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Ein junger Mann lebt alleine auf einer heruntergekommenen Farm. Seine einzigen Gefährten sind die zahlreichen Tiere, die sich auf dem Bauernhof tummeln. Eines Tages verliebt er sich in ein Schwein und zeugt mit ihr 3 Ferkel. Doch der Versuch diese zu zivilisieren schlägt fehl und der Mann erhängt seine drei Nachkommen. Als das Schwein die hängenden Ferkel sieht, läuft es davon und stürzt in einem Tümpel zu Tode. Der Mann begräbt sich und das Schwein. Doch die Erde spuckt ihn wieder aus und er beginnt Experimente mit seinen Exkrementen. Er kocht und isst sie und erbricht sie wieder. Am Ende erklimmt er eine Leiter, erhängt sich und steigt dem Himmel empor...
Jeder Filmfreund mit Hang zu obskuren, seltsamen und seltenen Filmen wird im Zuge seiner Leidenschaft schon einmal über „Vase de Noces“ gestolpert sein. Ein belgischer Film in Schwarz/Weiß ohne Dialoge aus dem Jahre 1974, der in experimentellen Bildern eine seltsame und moralisch höchst-fragwürdige Geschichte eines Mannes erzählt, der sich in ein Schwein verliebt, Nachkommen zeugt, diese tötet, seine eigenen Exkremente isst und danach Selbstmord begeht. Jahrelang totgeschwiegen und verschmäht hat „Vase de Noces“ auch nie eine Auswertung auf Video erfahren und außer einem (illegalen) Download gab es den Film außerhalb von einschlägigen Filmfestivals eigentlich auch gar nicht zu sehen. Somit zählte das Werk des Regisseurs Thierry Zéno aber auch zu den wohl unbekanntesten und auch gesuchtesten Vertreter der sogenannten Arthouse-Schocker.
„Vase de Noces“ kann mit seiner minimalistischen Story über einen durchgeknallten Außenseiter der Gesellschaft und seiner surrealen Inszenierung vom Zuschauer natürlich auch gehörig missverstanden werden. Mit Themen wie Zoophilie (Liebe zu Tieren) und Koprophilie (das Essen von Exkrementen) ist es auch ein leichtes, den Film als moralisch verwerflich zu bezeichnen und einen Skandal herbei zu zitieren. Das im Verlauf des Filmes offensichtlich auch Tiere getötet werden ist ein weiterer Fakt, der Betrachtern wohl nicht gefallen wird und da der Hauptdarsteller offensichtlich auch noch religiösen Glaubens ist und im Film metaphorisch christliche Symbole zum Einsatz kommen, bringt natürlich klerikale Vertreter auf die Barrikaden. Doch wenn der erste Schock einmal verdaut ist, offenbart der Film natürlich weit mehr als das zur Schaustellen von größtmöglichen Tabubrüchen.
Anfang der Siebziger gab es zahlreiche junge und ambitionierte Nachwuchsregisseure, die interessiert waren, Filme zu realisieren. Zu einer Zeit, in der das Kino neue Wege beschritt und Filmemacher versuchten neue Grenzen auszuloten, Tabus zu brechen und immer einen Schritt weiter zu gehen, als es andere zuvor bereits getan hatten. Da diese Regisseure neben Kreativität und grenzenlosen Optimismus jedoch meist nicht über Kleingeld oder entsprechende Förderung verfügten, mussten diese Projekte jedoch so kostengünstig wie möglich und damit verbunden natürlich so einfach wie möglich realisiert werden. Und genau zu dieser Zeit realisierte der junge Filmemacher Thierry Zény gemeinsam mit seinem Freund und Theaterschauspieler Dominique Garny einen der wohl umstrittendsten Streifen der Filmgeschichte: „Vase de Noces“
