project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Regisseur Jose (Eusebio Poncela) kehrt nach anstrengenden und kräfteraubenden Dreharbeiten zu einem Horrorfilm und einer Diskussion über die ideale Schnittfassung vollkommen übermüdet in seine Wohnung in Madrid zurück. Dort erhält er von dem Hausmeister ein mysteriöses Paket und erfährt gleichzeitig, dass sich Ana (Cecilia Roth), die Schauspielerin aus seinem letzten Film mit der er eine exzessive Affäre hatte, in seiner Wohnung einquartiert hat. Während diese jedoch vollkommen weggetreten in seinem Bett schlummert öffnet Jose das Paket und entdeckt darin eine Filmrolle, einen Schlüssel, sowie ein Tonbandkassette.
Darauf spricht der Filmemacher Pedro (Will More) mit brüchiger Stimme zu dem Regisseur, den dieser vor einiger Zeit auf dem Land bei der Suche nach Dreh-Locations durch seine Cousine Marta (Marta Fernandez Muro) kennen gelernt hat. Pedro war zu damaligen Zeiten von künstlerischen Selbstzweifeln zerfressen und drohte daran zu zerbrechen, während er weiter Filmrolle um Filmrolle mit Bildern aus seinem Alltag füllte. Doch durch das Treffen mit Jose und gemeinsame Gespräche über Kunst, Inspiration und jungendliche Erinnerung, sowie gemeinsamen Drogenkonsum erlebte Pedro damals einen künstlerischen Schub, zog nach Madrid und verfolgte weiter seine Vorstellung vom perfekten Film.
Durch den unvollendeten Film von Pedro erinnern sich Jose und Ana an den jungen Mann und ein gemeinsames Wochenende, dass die drei miteinander verbrachten. Doch danach trennten sich jedoch die Wege der beiden Filmemacher und während Jose einen Horrorfilm über Werwolfmenschen realisierte, erlebt Pedro anderen Horror durch seine exzessive Lebensweise und den Menschen, die ihn umgeben. Das obsessive Verhalten seiner Kamera gegenüber und dem Drang zur künstlerischen Perfektion steigert sich in einen destruktiven Wahn und der junge Mann steuert geradewegs seinem Ende entgegen, während Jose durch das filmische Vermächtnis ebenfalls dem Wahn zu verfallen scheint...
Als der spanische Diktator Franco im Jahre 1975 starb und sich das Land durch Juan Carlos der Demokratie öffnete, bedeutete das für die Menschen nicht nur das Ende von staatlicher Zensur und Repressalien, sondern es boten sich ihnen auch ungeahnte Möglichkeiten, die ihnen bisher verwehrt geblieben sind. Dinge, die früher verboten, verpönt oder als schlechter Einfluss galt, wurde auf einmal chic und trendy. Durch diese Entwicklung entstand in Madrid die sogenannte „Movida Madrilena“, eine künstlerische Bewegung aus jungen Künstlern, Musiker und Filmemachern, die begannen, ohne Rücksicht auf Moral, bürgerliche Konventionen oder sonstige Verluste ihre Vorstellung von Kunst und Kultur zu verwirkliche, zu leben und auch unter die Leute zu bringen.
Die exzessive Künstlerbewegung ist zwar mittlerweile Geschichte und auch das Output größtenteils aus dem kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden, aber der bekannteste Vertreter Pedro Almodovar, der damals mit undergroundigen und sehr sexuellen Werken seine Karriere begann, dreht noch immer unermüdlich und erfolgreich seine anspruchsvollen Werke. In der restlichen Welt ist im Lauf der Geschichte jedoch ein weiterer Regisseur namens Iván Zulueta etwas untergegangen, der durch seine experimentellen Kurzfilme, zwei abendfüllenden Werken, Malerei und Fotokunst und vor allem durch seine exzessive Lebensweise in Spanien Kultstatus erlangte.
Iván Zulueta ist ebenfalls dieser „Movida Madrilena“ zuzuschreiben und der 1980 entstandene, ungewöhnliche und auch sehr autobiografische Streifen „Arrebato“ kann wohl auch nur in einem derart kreativen, ausgelassenen, experimentellen aber gleichzeitig auch destruktiven Umfeld entstehen. Die Geschichte des fiebrig-alptraumhaften Streifens ist schwer zu fassen und behandelt in beieindruckenden Bildern die Macht von Bildern und der Kraft des Medium Films auf unterschiedliche Menschen, die davon förmlich in den Bann gezogen werden und schlussendlich bildhaft von ihr aufgesogen werden.
Die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, ist außerordentlich interessant und Zulueta spannt dabei den Bogen von kindhafter Erinnerung, Sex und Drogenrausch bis hin zum Vampirismus und Horror-Elementen. Aber auch wenn die Geschichte vermutlich jeder für sein Empfinden auf andere Weise interpretieren würde, sind die beiden unterschiedlichen Filmemacher Jose und Pedro wohl die konträren Eckpunkte der Filmkunst. Während Jose schmuddelige Filme in Hinblick auf den kommerziellen Erfolg dreht und eine Affäre mit seiner Hauptdarstellerin beginnt, ist Pedro der kreative Geist, der die Bilder seiner Filme förmlich seziert und nach und nach die Kontrolle über seinen kreativen Geist verliert und beinah Frankenstein-haftig der destruktiven Macht seiner selbst geschaffenen Bilder erliegt.
