project: equinoX Forum

geschrieben von jogiwan am 27.04.05

Irgendeine Stadt in Frankreich: In einem Umfeld aus Drogen, Alkohol, Arbeitslosigkeit und Hass trifft Manu (Raffaéla Anderson) auf Nadine (Karen Lacaume). Die zwei jungen Frauen haben Schreckliches erlebt: Manu wurde gemeinsam mit ihrer Freundin von mehreren Männern vergewaltigt. Als der aufgebrachte Bruder Manus, der sich mehr um seine eigene Ehre als um seine Schwester Sorgen macht, sie daraufhin als Schlampe bezeichnet, erschiesst Manu ihn mit seinem Revolver im Affekt. Nadine geht auf den Strich, hat ihm Streit ihre Wohnungskollegin verletzt und musste mit ansehen, wie ihr drogensüchtiger Freund Francis erschossen wurde.

Manu hat eine Karre, Nadine kann Autofahren und so verbünden sich beide Frauen zusammen um nach Paris zu fahren und ihr altes, verkorkstes Leben ohne jegliche Perspektive hinter sich zu lassen. Doch instinktiv wissen sie, dass ein schöneres Leben nicht auf die Beiden warten wird und so beschliessen sie, Rache an den Schuldigen ihrer ausweglosen Situation zu nehmen. Die sind auch schnell gefunden: Männer bzw. eine männerorientierte Gesellschaft, die durch die psysische und physische Ausnutzung der Frauen, Manu und Nadine selbst zu Monstern werden hat lassen. Durch diverse Schicksalsschläge abgestumpft, können sie selbst Gefühlswahrnehmungen nur noch in ihren extremsten Formen wahrnehmen und so endet der Trip der beiden Frauen in einer beispiellosen Orgie aus Sex und Gewalt bei der sowohl Männer, Frauen als auch die Besucher eines Swinger-Clubs ihr Leben lassen...

Sieht man sich ein bisschen im Netz um, so bleibt einem nicht verborgen, dass es sich bei "baise-moi" doch um einen sehr umstrittenen und kontroversen Film handelt: für die einen ist er ein extrem-gewalttätiger Streifen mit pornographischen Elementen ohne tieferen Sinn - für die anderen ein befreiende Abrechnung einer Gesellschaft, die Frauen zu (Sexual-)Objekten degradiert hat. Verisse und Lobeshymnen halten sich die Wage, doch die Wahrheit liegt wie üblich irgendwo in der Mitte.
Einem Porno nicht unähnlich wird der Zuseher mit episodenhaft-inszenierter, grafischer Gewalt nahezu überschüttet, doch auf eine tiefergehende Charakterisierung wurde leider weitgehenst verzichtet. Die Vergewaltigungsszene zu Beginn ist zwar sehr hart und authentisch in Szene gesetzt, doch der Zuseher hat zu diesem Zeitpunkt noch keine emotionale Bindung zu den beiden Opfern aufgebaut und wird es vermutlich im Laufe des Filmes auch nicht mehr können bzw. wollen. Ehe man sich versieht ist aus dem Opfer nämlich selbst eine Täterin geworden, die mit ihrer neugefundenen Freundin nun mit derselben umbarmherzigen Härte zurückschlägt, der sie einst selbst zum Opfer gefallen ist...

Auf die Möglichkeit zu verdeutlichen, warum aus der zerbrechlich-wirkenden Manu ein umbarmherziger Racheengel wird und auch Nadine am gemeinsamen Morden Gefallen findet, wird weitgehend verzichtet bzw. ist nur im Ansatz zu erahnen. Manu hat vermutlich jahrelang vorwiegend männliche Aggressionen und körperliche Gewalt ohne Widerspruch über sich ergehen lassen und dementsprechend Hass in sich aufgestaut. Nadine hat sich in ihrem bisherigen Leben aufgeopfert und hat ihren Körper verkauft um ihren Freund die Drogen zu finanzieren. Als dieser ermordet wird, stirbt auch ihr bisheriger Lebensinhalt. Orientierungslos und unfähig ihre eigenen Wünsche und Gefühle zu formulieren, klammert sie sich an ihrer neue Freundin und wäre bereit, ebenfalls alles für diese zu geben.

In grobkörnigen, wackeligen Handkamerabilder - die Authenzität vermitteln sollen - wird die Tour-de-Force der beiden Frauen erzählt, doch nur zum Teil erreicht. Vor allem etwas unpassende, beinahe dämmliche Dialoge trüben das Gesamtbild doch sehr stark. Die Hardcore-Szenen sind in aller Deutlichkeit zu sehen und für sensible und konservative Gemüter sicherlich um ein Vielfaches zu hart. In dem Kontext des Filmes passen diese jedoch sogar. Irgendwie hat man das Gefühl, als wolle Regisseurin Virginie Despentes den (vornehmend männlichen) Zuseher aufgeilen um ihn mit einer darauffolgenden Gewalttat wieder ins gefühlsmässige Gegenteil zu kippen und ihm so einen Spiegel seiner niederen Triebe ins Gesicht zu halten. Der Gewaltanteil ist recht hoch, passiert jedoch meist im Off und schockiert eher durch die Wahllosigkeit der gefundenen Opfer.

Das der Film beim männlichen Publikum nicht sonderlich gut ankommt, ist auch nicht weiter verwunderlich. Jeder (man möge mir eine gewisse Klischeelastigkeit verzeihen) durchschnittliche Hetero-Mann träumt vom schnellen, anonymen Sex mit zwei - wenn möglich noch - gutaussehenden jungen Frauen. Das diese jedoch im Film nicht das erfüllte Lusterlebnis, sondern den Tod bringen, schürt unterbewusste Männerängste und trübt sicherlich die Unbefangenheit beim nächsten One-Night-Stand.

Meiner Meinung nach ist "baise-moi" ein Streifen, bei dem doch viele Ideen und Möglichkeiten verschenkt wurden. Hätte man der relativ kurzen Laufzeit von 73 Minuten noch 20 Minuten für Charakterisierung und Umfeld hinzugefügt, hätte daraus durchaus ein sehr interessantes Aussenseiter-Drama werden können. So bleibt als männlicher Zuseher doch ein bitter Nachgeschmack, auf allzu einfach-gestrickte, weibliche Provokation hereingefallen zu sein. Ein Film, der sicherlich geschlechterspezifisch komplett unterschiedlich aufgenommen wird, jedoch schlussendlich auch aufgrund des unspektakulären Schlusses keine der beiden Seiten zufriedenstellen wird.

Die DVD von IMV bietet - dem Ausgangsmaterial entsprechend - durchschnittliches Bild, sowie einen teilweise etwas schwer verständlichen Ton. Wahlweise in deutscher Synchronisation oder französischer Originalfassung inklusive nicht ausblendbarer deutschen Untertitel. Weiters ein paar Textafeln sowie 3 Trailer.

Trauriges Detail am Rande: die Haupt- und ehemalige Pornodarstellerin Karen Lancaume hat im Jänner 2005 in einer Pariser Wohnung Selbstmord begangen. Nach "baise-moi" sprach sie noch von dem Wunsch nach Liebe und Kindern - ein Wunsch, der sich schlussendlich für sie nicht erfüllt hat.