Die juristischen Auseinandersetzungen veranlassen die "Motion Picture Association of America" zur Überdenkung ihrer eigenen Freigaberichtlinien. Ein neues Rating wird geschafften, das "NC-17", welches hinkünftig Filmen verliehen wird, die sich ausschliesslich an ein erwachsenes Publikum richtet. )*

Zugegeben, auch ich war anfänglich etwas irritiert. Die Geschichte von Ricky, der Marina überfällt, sie fesselt und knebelt aber gleichzeitig von ihr geliebt werden möchte, kann man durchaus in den falschen Hals kriegen. Das sich Marina schlussendlich auch noch in Ricky verliebt war für viele dann einfach zuviel des Guten. Die Vorwürfe der feministischen Kritik mögen teils durchaus berechtigt sein, erübrigen sich jedoch, wenn man sich mit seinen anderen Filmen und seiner Person beschäftigt. Niemals würde es Almodovar einfallen, Gewalt an Frauen zu bewerben geschweige denn gutheissen. Vielmehr zeigt er ihre Stärke und ihr Mitgefühl und ihre Fähigkeit zu Lieben, selbst in Krisensituationen.

Marina hat in ihrer Vergangenheit viele Fehler gemacht, ist jedoch ein herzensguter Mensch, der sich im Grunde nach Geborgenheit sehnt. Ricky ist mit drei Jahren Waise geworden und in Heimen herumgereicht, in denen er sich nie wohlfühlte und immer wieder die Flucht ergriff. Auch seine Suche nach familiärer Geborgenheit hatte sich im Vorfeld nie erfüllt. Die Anstaltsleiterin hat ihn immer vor einer Gesellschaft geschützt, die den sensiblen Jungen nur verletzten würde.

In "fessle mich" greift Almodovar nicht nur teilweise auf Requisiten aus dem Film "Frauen am Rande des Nervenzusammebruchs", sondern auf die beliebte Film-im-Film-Thematik zurück, die mittlerweile einige seiner Werke auszeichnet. "Atame!" kann weiters auch als Verneigung vor dem spanischen Horrorfilm der sechziger und siebziger Jahre gesehen werden und selbst der Klassiker "night of the living dead" von George. A. Romero hat seinen kurzen Auftritt.

Victoria Abril, die bereits einen unerwähnten Kurzauftritt in Almodóvars "das Gesetz der Begierde" hatte und auf eine lange Listen von Filmen zurückblicken kann, spielt die Rolle der Ex-Pornodarstellerin sehr überzeugend und hat keine Hemmungen nackt vor der Kamera zu agieren. Für Antonio Banderas bedeutete der Film den internationalen Durchbruch und die Festigung seines Rollenbildes als Latin-Lovers. Danach lies auch Hollywood nicht mehr lange auf sich warten. Sehr interessant ist auch die Rolle des Regisseurs im Rollstuhl, der Marina gleichzeitig begehrt und beschützen möchte. Francisco Rabal verkörpert diesen Charakter zwischen Verbitterung, Wut, Hilflosigkeit und sexueller Begierde und gleichzeitiger Unzufriedenheit absolut glaubwürdig und berührend. Wie immer gibts es aber auch ansonsten einige bekannte Gesichter aus seinen frühren Filmen. Zum einen Julietta Serrano, die leider jedoch nur einige wenige Auftritte als Regisseursgattin hat, Maria Barranco (Candela aus "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs") als Ärztin, die Marina auf ihrem Entzug begleitet, aber selbst einem Joint nicht abgeneigt ist und eine aufgedrehte Loles León als Regieassistentin und Schwester Marinas.

Wer sich für den Film auf DVD interessiert, muss allerdings neuerlich auf eine ausländische Veröffentlichung zurückgreifen. Die gibt es zahlreich, am empfehlenswertesten ist jedoch sicherlich die spanische Scheibe der Firma Manga Films. Diese verfügt überraschenderweise auch über deutsche Untertiteln, bei denen Rechtschreib-Puristen allerdings einige Male schlucken werden. Nebenbei kommt das schicke Digipack im Schuber noch mit 32seitigen, vollfarbigen Booklet, dass sehr interessant ausgefallen ist, wäre man bloss der spanischen Sprache mächtig. Zu dem sehr guten Bild und Ton gibts es noch einiges an Zusatzmaterial, welches leider auch nicht untertitelt wurde. Trotzdem eine schöne und würdige VÖ dieses durchaus umstrittenen Filmes!

)* diese Info und vieles mehr hab´ ich aus dem empfehlenswerten Buch: "almodóvar - kino der leidenschaften" von Christoph Haas, erschienen in der Arte-Edition beim Europa-Verlag.