project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Der renommierte, britische Tontechniker Gilderoy (Toby Jones) soll im Jahre 1976 in einem italienischen Tonstudio auf Einladung des Regisseur Giancarlo Santini (Antonio Mancino) an der Postproduktion zu dessen grotesken Horrorstreifen „Il Vortice Equestre“ mitarbeiten. Doch schon bei der Ankunft prallen Welten aufeinander und der zurückhaltende, introvertierte und eher auf Naturdokumentationen spezialisierte Brite, der auch kein Wort italienische spricht, kommt mit der direkten Art seiner Auftraggeber nicht so wirklich zurecht und ist ebenfalls nicht begeistert, als er erfährt, dass es sich bei Santinis Streifen um einen Horrorfilm über Hexen handelt, der gespickt mit brutalen und sadistischen Handlungselementen ist.
Dennoch beginnt Gilderoy mit seiner Arbeit und vertont im modernen Tonstudio an der Seite des forschen italienischen Produzenten Francesco (Cosimo Fusco) und dem neidischen Kollegen Lorenzo (Guido Adorni) eine Szene des Streifens nach der anderen und freundet sich auch mit der Hauptdarstellerin Silvia (Fatma Mohamed) an, die dem schüchternen Mann auch die italienische Lebens- und Arbeitsweise näherbringt. Obwohl sich der Brite zunehmend auf die für ihn doch etwas ungewohnten Anforderungen einstellt, ist die tägliche Arbeit zunehmend belastend und neben den schrecklichen Bildern und Angst um seine Spesenrückvergütung belasten auch Heimweh und Einsamkeit den begabten Techniker, der schon bald zwischen Realität und Fiktion nicht mehr unterscheiden kann…
Seit es im Jahre 2012 in diversen Internetforen die Rede war, das mit „Berberian Sound Studio“ eine englische Hommage an das italienische Giallo-Genre der Siebziger produziert und das Werk mit gelungenem Trailer und schicken Retro-Artwork beworben wurde, war die Vorfreude bei den Italo-Filmfreunden entsprechend groß. Doch die (über)große Vorfreude wich leider mancherorts einer Enttäuschung, als sich nach der deutschen Kinopremiere und den ersten Kritiken dazu herauskristallisierte, dass es sich bei Stricklands Werk um keinen sogenannten „Neo-Giallo“ handelt, sondern vielmehr um ein doch eher ungewöhnliches Drama handelt, das zwar seine originelle Handlung in die Siebziger verlegt und zwar italienische Genre-Filme zum Inhalt hat, aber sein Augenmerk jedoch auf die Vertonung und Geräuschkulisse (!) dieser Werke legt.
Mit schwarzen Handschuhen und blitzenden Messer hat „Berberian Sound Studio“ auch herzlich wenig zu tun, sondern erzählt die Geschichte eines britischen Tontechnikers, der nach Italien fährt um dort an der Postproduktion eines Genre-Streifens Hand anzulegen und sich dabei fernab seiner englischen Heimat in einer Welt der Gewalt, Geräusche und Einsamkeit verliert. Dabei erinnert das Drama auch mehr an die nicht minder populären Paranoia-Thriller selber Entstehungszeit und überrascht nicht nur durch seine hübschen Settings, sondern lenkt die Aufmerksamkeit des Zuschauers mit der Soundkulisse auf einen Aspekt dieser Filme, der im Grunde zwar essentiell für fast alle Filme sind, dessen Bedeutung vom Zuschauer jedoch oftmals gar nicht so bewusst wahrgenommen werden.
Dabei bedient sich Strickland einem ganz überraschenden Kunstgriff, in dem er dem Zuschauer zwar den wunderbaren Vorspann und die Handlungselemente des eindeutig von Dario Argentos „Suspiria“ inspirierten Streifens „Il Vortice Equestre“ zwar verrät, aber diesen selbst nicht präsentiert. Als Zuschauer bekommt man von „Der Höllenritt“ während der Laufzeit nur den Inhalt der Szene und den bereits vorhandenen oder nachträglich angefertigten Ton präsentiert, der sich dann beim fantasievollen Genre-Freund scheinbar automatisch mittels Kopfkino selbst zu einem Ganzen zusammensetzt. Und was man so hört passt trotz bisweilen augenzwinkernden Momenten der Geräuscherzeugung auch ganz gut in die Entstehungszeit, in denen italienische Genre-Filme immer drastischer in ihrer Gewaltdarstellung wurden.