Zugegeben, auch ich war bei der ersten Sichtung von „Vase de Noces“ doch etwas ratlos und irritiert. Zwar weniger von den Tabubrüchen, sondern eher wegen der Geschichte und der schon etwas seltsamen Verhaltensweisen des Protagonisten. Denn auch wenn Regisseur Zény im Bonusmaterial lakonisch erwähnt, dass sich sein Streifen auch gut ohne entsprechende Vorkenntnisse anschauen ließe, so trägt die Doku doch wesentlich zum besseren Verständnis der metaphorischen Geschichte bei. Einer punktgenauen Interpretierung verwehrt sich Regisseur verständlicherweise und so kann die Story über den Bauern wohl in vielerlei Richtungen interpretiert werden. So ist zum Beispiel ein zeitlicher Bezug der Handlung nur schwer auszumachen. Der Film ist zwar im Jahre 1974 entstanden, könnte von der Optik aber genauso gut 30 Jahre zuvor oder auch danach entstanden sein. Der Film verzichtet auf jegliche Dialoge und so weiß man nicht, ob der Farmer überhaupt der Sprache mächtig ist, oder diese bereits verlernt, oder vielleicht auch erst erlernen muss. Am Anfang des Filmes versucht der Landwirt weißen Tauben Puppenköpfe aufzusetzen um daraus Engel zu „basteln“ und das ist erst der Beginn zahlreicher Segmente die vermutlich religiös zu deuten sind. Genauso seltsam ist auch das Aufbewahren von toten Tieren bzw. dessen Teilen, Lebensmitteln und eigenen Exkrementen in Gläsern, mit denen der Landwirt am Ende von „Vase de Noces“ alchemistische Versuche anzustellen scheint.
Sicherlich ist der Film nicht nur einfach aus Spaß am Tabubruch entstanden, sondern Regisseur und Darsteller haben sich durchaus etwas dabei gedacht. Wesentlich mehr, als sich bei der ersten Sichtung dem Zuschauer offenbaren wird. Das Drehbuch zu „Vase de Noces“ wurde ja von Regisseur Thierry Zény und Darsteller Dominique Garny etwas episodenhaft verfasst und das Hauptaugenmerk auf die Empfindungen gelegt, die Dominique Garny in seiner Rolle ausdrücken sollte. Die Einflüsse der Beiden zu der Gestaltung der sehr ungewöhnlichen Geschichte sind dabei sehr zahlreich. So gibt Zény an, dass er von der Ablehnung seiner christlichen Erziehung und von Filmemachern wie Pasolini und Bergman genauso beeinflusst wurde, wie von den alptraumhaften und grotesken Bildern eines Hieronymus Bosch und Biografien von asketischen Mönchen.
Es muss aber schon angemerkt werden, dass der Streifen auch neben seiner Metaphorik, experimenteller Machweise und schwerer Verständlichkeit alles andere als ein einfach zu konsumierender Film geworden ist. Die Art und Weise, wie der Film geschnitten wurde, stellt selbst den aufgeschlossenen Zuschauer vor einige Rätsel. Da im Film wie bereits erwähnt, kein Wort gesprochen wird, nimmt die Musikuntermalung eine große Rolle ein. Dabei gibt es von sakralen Klängen des italienischen Komponisten Claudio Monteverdi über laute Tiergeräusche bis hin zum verzehrten und atonalen Moog-Soundeskapaden höchst unterschiedliche Klänge, die in Kombination mit den ungewöhnlichen und kontrastreichen S/W-Bildern teilweise schon sehr enervierend sein können.
Darsteller Dominique Garny betont in der Doku zwar, dass für den Film kein Tier gestorben ist und das es sich bei den erhängten Ferkeln um Totgeburten gehandelt habe, trotzdem gibt es noch genug andere Szenen, die dem Tierfreund mehr als sauer aufstoßen werden. Ob diese Aussage so auch wirklich so stimmt, kann ich an dieser Stelle natürlich auch nicht überprüfen und auch wenn Tiere vorher narkotisiert wurden, so sind Tiertötungen in Filmen dennoch zu verurteilen. Die Kopulationsszene mit dem Schwein hingegen ist eher harmlos, nicht sonderlich explizit ausgefallen und rechtfertigt meiner bescheidenen Meinung nach weder Skandal, noch den reißerischen englischen Titel „the pig fucking movie“. Doch die zweite Hälfte in der der namenlose Farmer mit seinen Exkrementen experimentiert und diese auch verspeist, verlangt selbst dem aufgeschlossenen und geeichten Zuschauer dann schon wesentlich mehr ab.
