project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Der junge Gandu hat sein trostloses Leben satt. Er hat keinen Job und auch keinen Bock und lebt mit seiner Mutter in einer Wohnung, die von deren Liebhaber finanziert wird. Seine Tage vertreibt er sich mit Herumstreunen, Lottospielen und dem Beobachten von Leuten im Internet-Cafe und schreit seine Wut in derben Raps in die Welt hinaus. Überall eckt der junge Mann an und auch seine Mutter reagiert zunehmend mit Unverständnis auf den wütenden jungen Mann. Als Gandu eines Tages auf einen Riksha-fahrenden Bruce-Lee-Fan trifft, bleibt die Begegnung für beide Außenseiter nicht ohne Folge und es entsteht Freundschaft. Die beiden vertreiben sich die Zeit mit gemeinschaftlichem Drogenkonsum und nach einer bewusstseinserweiternden Nacht scheint sich das Glück auch auf die Seite der beiden Männer geschlagen zu haben.
Bei Filmen aus Indien denkt man ja als erstes automatisch an opulente Liebesdramen mit epischer Länger, Shahrukh-Khan und jeder Menge Herz-Schmerz-Schmonzes, der immer wieder von musikalischen Nummern unterbrochen ist, bei denen in Massen-Choreografien schon mal hunderte Tänzer zusammenkommen. Diese sogenannten Bollywood-Filme funktionieren zwar allesamt nach dem gleichen Schema und sind mit ihrer prüden Darstellung von Sexualität und zutiefst-konservative Wertevermittlung mit der Holzhammer-Methode dann bis zu einem gewissen Grad für den westlichen Zuschauer zwar erheiternd und unterhaltsam, aber auch ab einen gewissen Zeitpunkt auch einfach nur etwas ermüdend.
Dass es aber auch anders geht bzw. auch nicht, beweist uns Regisseur Kaushik Mukherjee alias „Q“, der mit „Gandu – Wichser“ ein wütendes und interessantes Regie-Debüt abgeliefert hat, dass so gar nicht in das Schema verkitschter Traumwelten passt und mit Themen wie Pornografie, gesellschaftliche Probleme, Armut und Drogenkonsum auch so gar nicht in das Bild der indischen Filmindustrie passt. Mukherjee hat seine internationalen Vorbilder wohl auch gut studiert und so erinnert der Streifen dann in seiner Machart einerseits vor allem stark an Gaspar Noe und lässt teils optisch – teils inhaltlich dann auch gleichermaßen die Erinnerung an Filme von David Lynch, Shinya Tsukamoto, Darren Aronofsky, Quentin Tarantino und Konsorten wach werden.
Da kommt doch glatt ein junger Filmemacher aus Indien und reichert seinen Debüt-Film über einen heranwachsenden Menschen mit ausgiebigen Drogenkonsum und pornografischen Elementen an und ersetzt die obligatorischen Liebeslieder durch herbe und mit derben Schimpfwörtern durchzogenen Rap-Songs im Crossover-Style. Das ist dann zwar einerseits mutig, da nur wenige Personen in die Dreharbeiten involviert wurden, andererseits auch etwas berechnend, da es natürlich von vornherein klar ist, dass ein derartiger Film aufgrund der strengen Zensurrichtlinien und Doppelmoral seines Entstehungslandes keinerlei Chancen auf eine kommerzielle Auswertung hat. Natürlich ganz im Gegensatz zum internationalen Markt, der sich seit jeher schon für derartige „mutige“ und unterschlagene Werke aus dem Arthouse-Bereich interessiert.
Und so ist es wenig verwunderlich, dass der Streifen sich mittlerweile auch zum internationalen Festival-Liebkind avanciert ist, bei der Berlinale aufgeführt und weltweit als provokatives Statement zur Doppelmoral seines Landes abgefeiert wird, als handle es sich um den ersten iranische Homo-Liebesdrama mit Happy-End. Dabei hätte „Gandu“ seine plakativen Töne auch gar nicht nötig und ist für mich persönlich auch etwas zu sehr auf Skandal und Aufmerksamkeit gebürstet und es wäre sicherlich naiv zu vermuten, dass sich Regisseur „Q“, der kontroversen Kraft seines Filmes und den Risiken der Verwendung von HC-Szenen nicht im vollen Umfang bewusst war.
