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Der homosexuelle Jun (Ryuhei Matsuda) und der gewalttätige Shiro (Masanobu Ando) werden am selben Tag in ein abgelegenes Gefängnis eingeliefert. Beide sind verurteilte Mörder und sollen nun wieder unter der Obhut des Direktors auf den Pfad der Tugend gebracht werden. Wenig später liegt der jähzornige Shiro jedoch ermordet in seiner Zelle und Jun wird als sein Hauptverdächtiger verhört. Doch schon bald kommen Zweifel auf, ob der schmächtige Jun tatsächlich der Mörder von Shiro ist, da auch Direktor und Mithäftlinge durchaus als Täter in Frage kommen würden. Während den Untersuchungen werden die näheren Umstände der Tat beleuchtet und bringen Überraschendes zu Tage…
Der japanische Regisseur Takashi Miike ist ja eigentlich ein absolutes Phänomen. Bei einem gefühlten Output von 10 Filmen pro Jahr, produziert Viel-Filmer Miike ja irgendwie abwechselnd Kracher und Gurken, sperriges Underground-Kino sowie Mainstream-Filme für die breite Masse. Und wo andere Regisseure ihre eigene Handschrift entwickeln und sich selber treu bleiben, springt Miike wie ein Wilder von Genre zu Genre und erfindet sich stets auf neue Art und Weise.
Sein 2006 entstandener „Big Bang Love, Juvenile A“ ist dabei wohl eines der sperrigsten und zugleich ungewöhnlichsten und persönlichsten Filme, die Herr Miike in seiner Laufbahn inszeniert hat und überrascht den aufgeschlossenen Zuschauer gleich in mehrfacher Hinsicht. Der Streifen bietet ja nicht nur absolut ungewöhnliche und aufs wesentliche beschränkte Bilder mit minimalistischer Ausstattung, sondern bricht auch vollkommen mit herkömmlichen Erzählstrukturen und ist aber dabei dennoch kein sperriges Kopfkino, sondern bleibt über die gesamte Laufzeit interessant und spannend zu beobachten.
Die Geschichte liest sich in der sehr kurzen Inhaltsangabe ja wie ein Thriller und nach dem sperrigen Auftakt, der den Zuschauer auch etwas ratlos zurücklässt, geht der Film auch erstmals in Richtung „Whodunnit“-Krimi. Doch dann kippt der Film zunehmend in dramatische Gefilde, wird zunehmend abstrakter und streift auch Gefängnis- und Geisterfilm. Und was als Thriller beginnt, wird zunehmend dramatischer und wirft gegen Ende auch existenzielle Fragen über Leben und Tod, Schuld und Sühne in den Raum und überlässt trotz Auflösung vieles im Kopf des Zuschauers.
Der Inhalt selbst ist wirklich schwer zu fassen und im Film verschieben sich Traum und Realität und alles wirkt seltsam entrückt. In welchen Gefängnisfilm findet man sonst eine Maya-Pyramide neben einer Raketen-Startrampe und trotzdem mach es Sinn. Auch gibt es immer wieder Sequenzen, die sich im Film wiederholen, jedoch in einem anderen Kontext gebracht werden. „Big Bang Love, Juvenile A“ basiert lose auf einem Roman von Ikki Kajiwara und Hisao Maki, der jedoch in seine Bestandteile aufgelöst und neu zusammengesetzt wurde. Drehbuchautor Masa Nakamura wurde für seine Interpretation völlig freie Hand gelassen und von Miike unkonventionell umgesetzt.
Dieser wollte bei „Big Bang Love, Juvenile A“ bewusst mit eigenen Regeln brechen und das ist Herrn Miike auch zweifelsfrei ganz gut gelungen. Neben dem 2004 entstandenen Fantasie-Action-Werk „Izo“ ist der Streifen auch der zugleich Ungewöhnlichste in dem ohnehin nicht unumstrittenen Output. Wie Lars von Trier in „Dogville“ verzichtet Miike größtenteils auf Settings und lässt seine Schauspieler in kargen Räumen oder vor CGI-Kulisse aufmarschieren. Nur in wenigen Momenten und Rückblenden wird ein Bezug zur realen Welt erstellt, während der Rest des Streifens vielerlei Interpretationsmöglichkeiten offen lässt.
Die Inszenierung ist eher ruhig und bietet auch einige Gewaltspitzen, die für die Freigabe meines Erachtens doch etwas überraschend hart ausgefallen sind. Aber wie schon so oft, ist im Bereich des Kunstfilmes vieles ohne Einschränkungen möglich, was im Mainstream-Kino nicht zu zeigen wäre. Und im Gegensatz zu Gaspar Noe hält Takashi Miike auch nicht mit der Kamera drauf, sondern überlässt die grausigsten Momente der Fantasie des Zuschauers, was dazu führt, dass der Film umso länger nachwirkt.
Darstellerisch gibt es ebenfalls nichts zu meckern und vor allem Masanobu Ando als Shiro liefert eine Performance ab, die wirklich die Kinnladen runterklappen lässt. Seine Darstellung des vielschichtigen Shiro fordert 100%igen Einsatz und trägt dadurch auch den Großteil des Films. Aber auch Ryuhei Matsuda als ruhiger Gegenpol Jun wirkt absolut überzeugend. Die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern ist stimmig und sorgt auch dafür, dass „Bing Bang Love, Juvenile A“ hervorragend funktioniert.
Nachdem der Streifen ja neben der Berlinale auch im Jahre 2006 in ausgewählte Kinos gelaufen ist und im Mai 2007 auf DVD erschienen ist, gibt es nun auch eine günstigere und etwas abgespeckte Scheibe, die im Rahmen der „Edition Asien“ veröffentlicht wird. Die Scheibe ist zwar inhaltlich ident zur bisherigen und bietet auch ein Interview mit Takashi Miike, kommt jedoch in einer Amaray, dafür ohne Poster und Flyer. Die Bild- und Tonqualität ist sehr gut und auch die Untertitel sind stets gut lesbar. Neben dem bereits erwähnten Interview gibt es noch den Kinotrailer und ein Wendecover ohne FSK-Logo.
„Big Bang Love, Juvenile A“ ist neben „Der Kuss der Spinnenfrau“ wohl der ungewöhnliche Knast-Liebes-Film, der jemals aus der Homo-Kiste das Licht der großen Leinwand erblicken durfte. Wer Miike bislang als durchgeknallten Action- oder Horror-Regisseur gesehen hat, wir bei dem Streifen große Augen machen, da Takashi Miike eindrucksvoll beweist, dass er sich ebenfalls in der Liga des vielschichtigen Kunstkinos durchaus zu Hause fühlt. „Big Bang Love, Juvenile A“ bietet dann auch eine universelle Geschichte mit ungewöhnlicher Bildsprache in einem minimalistisch-reduzierten Setting, das durch großartige schauspielerische Leistungen getragen wird und bis zum Ende unberechenbar bleibt. Und man kann an diesen Zeilen schon herauslesen, wie sehr mich dieser Streifen geplättet und beeindruckt hat. 9/10 Punkten!
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8124
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