project: equinoX Forum

geschrieben von jogiwan am 05.05.05

Ein typischer Vorstadt-Gemeindebau in Wien-Favoriten - 48 Stunden vor dem jährlichen Muttertag: In einer beschaulichen 5-Zimmer Wohnung lebt die Durchschnittsfamilie Neugebauer, umgeben von Fototapete, Kruzifix und Billigmöbeln. Vater Edwin träumt vom neuen Toyota Carina Liftback mit Magermotor, während Mutter Trude in ihren Tagträumen den Polizisten Gerry Grassl begehrt. Der verhaltensgestörte Sohn Mischa bastelt an einem tödlichen Muttertagsgeschenk für seine verhasste Mutter und der senile Opa  fühlt sich wieder einmal von seiner Familie ungeliebt und vernachlässigt. Der ganz normale Alltag also...

Doch der biedere Schein trügt. Hinter der Fassade der gutbürgerlichen Familie Neugebauer lauern tiefe Abgründe. Edwin hatte beim Einkehrwochenende ein aussereheliches Techtelmechtel mit Evelyn Schöbinger aus dem Kirchenchor, und Trude kompensiert ihren tristen Alltag mit Ladendiebstählen im Drogeriemarkt. Als der Opa zum wiederholten Male befürchtet, in eine Seniorenheim abgeschoben zu werden, entwendet er die familieneigenen Sparbücher um diese den "weltweit-notleidenden" Tieren zu spenden und seinen Nachkommen einen ordentlichen Strich durch die geplante Neumöblierung der Wohnung zu machen. Das Spenden am Gemeindebau-eigenen Postamt stellt sich jedoch dank österreichischer Kundenfreundlichkeit und Bürokratie mehr als problematisch dar. Nur gut, dass besagte Evelyn hilfreich zur Stelle ist und dem Opa fleissig beim Ausfüllen der Erlagscheine behilflich ist. Doch als die aussereheliche Affäre Edwins schlussendlich ausgerechnet während einer Messe aufgedeckt wird, Trude beim Ladendiebstahl erwischt wird und dieses einen toten Kaufhausdedektiv im Hustinettenbär-Kostüm zur Folge hat und auch das zum Mordinstrument umfunktioniertes Elektromesser ein falsches Opfer findet, steuert die Familie Neugebauer einem Wendepunkt in ihrem Leben zu, welches ausgerechnet am Muttertag seinen tragischen und tödlichen Höhepunkt findet...

Was sich in der Kurzbeschreibung jetzt verdächtig nach depremierenden Sozialbau-Drama inklusive tragischen Ende anhört, ist in Wirklichkeit wohl noch vor "Hundstage" der österreichischste Film, der je das Licht der Leinwand erblicken durfte. Selten zuvor - sowie auch danach - wurde das typisch-österreichische Verhalten, die Doppelmoral einer Pfarrgemeinde, sowie der Konsumwahnsinn rund um den Muttertag so schonungslos offenherzig und in bissigen Dialogen humorvoll präsentiert. Zugegeben, einen Hang zum tiefschwarzen Humor sollte man schon mitbringen, dann steht dem 94-minütigen Filmvergnügen jedoch absolut nichts mehr im Wege.

"Muttertag" war ursprünglich ein Kabarett-Stück der fünfköpfigen Truppe Schlabarett, welches mit dem Regisseur gemeinsam für die grosse Leinwand adaptiert wurde. Die fünf Mitgliedern der Truppe (Eva Billisich, Alfred Dorfer, Roland Düringer, Andrea Händler sowie Reinhard Nowak) haben dann auch gleich noch 25 (!!!) verschiedene Rollen im Film übernommen und so entstand in einem Monat Drehzeit einer der wenigen, absoluten Kultfilmen, die das Alpenländle bisher hervorgebracht hat. Das Produktionsjahr 1993 lässt sich zwar in einigen Szenen, bei der Ausstattung und vor allem bei der Musik nicht verleugnen und auch das schmale Budget ist dem Film doch oftmals anzusehen - dem Vergnügen tut dies jedoch keinen Abbruch. Die Truppe gibt es zwar mittlerweile nicht mehr, jedoch sind fast alle Beteiligten als Solokünstler in der östterrichischen Kleinkunst- oder Theater-Szene sehr erfolgreich unterwegs. Auch Regisseur Harald Sicherritz dreht seit "Muttertag" auch beständig weiter Filme und Serien fürs Kino und das österreichische Fernsehen, wobei "Hinterholz 8" und "Poppitz", sowie die Serie "MA 2412" (jeweils unter der Mitwirkung von Roland Düringer) zu den Bekanntesten zählen.

Gewöhnungsbedürftig für deutsche Bundesbürger ist eventuell der wienerische Dialekt, an den man sich aber schnell gewöhnen sollte. Ausserdem sind einige Gags und Dialoge doch auch sehr auf österreichische Verhältnisse zugeschnitten. Zum Beispiel ist die abonnierte Zeitung der Familie Neugebauer namens "die bunte Wahrheit" ein Verweis auf die mittlerweile eingestellte, erste farbige Hochglanz-Boulevard-Tageszeitung namens "täglich Alles", welche zwar durch bunte Bilder, aber auch durch inhaltliche Leere und einer gewissen populistischen Rechtslastigkeit von sich Reden machte, sowie noch unzählige weitere Dinge, die im nicht-österreichsichen Raum leider nicht so bekannt sein dürften. Dennoch gibt es auch bei mehrmaliger Sichtung noch immer Dinge und Details, die beim vorherigen Sehen nicht aufgefallen sind. Seien es wie Hunde vor dem Drogeriemarkt deponierte Kinder, witzige Graffitis, Outfits, zweideutige Plakate oder eine Horde Kinder samt erwachsener Aufsichtsperson, die minutenlang an einer Bushaltestelle wartet um danach eine Strecke von nicht einmal 100 Metern mit dem Bus zurück zu legen und beim Saubermachen des Parks brav zwischen ausgeschlachtenen Fahrzeugen, auch die gebrauchten und weggeworfenen Heroinspritzen entsorgen darf. Ein herrlich böser Spass! Wer dennoch mit der Sprache seine Schwierigkeiten hat, kann auf www.kabarett.at das Original-Drehbuch zum Film im pdf-Format zum Nachlesen downloaden.

Leutchen, die jedenfalls auch schon am bekannteren Ulrich Seidls "Hundtage" Gefallen gefunden haben, sei dieser Film uneingeschränkt ans Herz gelegt, auch wenn "Muttertag" doch wesentlich überspitzter in eine humoristischere Richtung tendiert. Leider dürfte es jedoch nicht so einfach sein, an die DVD ranzukommen, da diese nur in Österreich erschienen ist. Der Film läuft aber auch immer wieder (rund um den besagten Jubeltag) ungeschnitten im ORF oder auch mal auf 3Sat.
Die Regionalcode-0-Scheibe von Geco Bildwaren bietet neben dem Hauptfilm mit guten Bild und Ton auch noch rund 50 Minuten Zusatzmaterial rund um den Film, der Kabarett-Truppe und seinen Mitgliedern, einem angeblich-unverständlichen Audiokommentar, (den ich mir jedoch noch nicht zu Gemüte geführt habe...) einen Trailer und ein kleines Interview mit Harald Sicheritz, der ein paar amüsante Details über die Dreharbeiten zum Besten gibt. Alles in allem eine sehr schöne und würdige Veröffentlichung dieses österreichischen Kultfilmes.