project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
Sie sind nicht angemeldet.
Fritz Haarmann (Kurt Raab) ist ein eher unscheinbarer und besonnen wirkender Mann aus dem Ruhrgebiet, der sich seinen Lebensinhalt in den Nachkriegsjahren mit kleineren Gaunereinen und homosexuellen Liebschaften vertreibt. Gemeinsam mit seinem langjährigen Freund und Geliebten Hans Grans (Jeff Roden) ergaunert er unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und krimineller Energie gebrauchte Textilien, die er dann bei Besatzungssoldaten gegen Fleischkonserven und Tabakwaren eintauscht. Hinter der Fassade des ruhigen und sympathisch erscheinenden Mannes schlummert jedoch eine Bestie und Haarmann lockt immer wieder junge Männer in seine spärlich möblierte Dachgeschoßwohnung, die er dort missbraucht, ermordet und anschließend zerstückelt um das Fleisch an seine ahnungslosen Nachbarn zu verkaufen.
Als er von der Polizei eines Tages wegen seiner Gaunereien festgenommen und den Beamten vorgeführt wird, nutzen die Beamten das Wissen des Mannes als Polizeispitzel und tolerieren dabei auch die Tatsache, dass Haarmann immer wieder mit jungen Männern gesehen wird. Haarmann nutzt seine Kontakte zur Polizei um sich als vermeintlicher Kontrolleur am Bahnhof noch einfacher jungen Männern zu nähern und mit falschen Versprechungen und der Aussicht auf Geld in seine Wohnung zu locken. Wenig später steigt jedoch der Druck auf die Polizei nach einem Fahndungserfolg und auch das Umfeld von Haarmann reagiert zunehmend misstrauisch. Dem Mann wird eine Falle gestellt und als Haarmann schlussendlich von den Beamten festgenommen wird, werden ihm 40 Mordfälle zur Last gelegt.
„Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Schabefleisch aus dir.
Aus den Augen macht er Sülze, aus dem Hintern macht er Speck,
aus den Därmen macht er Würste und den Rest, den schmeißt er weg.“
(quelle: Wikipedia)
Der reale Fall des 1924 zum Tode verurteilten „Knabenmörders“ Fritz Haarmann hat deutsche Kriminalgeschichte geschrieben und der aufsehenerregende Fall wurde in den Jahrzehnten danach naturgemäß auch von Künstlern auf unterschiedlichste Weise thematisiert. So basiert Fritz Langs Filmklassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ auf dem grausamen Fall und neben „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ und weiteren filmischen Aufbereitungen wie z.B. „Der Totmacher“ mit Götz George und dem oben zitierten „Kinderlied“ inspirierte die tragische Figur des Fritz Haarmann und die durchaus umstrittenen und unrühmlichen Umstände die zu seiner Festnahme, seinem Geständnis und Hinrichtung durch das Fallbeil führten, auch noch Bildhauer, Musiker und Theatermacher zu unterschiedlichsten Ergebnissen, die sich neben der Taten auch mit den psychologischen Hintergründe und der Figur Haarmann auseinandersetzen.
Im Jahre 1973 drehte Ulli Lommel mit seinem interessanten Streifen mit dem kryptischen Titel „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ eine relativ freie Interpretation der Ereignisse nach einem Drehbuch von Kurt Raab und macht aus der Geschichte um den Sexualmörders eine Art unkonventionelles Vampirfilm- und Gesellschaftsdrama mit angedeuteter Kannibalismus-Thematik und legt den Fokus seines international gefeierten Werks auf seine tragische, wie vereinsamte Titelfigur. Jedoch präsentiert Lommel nicht das „Monster“, dass man sich vielleicht erwarten würde, sondern eine durchaus sympathische, wenn auch eher schweigsame Figur, die von seiner Umgebung gemocht wird und dennoch unvermittelt zur Bestie wird und junge Männer ermordet, ehe ihm das Handwerk gelegt wird.
Das Psychogramm einer verirrten Seele setzt sich aber gleich aus mehreren Gründen zwischen die Stühle und wurde zur Zeit seines Entstehens dementsprechend zwiespältig aufgenommen, da es sich erstens um keine autobiografische Aufarbeitung des im Bewusstsein des Publikum verankerten Falles handelt und der Streifen zweitens eben seine Figur auch nicht vorverurteilt, sondern das Geschehen auch noch größtenteils aus dem Blickwinkel von Haarmann zeigt. „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ ist daher auch weder Kriminal- oder Horrorfilm, sondern eine arthousiges Drama über das Leben eines Massenmörder im tristen Nachkriegsdeutschland und seiner zum Teil scheinbar gleichgültigen Umgebung, die statt Aufklärung auch eher auf den eigenen Vorteil bedacht ist.