Die Vampir-Komponente in „Arrebato“ kann in diesem obsessiven Werk über Kunst und Selbstzerstörung dann wohl auch nur als Metapher auf das Filmemachen selbst zu sehen sein, das die Kraft und Energie seiner Schöpfer wie ein Blutsauger immer mehr verschlingt und seine Opfer in einen hypnotischen Bann zieht, aus dem es kein Entrinnen gibt. Und wenn sich am Ende von „Arrebato“ die Kamera wie von Geisterhand bewegt und Personen im Umfeld des Regisseurs verschwinden, dann ist das von Regisseur Ivan Zulueta, der sich im Verlauf der Jahre von der Öffentlichkeit komplett zurückgezogen hat, ebenfalls sehr autobiografisch zu deuten.
Was aber „Arrebato“ für mich als riesiger Almodovar-Fan zusätzlich so sehr interessant macht, ist die Tatsache, dass der Einfluss von Arrebato auf den spanischen Regisseur so eindeutig groß ist, dass man sich abseits der Darsteller auch an der Art der Inszenierung permanent an die Werke von Almodovar erinnert fühlt. Sicherlich hat dieser über die Jahre seine eigene Handschrift kreiert und war dem narrativen Kino auch immer näher als dem experimentellen, aber der Einfluss von Zulueta, den Almodovar nie bestritten hat, ist nach Sichtung von „Arrebato“ so derart offensichtlich, dass man als Fan von Pedro Almodovar vielerlei Dinge entdecken kann, die er selbst in ähnlicher Form für seine Filme der frühen Schaffensphase verwendet hat.
Almodovar zählte damals auch zum engeren Freundeskreis von Zulueta, Poncela und Roth und war als angehender Filmemacher während Dreharbeiten, die teils Kommunen-Charakter hatten, auch immer präsent. Laut Aussage des Produzenten ging dieser durch seine wissbegierige Art den Macher teils so auf den Nerv, dass dieser sogar vom Set geschmissen wurde. Trotzdem hat es Pedro Almodovar als hysterische Stimme von Gloria in den Film geschafft, worüber die eigentliche Darstellerin Helena Fernan-Gomez wenig erfreut war.
Auch die Darstellerriege bietet für den Fan des spanischen Kinos und Almodovar im Speziellen ein Wiedersehen mit sehr bekannten Gesichtern. Eusebio Poncelo kennt man aus den Filmen „Matador“ und „Gesetz der Begierde“, in dem er vor allem bei letzteren sogar eine sehr ähnliche Rolle eines Regisseurs übernommen hat. Cecilia Roth war zwar nicht die erste Wahl für die Rolle der Schauspielerin Ana, agiert aber in ihrer ersten Hauptrolle auch sehr freizügig. Eine Rolle, die sie in dem Streifen „Labyrinth der Leidenschaft“ als nymphomanische Sexilia auf die Spitze treiben konnte. Das diese ebenfalls in Almodovars imho besten Werk „Alles über meine Mutter“ die Hauptrolle übernahm, ist da ebenfalls nur selbstverständlich. Während aber auch Marta Fernandez Muro und Luis Ciges in frühen Filmen von Almodovar auftauchten, hat man von Will More jedoch nach „Arrebato“ nicht mehr wirklich viel gehört.
Genauso beeindrucken wie der Film ist aber auch die Veröffentlichung aus dem Hause „Bildstörung“, die diesen unterschätzten Meilenstein des spanischen Kinos in einer unglaublich-liebevollen Fassung bringt, die abgesehen von einer deutschen Synchro keine Wünsche offen lässt. Die Bildqualität ist sehr gut und auf einen zweiten Silberling gibt es auch noch die höchst-interessante Doku „Arrebatos“ in der im Jahre 1998 nochmals alle Beteiligten mit Ausnahme des Regisseurs zu Wort kommen. Dieser wird dafür in dem intimen, Goya-prämierten und knapp 53 Minuten langen Dokumentation „Ivan Z“ ausgiebig portraitiert, die im Jahre 2004 entstanden ist. Abgerundet wird die empfehlenswerte VÖ dann noch mit einem dicken Booklet und der gewohnt-geschmackvollen Verpackung.
„Arrebato“ ist schlicht und ergreifend sperriges und unkonventionelles Underground-Kino der allerbesten Sorte, das thematisch auch aufgrund der expliziten Darstellung von Drogenkonsum seiner Zeit weit voraus war und im Jahre 1980 bereits vieles vorweg nahm, was Filmemacher wie David Lynch oder David Cronenberg in darauffolgenden Jahren an filmischen Alpträumen realisierten. Intensiver, fiebriger und beeindruckender ist die selbst-zerstörerische Suche nach körperlichen Rauschzuständen, künstlerischen Kicks und die oftmals auch destruktive Kraft von bewegten Bildern wohl nicht in Szene gesetzt worden. „Arrebato“ ist in allen Belangen gegen den Mainstream gebürstet, dennoch fesselnd, faszinierend und für Fans des spanischen Films und anspruchsvollen Underground-Kino schlichtweg essentiell. Ein Film der auch den oftmals arg überstrapazierten Begriff „Kultfilm“ mit jeder Sekunde seiner Laufzeit absolut verdient und eine wunderbare Veröffentlichung, die zweifelsfrei am Ende des Jahres 2010 noch zu dessen Highlights gezählt werden kann.
Beitrag geändert von jogiwan (22.December 2010 17:02:56)
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So, so geil! Jetzt weiß ich, wie sich ein Vater im Kreißsaal fühlen muss. Ich wurde mit "Arrebato" wohl Zeuge der kreativen Geburt von Pedro Almodovar. Alles in Zuluetas Werk erinnert als meine Lieblings-Pedro, der am Set wohl alle durch seine Neugier zur Verzweiflung gebracht hat... Super!
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review - ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=7280
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