project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
Sie sind nicht angemeldet.
Das Mädchen Shinko lebt gemeinsam mit ihrer Schwester, ihren Eltern und Großeltern in einer kleinen Stadt im Japan der Nachkriegsjahre. Wann immer es geht ist das aufgeweckte Mädchen in der Natur und lässt sich von ihrem Großvater aufregende Geschichte über vergangene Zeiten erzählen, in denen Japan noch von mächtiger Herrschern, eindrucksvollen Prunkbauten und einsamen Prinzessinnen bevölkert war. Inspiriert von diesen Geschichten erschafft sich Shinko mit ihrer blühenden Fantasie ihre eigene Welt, in denen sie diese längst vergangene Epoche des Landes wieder aufleben lässt. Dazu kräuselt sie ihr Haar, dass ihrer Meinung nach magische Kräfte besitzt.
Doch schon wenig später hat Shinko eine weitere Begegnung der sonderbaren Art, als sie eines Tages in ihrer Klasse auf die neue Mitschülerin Kiko trifft. Diese ist gerade mit ihrem Vater aus Tokyo in Shinkos kleine Stadt gezogen und passt schon aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes nicht so recht zum Rest der Klasse. Und schon wenig später prallen diese doch recht unterschiedlichen Welten aufeinander, als Kiko wegen eines Buntstiftes mit dem etwas naiven, aber gutherzigen Mitschüler Shigiro in Streit gerät und dieser daraufhin vom Klassenlehrer bestraft wird. Shinko fühlt sich von dem sonderbaren Mädchen an ihre einsame Prinzessin aus ihren Zeitreisen erinnert und sucht daher aus Neugierde den Kontakt zu dem introvertierten Mädchen, das ebenfalls in der neuen Stadt nach einer Freundin sucht.
Schon wenig später verbringen die beiden Mädchen fast jede Minute miteinander. Shinko erzählt Kiko von den Geschichten ihres Großvaters und lässt das Mädchen so an ihren fantastischen Welten teilhaben. Kiko hingegen ist froh die aufgeweckte und furchtlose Shinko an ihrer Seite zu haben. Als die beiden eines Tages zwei Mitschüler dabei überraschen, wie diese in einem Maulbeerfeld einen kleinen Staudamm bauen, schließen sich die Mädchen spontan an und gemeinsam mit dem älteren Jungen Tazuyoshi bauen die Schüler einen großen Damm, aus dem später sogar ein kleiner See entsteht. Fortan treffen sich die Kinder jeden Tag um weiter an ihrem Bauwerk zu arbeiten, als eines Tages ein tragischer Schicksalsschlag alles verändert...
Familienfreundliche Animes haben seit Anfang 2000 keinen leichten Stand, da Hayao Miyazakis mit seinem „Chihirios Reise ins Zauberland“ nicht nur ein absolutes Meisterwerk in die Kinos brachte, sondern mit seinem vielschichtigen, durchdachten und Oscar-gekrönten Werk auch erstmalig die großen Massen ins Kino lockte und so auch wesentlich dazu beigetragen hat, dass Animes den Ruf von gewalttätigen Nischen-Werke hinter sich lassen konnte und so der Weg in den Mainstream geebnet hat. Heutzutage denkt ja niemand mehr daran, dass Animes in früheren Zeiten im deutschsprachigen Raum ja nahezu nicht erhältlich waren und noch dazu keinen sonderlich guten Ruf inne hatten.
„Das Mädchen mit dem Zauberhaar“ wird ja auch bereits am Cover-Sticker mit „Chihiros Reise ins Zauberland“ beworben und natürlich erinnert die Geschichte von der aufgeweckten Shinko samt ihrer Ausflüge in fantastische Welten natürlich etwas an Miyazakis Meisterwerk, auch wenn auch der Streifen von Regisseur Sunao Katabuchi natürlich nicht die Klasse des übermächtigen Meisterwerks aus dem Hause Studio Ghibli erreicht. Dennoch ist Katabuchi mit seiner Verfilmung des Kinderbuchs von Nobka Takagi ein netter, kurzweiliger und familienfreundlicher Film gelungen, zwar nicht vollends überzeugt, aber durchaus gut gelungen ist.