So ist es auch wenig verwunderlich, dass es im Zuge von Aufführungen immer wieder Proteste und auch zahlreiche negative Kritiken gab. Abseits von Arthouse interessierten Film-Konsumenten wird der Film wohl ohnehin größtenteils auf Ablehnung stoßen. Als der Streifen in Australien bei einem Filmfest aufgeführt werden sollte, gab es zahlreiche Proteste und der Film wurde kurzfristig von Regierungsseite sogar verboten. Eine Aufführung wurde auch erst nach einer einleitenden Einblendung bzw. Erklärung des Regisseurs genehmigt. In Frankreich wurde der Film unberechtigterweise in eine pornografische Ecke gedrängt und – wenn überhaupt – nur in dementsprechenden Kinos gezeigt. Internationale Festival- und Kinoeinsätze wurden immer wieder mit viel negativer Kritik und religiösen Protesten begleitet und selbst in seinem Entstehungsland Belgien, einem Land in dem es eigentlich keine Zensur gibt, hatte „Vase de Noces“ mit allerlei Problemen zu kämpfen.
Das dieser kontroverse, vielfach angefeindete und oftmals einfach nur missverstandene Streifen nun erstmals ungekürzt auf DVD erhältlich zu kaufen ist, ist selbst für heutige Verhältnisse eigentlich eine mittlere Sensation. „Vase de Noces“ auf DVD zu bringen ist sicherlich für jede Firma gewagt und kaufmännisch riskant. Trotzdem ist es schön zu sehen, dass es immer noch ambitionierte Labels gibt, die auch dieses Risiko in Kauf nehmen und derart unkonventionelle Streifen auf Silberling veröffentlichen. Und „Camera Obscura“ bringt diesen belgischen Streifen nicht nur in absolut perfekter Bild- und Tonqualität, sondern hat mit einer eigens für diese Veröffentlichung gedrehte Doku namens „of pigs and men“ in der Regisseur und Hauptdarsteller ausführlich über den Film referieren, auch noch ein absolutes Highlight für den interessierten Zuseher am Start. In dieser Doku werden auch nahezu alle Fragen beantwortet, die im Zuge der Sichtung entstehen könnten. Abgerundet wird die schöne VÖ dann noch mit einer geschmackvollen Verpackung und einem Booklet mit kurzen Texten von Dr. Markus Stiglegger und Olaf Möller. Alles in allem eine mehr als gelungene Veröffentlichung eines umstrittenen und seltenen Filmes, der auch imho den höheren Preis rechtfertigt.
„Vase de Noces“ ist unbestritten einer der kontroversesten Werke, die jemals für die große Leinwand gedreht wurden. Radikal, verstörend und doch ungemein wirkungsvoll. Ein absolut unkommerzieller Streifen, der allerlei Tabubrüche präsentiert und sich auch ansonsten wenig um die gewöhnlichen Sehgewohnheiten des Zusehers kümmert. Eine filmische Herauforderung, welche ich persönlich auch eher nur sehr aufgeschlossenen Zusehern empfehlen würde, die auch gegen experimentelle und obskure Werke nichts einzuwenden haben. Da ich persönlich den Streifen jedoch schon immer mal sehen wollte, freut es mich umso mehr, dass „Vase de Noces“ erstmalig weltweit im deutschsprachigen Raum und dann auch noch in so einer schönen und umfassenden Art und Weise veröffentlicht wurde. Eine Wertung in Punkten kann es jedoch für diesen einzigartigen Streifen dann auch nicht geben. Über den Streifen könnten wohl Bücher geschrieben und tagelang diskutiert werden. Wer den Silberling von „Vase de Noces“ in seinen Player schiebt, sollte daher schon wissen auf welches Ereignis er sich da einlässt. Und für den Mut von „Camera Obscura“ uns diesen Streifen in dieser würdigen Form zu präsentieren gibt es an dieser Stelle zwei Daumen nach oben – Respekt!
Beitrag geändert von jogiwan (19.June 2009 08:47:01)
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@ Jochen,
Review ist nun Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=5241
Vielen Dank nochmals !!!!
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