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geschrieben von jogiwan am 18.04.05
Japan zu Beginn der 70er Jahre: Aizawa, der Chef einer linksextremen Studentenverbindung wurde verhaftet und sitzt in einer Zelle eine Strafe auf unbestimmte Zeit ab. Im Gefängnis hat er Freundschaft zu Fujiwara geschlossen und bittet ihn bei seiner Entlassung nach seiner Freundin Asami zu sehen und sich der Truppe anzuschliessen. Beim verbleibenden Rest der Gruppe bricht währenddessen jedoch ein Kampf um die Nachfolge Aizawas an. Dieser hat zwar die Führung seiner Freundin Asami übergeben, doch auch der streitbare Yamane möchte die Leitung der Gruppe übernehmen. Als Asami zwei Mitglieder der Bande anstiftet in ein Postamt einzubrechen um Geld zu beschaffen, kommt es zum Streit, weil Yamane meint, dass Aizawa nie seine Zustimmung dazu gegeben hätte. Dieser Streit eskaliert vollends als die Truppe vom mittlerweile erfolgten Selbstmord Aizawas erfährt und Yamane dem introvertierten Kumagaya anbietet, sich einer anderen Studentenverbindung anzuschliessen und dabei in Verdacht gerät Aizawa selbst bei der Polizei verpfiffen zu haben. Die Truppe macht sich frühmorgens auf, um sich in einem entlegenen Waldgebiet des Spitzels zu entledigen. Doch Asami, die zunehmends den Verstand zu verlieren scheint, verdächtigt mittlerweile auch weitere Mitglieder des Verrats und aufgestaute Agression, Hass und Orientierungs- und Hilflosigkeit eskalieren und führen in der abgeschiedenen Gegend zu einem grausamen Blutbad...
"Kichiku" eilt der zweifelhafte Ruf vorraus, ein Sicko mit extrem-hohen Gewaltpegel und derben Splattereinlagen zu sein. Doch wenn man sich dem Film unter diesen Gesichtspunkten nähert, wird man zweifellos enttäuscht werden. Vielmehr geht es um Themen wie Hass und Gewaltbereitschaft, sowie Menschen in psychologischen Ausnahmesituationen. Durch die Verhaftung Aizawas fehlt der Truppe die Führung, die weitere Orientierung und Asami versucht mehr schlecht als recht die Truppe notfalls auch mit dem Einsatz körperlicher Mittel unter Kontrolle bzw. zusammen zu halten. Aizawa, zu dem zwar alle in Erfrucht aufschauen, dessen Leistungen und auch der Grund seiner Verhaftung im Verlauf des Filmes im Dunkeln bleiben, hat der Gruppe Halt vermittelt und mit seinem Verschwinden ist dieser Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen innerhalb der Mitglieder nicht mehr gegeben. In der Hitze des Hochsommers kippt diese Stimmung der Hilflosigkeit dann zunehmends und Gewalt erscheint den jungen Menschen als einzige Lösung aus ihrer ausweglosen Situation.
In der ersten Hälfte des Films wird auf Gewaltdarstellung verzichtet, vielmehr wird diese Zeit genutzt um die trostlose und aussichtslose Stimmung innerhalb der Truppe zu zeigen. In der Eingangssequenz sieht man die Truppe noch beim friedvollen Malen von Transparenten und Plakaten, während kurze Zeit später auch Knüppel, Stöcke und Molotow-Cocktails zum Einsatz kommen. Das Erzähltempo zu Beginn ist ruhig und begleitet den introvertierten Kumagaya und dessen etwas unselbständigen Wohnungskollegen in die Wohnung Asamis, wo die beiden auf die anderer Mitstreiter treffen. Es wird gemeinsam gegessen und gefeiert, doch die Stimmung der Studenten wird zunehmend - gleich wie das Bild - hektischer. Unterlegt ist das Ganze mit Bildern von versifften Wohnungen, tristen Landschafts- und Stadtaufnahmen, sowie einem monotonen Percussion-Soundtrack. Die Stimmung sowie die Optik des gesamten Films ist düster, depremierend und hoffnungslos.
Nach der ersten 50 Minuten, als sich die Truppe aufmacht um den "entlarvten Übeltäter" zu bestrafen, schlägt der Film komplett um und gipfelt sich in einer Orgie aus Gewalt und Mord, die in seiner Intensität und Hoffnungslosigkeit noch am ehesten mit dem ersten Teil der "all night long"-Serie vergleichbar ist. Das Vertrauen innerhalb der Gruppe ist entgültig zerbrochen und die Studenten gehen wie wilde Tiere aufeinander los. Vernunft, Moral oder ähnliche Wertvorstellungen existieren längst nicht mehr und es wird getreten, geschlagen, gefoltert, gemordet und entmannt. Die Gewalt ist dabei sehr schonungslos und explizit inszeniert und wirkt absolut real. Menschen wimmern, bluten, fallen vor Schmerz in Ohnmacht um bei Wiedererlangung des Bewusstseins weiter gefoltert zu werden. Und als gegen Ende der schwer verletzte Kumagaya von seinem Wohnungskollegen zunächst gefüttert und anschliessend erschlagen wird, weiss man nicht mehr, ob dieses aus Mitleid oder Hass geschieht.