Die Abenteuer von Shinko und ihren Freunden ist etwas episodenhaft angelegt und handelt größtenteils von universellen Themen wie Familie, Freundschaft und Vertrauen. „Das Mädchen mit dem Zauberhaar“ beginnt dann auch sehr spaßig und ehe man sich versieht, ist man auch schon die kindliche Fantasiewelt von Shinko eingetaucht, die auch sehr hübsch in Szene gesetzt worden ist. Der Streifen ist aber leider kein reines Feelgood-Movie für ein junge Publikum, sondern es werden im Verlauf der Geschichte auch Themen wie Verlust, Tod und Abschied thematisiert. Dieses ist aber nur bedingt geglückt und hier muss ich dann leider auch ein bis zwei Punkte abziehen, da ich den Handlungsstrang von Tazuyoshi und dessen Vater doch etwas seltsam und meines Erachtens für einen Kinderfilm auch etwas deplatziert halte.
Sicherlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass in einem Familienfilm auch familiäre Gewalt oder der Tod eines Familienmitglieds thematisiert wird, und in „Mein Nachbar Totoro“ wurde ja schon eindrucksvoll bewiesen, wie man Thematiken wie schwere Krankheit auch kindgerecht vermittelt werden kann. Wenn aber in „Das Mädchen mit dem Zauberhaar“ der spielsüchtige und alkoholkranke Vater von Tazuyoshi Selbstmord begeht und danach nicht der Verlust des Vaters, sondern eher die Schande thematisiert wird, die der Vater damit über seinen Sohn bzw. dessen Familie inklusive darauffolgende Rachegedanken gebracht hat, dann finde ich doch für mein Empfinden für einen derartigen Film nicht gerade ideal. Bei einem sehr jungen Publikum wird es aber sicher nicht schaden, wenn der ein oder andere Erwachsene dabei wäre, der auftauchende Fragen diesbezüglich beantworten könnte. Für den Kindergeburtstag ohne Aufsichtspersonen ist „Das Mädchen mit dem Zauberhaar“ aber wohl wegen dieser Sache und auch aufgrund der Geschichte mit dem Schnaps und den betrunkenen Kinder wohl eher nur bedingt einsatztauglich.
Zeichnerisch hingegen ist Katabuchis sehr gelungen und vor allem die Mischung aus detailgetreuen Bildern, kindlichen Kritzeleien und das geschickte Zusammenspiel mehrer Realitätsebenen hat mir sehr gut gefallen. Das Studio „Madhouse“ kennt man ja auch von den Arbeiten des leider vor einigen Wochen viel zu früh verstorbenen Satoshi Kon und die Umsetzung des fantasievollen Stoffes ist wie üblich sehr schön gelungen. Auch die etwas ungewöhnliche Musik des Filmes fand ich sehr gelungen und als Höhepunkt dient dann auch die japanische Version eines Carpenter-Songs, der auch hervorragend zu den hauptsächlich eher unbeschwerten Bildern passt.
Die Bild- und Tonqualität lässt ebenfalls keine Wünsche offen und auch die deutsche Synchronisation ist wie üblich sehr gelungen. Als Bonusmaterial gibt es jedoch lediglich eine umfangreichere Trailershow aus dem Hause Universum. Dafür gibt es „Das Mädchen mit dem Zauberhaar“ zum vergleichsweise günstigen Preis, sodass man als aufgeschlossener Film- und Animefreund zugreifen sollte. Unterm Strich bleibt ein technisch perfekter Film mit Schwerpunkt „nett“ und sehr gutem Auftakt, der mich persönlich gegen Ende aufgrund der etwas seltsamen Tendenzen innerhalb der Geschichte jedoch nicht ganz überzeugen konnte. Die erzählerische und fantasievolle Qualität von vergleichbaren Werken aus dem Hause Studio Ghibli wird von Sunao Katabuchi jedenfalls nicht ganz erreicht und hätte man den etwas seltsamen Part mit Tazuyoshi anders gestaltet hätte ich für das eigentlich sympathische Werk sicher ein bis zwei Punkte mehr spendiert. So bleiben aber immerhin noch 7 von 10 Punkten.
Beitrag geändert von jogiwan (22.September 2010 19:15:30)
Offline
@ Jochen,
vielen Dank fürs Review - ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=6895
Offline