project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Die Filmemacherin Nina (Miriam Mayet) versammelt in einem geräumigen und etwas heruntergekommenen Loft in Berlin die beiden Schauspieler Hans (Matthias Faust) und Marie (Lana Cooper) zu Probeaufnahmen für ihr neuestes Projekt. Ein Drehbuch und auch ein Budget für den geplanten Film ist nicht vorhanden, doch Nina weiß, dass sie eine authentischen Film über die Liebe und Sexualität realisieren möchte in dem sich zwei Menschen ineinander verlieben und körperlich begehren. Gemeinsam wird versucht, die entsprechenden Rollen für den Film zu entwickeln und Nina lässt die beiden Personen miteinander agieren. Dass sie für ihren Film jedoch Hans engagiert hat, mit dem sie vor Jahren eine Affäre hatte, führt jedoch schon bald zu Spannungen unter den drei Personen, als es dann tatsächlich ans Eingemachte geht...
Wir leben schon in einer etwas seltsamen Welt. Jeder von uns weiß, wie eine Muschi oder ein steifer Dödel aussieht und auch Sex sollte den meisten Menschen doch ein Begriff sein, den sie auch in ihrem täglichen Leben wiederfinden. Dennoch ist die Verwunderung stets groß, wenn wir von Filmemachern eines von den beiden vor die Linse geknallt bekommen und mit nichts lässt sich als Regisseur leichter einen Skandal und Aufmerksamkeit erzielen, als mit ein paar handfesten Fickelszenen. Während in den freizügigeren Siebzigern viele Darsteller nackt und ohne Scheu vor der Kamera agierten ist die „frontal nudity“ in den späteren Jahren auch dank einer zweifelhaften Sexualmoral aus den USA eher unüblich geworden und gilt vor allem in den Staaten als Karrierekiller. Trotzdem gab es aber in den letzten Jahren immer wieder Filme wie „Intimicy“, „9 Songs“, „Ken Park“ oder auch der empfehlenswertere „Shortbus“, bei denen explizite Szenen in anspruchsvollere Werke Einzug fanden.
Mittlerweile gibt es gar nicht mal so wenige Streifen aus dem Arthouse-Bereich, in denen HC-Szenen ein Teil der Handlung darstellen und in Europa (er)regt sich kaum noch jemand über derartige Szenen in Filmen auf. Dennoch hat es lange gedauert, bis sich auch ein deutscher Filmemacher an die Thematik des ungekünstelten Geschlechtsverkehrs gewagt hat. Aber auch wenn der experimentelle Indie-Streifen „Bedways“ gemeinhin von der Kritik sehr gelobt wird, bei der Berlinale als Abschlussfilm in der „Perspektive deutsches Kino“ gezeigt wird und sogar flächendeckend auf DVD und Blu-Ray veröffentlicht wurde, so kann ich die ganzen überschwänglichen Stimmen und Lobeshymnen des ganz auf hip gebürsteten Berlin-Filmes zwar ansatzweise, aber nicht so ganz nachvollziehen.
Eine Geschichte über Verlangen, Liebe und Begierde ist ja im Grunde nichts Neues und mit drei Personen in einer geräumigen Wohnung bietet das Kammerspiel „Bedways“ auch nicht gerade eine Ausgangslage mit sonderlich vielen Möglichkeiten. Und natürlich kommt es im Verlauf der Probeaufnahmen natürlich wie es kommen muss: aus den improvisierten Szenen wird natürlich mehr und Hans scheint die hübsche Marie auch mehr als bloß in seiner Rolle näher zu kommen. Die unterkühlte Nina beobachtet das Treiben mit schützender Kamera und schlussendlich überwindet ihre aufgestaute Sexualität im Homo-Sexclub mit einer erlösenden Masturbationsszene, nach der sie sich frei von Zwängen ihrem ehemaligen Geliebten hingeben kann.
Die Story wird vom Publikum teils als Drama, teils Bestandsaufnahme der Berliner Feiergesellschaft bis hin zum sexuell-aufgeladenen Thriller gesehen, was teils wohl auch auf die blühende Fantasie der Schreiberlinge zurückzuführen ist. Wie auch die Figuren im Film ohne Drehbuch miteinander interagieren, ihre Rollen entwickeln und einen Großteil der Zeit improvisieren, so scheint auch Regisseur Rolf Peter Kahl bei der Realisierung seines Streifens vorgegangen zu sein. Die Figuren wirken anfänglich bewusst etwas hölzern und tauen erst im Verlauf der siebentägigen Probeaufnahmen (die Schöpfungsgeschichte lässt grüßen) bzw. Kapiteln mit Titeln wie „Liebe“, „Begehren“, „Gott“ oder auch „Flesh is the law“ auf. Die Figuren verlieren die körperliche Scheu, glauben die Kontrolle bewahren zu können und öffnen sich einander, auch wenn das Umfeld und eine tiefergehende Charakterisierung der Figuren weitgehend im Dunkeln bleibt. Der Schwerpunkt von „Bedways“ liegt dann auch im körpersprachlichen Miteinander, das zweifelsfrei auch sehr interessant und ohne Scheu ausgefallen ist.