Wer sich bei „Berberian Sound Studio“ wie viele im Vorfeld hingegen eine derartige Produktion erwartet, wird wohl zwangsläufig enttäuscht sein, da Strickland in seinem ungewöhnlichen Drama auch keine Gewaltdarstellung präsentiert und sich neben dem bereits erwähnten Aspekt der Postproduktion auf das Seelenleben eines einsamen Mannes konzentriert, der erstmalig mit Genre-Werken konfrontiert wird und aufgrund der Thematik und anderen Umständen langsam den Verstand verliert oder wahlweise mit dem System arrangiert. Dabei wird auch die Handlung mit zunehmender Laufzeit immer verworrener und am – zugegeben etwas unspektakulären - Ende weiß man auch als Zuschauer nicht mehr so recht, was jetzt tatsächlich geschieht, oder der Fantasie des Tontechnikers entsprungen ist.
Was an dem Streifen jedoch zweifelsfrei begeistert ist neben dem eindrucksvollen Sounddesign, dass im Kino tatsächlich ziemlich geflasht haben soll, vor allem die Liebe zum Detail, mit der in jeder Sekunde von „Berberian Sound Studio“ den Siebzigern gehuldigt wird. Das fängt bei der Ausstattung des Streifens an, bei dem für den beschränkten Handlungsort ein oldskooliges Tonstudio nachgebaut wurde und äußert sich auch im gelungenen Fake-Vorspann zu „Il Vortice Equestre“ und dem gelungenen Soundtrack der englischen Gruppe „Broadcast“ bis hin zum Artwork der DVD, das ebenfalls sehr eindeutig von Argentos Streifen „Vier Fliegen auf grauem Samt“ inspiriert wurde.
Die DVD aus dem Hause „Rapid Eye Movies“ bringt den interessanten Streifen in sehr guter Bildqualität und Originalton samt optionaler Untertitel, wobei das die vernünftigste Form ist, da die Mehrsprachigkeit in „Berberian Sound Studio“ ein wichtiges Stil-Element ist, das mit einer deutschen Synchro – die ja oftmals auf solche Dinge leider überhaupt keine Rücksicht nimm – einfach nicht entsprechend funktionieren würde. Selbst wenn man lediglich die deutschen Dialoge eindeutschen würde, wären 50 % des Streifens immer noch in einer anderen Sprache und müssten untertitelt werden. Abgerundet wird die schicke VÖ dann noch mit zahlreichen Bonusmaterial inklusive entfallener Szene, Interviews und einem „Behind the Scenes“, sowie zahlreichen Trailers aus dem Programm des sympathischen Labels und 5 Postkarten mit originellen Szenefotos zum Nachkreischen.
„Berberian Sound Studio“ ist sicherlich einer der ungewöhnlichsten Filme der letzten Zeit, der zwar fälschlicherweise in Richtung „Giallo“ vermarktet wird, aber dabei dem Zuschauer mehr als handelsübliches Retro-Kino und von den Siebzigern inspirierte Genre-Ware präsentiert. Peter Stricklands ungewöhnliches Drama geht auch mehr in Paranoia-Thriller und entführt den Zuschauer in eine Welt, in der man Augen und Ohren nicht trauen kann und wer sich nach dem Konsum dieses unvorhersehbaren Dramas einen italienischen Streifen aus dieser Entstehungszeit ansieht, wird diese wohl mit anderen Augen sehen bzw. mit anderen Ohren hören. Was Peter Strickland mit „Berberian Sound Studio“ abliefert ist dann auch nichts anderes als eine gelungene Liebeserklärung an die Künstler und Künstlerinnen, die im Hintergrund mit Musik, Ton und viel Kreativität dafür Sorge getragen haben, dass es mit der Gänsehautstimmung und dem Schrecken erst so richtig funktioniert.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9764
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