Die eigentliche Geschichte ist auch eher nebensächlich und handelt vom trostlosen und unerfüllten Leben eines jungen Inders, der von allen nur „Gandu“ (= Wichser) genannt wird. Der ist nicht nur mit seinem Leben und Umfeld unzufrieden, sondern gleich mit den ganzen sozialen Missständen seines Heimatlandes, das immer noch vom sogenannten Kastensystem durchzogen ist, dass immer noch in den Köpfen der Bevölkerung verankert wird. Seiner Mutter, die sich in seinen Augen prostituiert, bringt er genauso wenig Respekt entgegen wie seiner Umwelt, der er sowieso egal ist. Die einzige Freude, die Gandu empfindet sind die Raps, in denen er seine Wut, Zorn und Hass auf kreative Weise kanalisiert und auf die Welt loslässt. Er findet in Riksha einen Art „Null Bock-Verbündeten“ und nach einer Nacht voller Drogenkonsum verschwimmen Realität und Traum.
Die Art und Weise wie die Geschichte und vor allem das zerrissene Gefühlsleben und Wut des Protagonisten auf die Leinwand gebracht wird, ist dabei durchaus beeindruckend. Neben hektischen Schnittgewitter, nebeneinander montierten Bildern mit dokumentarischen Einschlag, Split-Screen, Videoclip-Ästhetik werden auch Stakkato-artig Schlagwörter auf den Zuschauer losgelassen bis der am Ende dann wirklich nicht mehr weiß, was jetzt gerade passiert, oder sich im Drogen-getrübten Empfinden der Hauptfigur abspielt. Echter Sex und echte Armut trifft auf (vermutlich) echten Drogenkonsum und schafft so ein authentisches und ehrliches Bild einer zutiefst unzufriedenen Person, der seinen Frust in die Welt hinausschreit.
Die Musik nimmt in dem Streifen ebenfalls einen sehr wichtigen Stellenwert ein und besteht aus „harten“ Rap im Crossover-Style, der aus der Feder der alternativen Truppe „Five Little Indians“ stammt. Diese erinnert mich von der Instrumentierung her an „Rage against the Machine“ und die frühen „Red Hot Chili Peppers“ und sind teils in Hindi, teils auf Englisch gesungen. Da Übertreibung im Rap ein bewusst-gewähltes Stilmittel darstellt ist es auch wenig verwunderlich, dass die Phrasen und Rhymes – sofern man sie versteht - wenig zimperlich daherkommen und auch größtenteils aus Schimpfwörtern bestehen. Der Soundtrack, der auch der limitierten Blu-Ray und DVD-Auflagen beiliegt trifft aber abgesehen vom Beitrag der englischen Formation „Asia Dub Foundation“ nicht wirklich meinen Geschmack und auch im Film fand hätte ich mir persönlich vielleicht etwas mehr musikalische Abwechslung gewünscht.
Nichts zu meckern gibt es allerdings wieder einmal an der Blu-Ray-Veröffentlichung von „Bildstörung“ als Katalognummer „Drop Out 15“ die den Streifen selbstredend ungekürzt und in sehr guter Bild- und Tonqualität veröffentlicht. Der Bonusbereich kann sich ebenfalls sehen lassen und bietet ein halbstündiges „Behind-the-Scenes“ und weitere Featurettes, eine Tourdoku sowie Musikvideo. Abgerundet wird das positive Gesamtbild mit einem interessanten Booklet, sowie der bereits erwähnten und exklusiven Soundtrack-CD, die den limitierten und nummerierten Auflagen beiliegt.
Unterm Strich bleibt ein interessanter, aber nicht gänzlich geglückter Streifen, bei dem es sicherlich von Vorteil ist, wenn man sich etwas mit der Entstehungsgeschichte und Intention des Filmemachers auseinandersetzt. Ein Streifen, der in seinem Heimatland trotz großer Fangemeinde auch nicht aufgeführt werden darf und dessen Entstehung ebenfalls im Verborgenen stattfinden musste. „Gandu“ kombiniert jugendliche Wut gegen das System und Pessimismus, zitiert ausgiebig popkulturelle Elemente und auch seine wütenden Regie-Vorbilder aus dem Westen. Trotz pornografischer Elemente, die jedoch nicht plakativ erscheinen, erreicht "Gandu" dabei aber nicht die verstörende emotionale Intensität eines Gaspar Noe oder Mladen Djrdjevic („Leben und Tod einer Pornobande“. Dass der Soundtrack nicht meinen Geschmack getroffen hat und auch der ständige Gebrauch von Schimpfworten mit zunehmender Laufzeit auf mich etwas ermüdend gewirkt hat, sind dann zwar persönliche Befindlichkeiten und trüben mein Gesamturteil - für einen indischen Film ist „Gandu“ aber trotzdem sensationell. 7/10
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8506
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