Der Streifen ist prinzipiell für ein kostengünstiges und experimentelles Indie-Drama auch dank seiner Darsteller nicht schlecht ausgefallen, auch wenn die Handlung schon künstlich mittels Inserts, integrierte Musik-Performance und Wiederholungen auf Spielfilmlänge gestreckt wurde und oftmals bewusst einfach sehr, sehr wenig passiert. Eine wirkliche Geschichte im herkömmlichen Sinne wird zwecks erhöhter Interpretationsmöglichkeiten jedenfalls nicht erzählt und ich wage die These aufzustellen, dass der Streifen ohne seine Freizügigkeit vermutlich nicht annähernd soviel Aufmerksamkeit bekommen hätte, die ihm so zuteil geworden ist. Die Bezeichnung als Arthouse-Porno („Spiegel online“) in Bezug auf „Bedways“ ist ebenfalls doch etwas überzogen, da man in anderen Streifen ja bereits wesentlich mehr Explizites gesehen hat.
Der etwas industrial-lastige Soundtrack nimmt in dem 2010 gedrehten Streifen ebenfalls eine große Rolle ein und bietet die Musik von Berliner Bands wie „Sissimetall“, „Cháteau Laut“, „Brokof“ oder „Die Haut“, sowie die französischen „MyPark“ und weitere Acts, die das Lebensgefühl und die Emotionen der Protagonisten wiederspielen sollen. Leider hat die etwas seltsame Musikauswahl mit wenigen Ausnahmen so überhaupt nicht meinen Geschmack getroffen und wirkt vor allem bei der „Einstürzende Neubauten“-Kopie in Kombination mit einer erotischen Szene mehr als deplatziert. Berlin verbindet man auch seit Anfang der Neunziger auch eher mit elektronischer Musik, sodass die musikalische Untermalung für mein persönliches Empfinden nicht ganz zeitgemäß ausgefallen ist, auch wenn die Beteiligsten das vermutlich anders sehen werden.
Abgesehen davon ist der Film für ein Low-/No-Budget-Drama jedenfalls mittelmäßig gelungen und bietet alles, was man sich von einem Film aus dieser Kiste erwarten würde. Nicht mehr – nicht weniger! Die hübschen Darsteller sind gut gewählt und präsentieren sich allesamt ganz freizügig, auch wenn die Sexszenen für meinen Geschmack doch etwas zu konstruiert daherkommen. Die drei Hauptdarsteller, allen voran Miriam Mayet bieten sehr solide Leistungen und ich bin überzeugt, dass wir auch von Matthias Faust und Lana Cooper noch einiges hören werden. Auch die Inszenierung des 1970 in Cottbus geborenen Regisseurs, Produzent und Schauspielers Rolf Peter Kahl ist mit ihren unterkühlten Bildern gelungen und bietet keinen Anlass zur Kritik.
Selbst die FSK zeigte sich sehr gnädig und gab den Streifen für seine Veröffentlichung eine Freigabe ab 16 Jahren. Koch Media bringt den Indie-Streifen ja neben DVD ja auch auf Blu-Ray-Disc, was für einen Low-Budget-Film im Videolook und 4:3 Format ja schon nicht einer gewisser Komik entbehrt. Die Qualität ist jedenfalls gut und für das internationale Publikum bietet die Scheibe auch noch englische Untertitel. Auch der Bonus-Bereich ist ganz interessant und bietet ein längeres Interview mit Regisseur RP Kahl und Hauptdarstellerin Miriam Mayet, die auch hier ihre schauspielerischen Fähigkeiten beweist. Abgerundet wird die Scheibe dann noch mit einigen Trailern und dem Musikvideo „Flesh is the law“ der Band „MyPark“.
Unterm Strich ist „Bedways“ ein sexueller Indie-Film, der zwar einerseits sehr freizügig und experimentell daherkommt, andererseits etwas konstruiert wirkt, durchaus seine Längen hat und seinen ganzen Vorschusslorbeeren nicht gerecht wird. Die bewusst sehr minimal gehaltene Geschichte wirkt teilweise gestreckt und auch das Verhalten der oberflächlich gehaltenen Figuren ist nicht immer ganz nachvollziehbar. Ein Film, der dann auch eher das aufgeschlossene Publikum anspricht, dass sich an der ungewöhnlichen Inszenierung, kostengünstigen Machart, sowie dem etwas gewöhnungsbedürftigen Soundtrack nicht stören sollte. Low-Budget-Filme mit dramatischen Touch sind ja normalerweise schon meine Baustelle, aber ganz konnte mich RP Kahl mit seinem Werk nicht überzeugen. Da geht noch mehr und daher: 5/10
Beitrag geändert von jogiwan (07.April 2011 16:57:54)
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=7542
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