Das Erstlingswerk "kichiku dai enkai" von Kazuyoshi Kumakiri wurde 1997 mit Laiendarstellern, die zum damaligen Zeitpunkt selbst Studenten waren, im Laufe eines Jahres gedreht. Obwohl nahezu kein Budget vorhanden war, merkt man dieses dem Film zu keiner Sekunde an. Vielmehr verleiht die "billige" Machart dem Film noch einen zusätzlichen, authentischen Charakter. Kumakiri beschreibt den Film selbst als sehr gewalttätiges, jedoch persönliches Werk und als Ventil, seine damaligen, eigenen Aggressionen zu kanalisieren und rauszulassen. Kurz vor Drehbeginn hatte ihn seine Freundin verlassen und er war voller Wut und Agression. Vielleicht sind auch deswegen die wenigen Szenen, in denen sich die Schauspieler körperlich näher kommen, so unsympathisch und emotionslos in Szene gesetzt. Oftmals wird der Film auch im direkten Vergleich zu "last house on the left" von Wes Craven genannt, obwohl er diesen in Punkto Verstörung und grafischer Gewalt weit hinter sich lässt.
Meiner Meinung nach ist "kichiku" ein verstörender, kalter Film über menschliche Abgründe, der aufgrund seines hohen Gewaltpegels in eine falsche Ecke gerückt wurde. Lässt man jedoch die Gewalt weg, so bleibt doch ein solide inszeniertes, interessantes Indie-Drama, das viel Raum zum Nachdenken lässt und auch den Zuseher (die entsprechende Portion Grundpessimismus vorrausgesetzt) nachhaltig beschäftigen kann. Dieser Film will nicht nur Wachrütteln, er verpasst dem Zuschauer zusätzlich noch einen Schlag in die Magengrube. Ob sich dem Ganzen jedoch jemand freiwillig ein zweites Mal aussetzen möchte, wage ich doch an dieser Stelle zu bezweifeln.
Die niederländische DVD von Japan-Shock bietet ein solides Voll-Bild und die Original-Fassung mit wahlweise deutschen, holländischen oder englischen Untertitel, die jedoch teilweise arg zeitverzögert eingeblendet werden. Zusätzlich gibts es noch ein 30minütiges Making-Of, das aus Drehberichten zusammengeschnitten - jedoch nur teilweise untertitel wurde und daher leider nicht sonderlich informativ ist, den Trailer sowie eine kurze Bildergalerie.
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Wieder mal ein Klasse Review .
Sehe ich das also richtig, dass dir dann der Film gefallen hat? :biggrin:
Dann wird es ja Zeit endlich mal wieder ein Gast-Review zu machen, sobald ich ein paar schöne passende Screenshots machen kann .
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jogiwan schrieb am 18.04.05
Ja, durchaus.... :smile:
Hab ja im Vorfeld schon einiges Gutes und noch mehr Schlechtes über "kichiku" gelesen und war daher schlussendlich ganz positiv überrascht.
Inwieweit die extreme Gewaltdarstellung in der zweiten Hälfte jetzt für die Botschaft seine Berechtigung hat, darüber liesse sich sicherlich tage- und nächtelang diskutieren. Bei mir hat er jedenfalls seine Wirkung nicht verfehlt und so hab ich mir dann gestern doch noch jede Menge Gedanken über den Film gemacht... was mich dann schlussendlich auch dazu veranlasst hat, hier ein paar Zeilen darüber zu schreiben.
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jogiwan schrieb am 18.04.2005 (16:48:17):
Inwieweit die extreme Gewaltdarstellung in der zweiten Hälfte jetzt für die Botschaft seine Berechtigung hat, darüber liesse sich sicherlich tage- und nächtelang diskutieren. Bei mir hat er jedenfalls seine Wirkung nicht verfehlt und so hab ich mir dann gestern doch noch jede Menge Gedanken über den Film gemacht... was mich dann schlussendlich auch dazu veranlasst hat, hier ein paar Zeilen darüber zu schreiben.
Ein ähnliches Beispiel ist da ja "Sympathy for Mr. Vengeance" - ist ja auch eher ein anfangs sehr ruhiger Film und gipfelt dann in eine unverhältnismäßige Härte, dass einem Hören und Sehen vergeht. Den Film sollte man dann auch nicht unbedingt nur auf die Gewaltszenen beschränken - wie logischerweise überhaupt keinen Film. Wie schon oft gesagt, man muss einen Film immer als ganzes sehen, auch wenns manchmal schwerfällt .
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