Mit seiner düsteren Geschichte und der Darstellung von homosexuellen Handlungen ist Lommel auch ein Streifen gelungen, der auch heutzutage augenscheinlich noch für manche Menschen irritierend und verstörend daherkommt, selbst wenn „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ in Punkto Gewaltdarstellung harmlos bleibt und auch nicht annähernd mit aktuellen Produktionen aus der Genre-Ecke vergleichbar ist. Was wohl vielen Menschen sauer aufstößt und dem Film seinerzeit einen Skandal bescherte ist neben der Darstellung nackter, männlicher Körper und homosexueller Liebe aber wohl die Tatsache, dass Haarmann eben nicht als Bestie gezeigt wird, sondern durchaus verträglicher und tief-religiöser Mensch gezeigt wird und hinter der Fassade des solide erscheinenden Mannes derartige Abgründe lauern.
Das Drehbuch von Kurt Raab, der hier eindrucksvoll auch die ambivalente Titelrolle übernommen hat, verzichtet auf viele Dialoge und die teils improvisierte und Theater-hafte Inszenierung Lommels inklusive seiner interessanten Ausleuchtung lässt seinen Figuren und Geschichte auch sehr viel Raum. „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ erinnert dann auch stark an Filme vergangener Jahrzehnte und wenn man „M – Eine Stadt sucht seinen Mörder“ mit „Nosferatu“ kreuzt und das Ganze noch mit den Streifen des sogenannten „Neuen Deutschen Films“ der Siebziger verbindet, so bekommt man ungefähr eine Ahnung, welchen unkonventionellen Streifen der Schauspieler und Regisseur Ulli Lommel mit weiteren Künstlern aus dem Fassbinder-Umfeld und der Hilfe des Regisseurs realisierte.
In dem interessanten Interview, welches im Bonusmaterial zu finden ist, erzählt Ulli Lommel auf humorvolle Weise auch interessante Dinge zur Entstehung des Streifens und Fassbinder selbst war es, der Lommel zu dem kontroversen Film überredete, weil er die Thematik selbst nicht realisieren wollte. Mit Hilfe des Fassbinder-Clans, viel Herzblut aller Beteiligten und einigen glücklichen Zufällen in Punkto Locations wurde der Film in Gelsenkirchen realisiert, erregte entsprechendes Aufsehen und entwickelte sich deutschlandweit und international zu einem großen Erfolg und bedeutete auch für Lommel das Sprungbrett zu seiner Karriere als Regisseur in internationalen Produktionen, wie z.B. den erfolgreichen „The Boogey Man“, der sich ja auch hierzulande großer Beliebtheit erfreut.
Ob man einem derartigen, eher unaufgeregt und künstlerisch anspruchsvoll inszenierten Genre-Streifen wie „Die Zärtlichkeit der Wölfe“, der auch mehr der dramatischen Ecke zuzuordnen ist, aber auch heutzutage eine FSK18-Plakette verleihen muss, kann man angesichts des Inhalts dann auch eher kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen und wieder einmal offenbart sich hier wohl eher das Problem vieler Menschen inklusive FSK-Gremien mit homosexuellen und unbequemen Inhalten. Die Blu-Ray hingegen bietet keinen Anlass zur Kritik und der Streifen ist für diese VÖ nicht nur liebevoll renoviert worden, sondern bietet darum herum auch interessantes Bonusmaterial, wie das bereits erwähnte Interview, in dem Lommel an einem heißen Sommertag launig aus seinem Leben berichtet.
Unterm Strich bleibt ein ungewöhnlicher Streifen, der basierend auf grausamen Verbrechen die Geschichte eines vereinsamten und verzweifelten Mann erzählt, der von seinem Umfeld und der Gesellschaft mit seinen schwerwiegenden Problemen alleingelassen wird und dadurch zum Mörder wird. Dabei haben Lommel und Raab aus der bekannten Geschichte keinen plakativen Reißer für ein sensationsgieriges Publikum, sondern ein unaufgeregt erzähltes Kunstwerk mit vielseitigen Interpretationsmöglichkeiten für ein dementsprechend aufgeschlossenes Zuschauer geschaffen. Ein melancholischer Streifen über die Suche nach Liebe, der neben der schaurigen Präsenz seines Hauptdarstellers auch gar keine brutalen Bilder notwendig hat, um sein Publikum nachhaltig zu verunsichern und zu verstören.
Offline