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Ein verurteilter Dieb entkommt seiner Bestrafung und wandelt mit seiner wiedergewonnenen Freiheit und scheinbar geläutert durch eine seltsame und bizarre Welt, die von Religion und Hedonismus geprägt ist. Seine Versuche mit Glauben zu Gott zu finden scheitern durch feindselige Menschen, die seine Suche torpedieren und seinen Körper ausnutzen und lediglich eine Prostituierte scheint dem namenlosen Mann in seiner Not beizustehen. Als er von einem Alchemisten erfährt, der in einem Turm lebt und über große Mengen Gold zu verfügen scheint, verschafft er sich durch einen Trick Zugang zu dem Turm und versucht den Alchemisten zu bestehlen, was jedoch aufgrund dessen Macht gründlich misslingt.
Anstatt den Dieb neuerlich zu bestrafen, unterweist ihn der Alchemist in seinen Fähigkeiten und nimmt den Mann als Schüler für seine Lehren auf. Er verwandelt in einem Ritual dessen Exkremente zu Gold und stellt ihm wenig später sieben Weggefährten zur Seite, die bereits auf unterschiedliche Weise über Macht, Einfluss und Reichtum verfügen und dennoch zu Höherem streben. Auf der Spitze eines heiligen Berges, auf dem neun Weise thronen, wollen die Suchenden mit Hilfe des Alchemisten die Unsterblichkeit erlangen. Doch der Weg dorthin setzt die Abkehr von materiellen Dingen und völlige Selbstaufgabe voraus und die Reisenden auch von anderen Dingen in Versuchung geführt und letzten Endes wartet auch noch eine große Überraschung auf die Suchenden.
Mit seinem surrealen Arthouse-Western und erstem „Midnight Movie“ der Kinogeschichte „El Topo“ wurde Alejandro Jodorowsky quasi über Nacht zum Liebling der florierenden New Yorker Kunstszene und bekam über die Vermittlung von John Lennon von dem Geschäftsmann und Beatles Manager Allen Klein die Möglichkeit einen weiteren Film mit seinem bislang größten Budget zu realisieren. Die Ereignisse und Erfolge im Vorfeld führte wohl aber bei dem durchaus streitbaren Regisseur, der ohnehin mit einem sehr großen Ego gesegnet ist zu einem Art Höhenflug und es entstand eine surrealistische und sperrige Odyssee namens „Montana Sacra – Der heilige Berg“ in dem Jodorowsky seine Faible für Esoterik, Alchemie und Mythologie so richtig ausleben konnte und mit seinen schier unglaublichen Bilderwelten und unkonventionellen Inhalten über den Zuschauer hinweg fegt.
In „Der heilige Berg“ vermengt Jodorowsky jahrzehntelang erarbeitetes Wissen und Eindrücke aus seinen Interessensgebieten wie diverse Glaubenslehren, Astrologie, Alchemie, Tarot, die Einflüsse seines Psychologie-Studium und Drogen-Erfahrungen und verpasst seiner abstrakten Geschichte über den Versuch der Selbstfindung kontroverse und provokante Bilder die sich dem Zuschauer selbst bei mehrfacher Sichtung nicht zur Gänze erschließen. Was sich hier dem Zuschauer präsentiert ist auch ein Trip in die bizarre Seelenwelt einer Person, bei der Genie und Wahnsinn einander schon sehr nahe gekommen sind und sich aufgrund des großzügigen Budgets und unkonventionellen Herangehensweise und Anschlag auf konventionelle Zuschauergewohnheiten fast schon einmalig in der Geschichte des Kinos präsentieren.
Wie schon in „El Topo“ kann man bei „Der heilige Berg“ durchaus von einem zweigeteilten Film sprechen, der in der ersten Hälfte den Weg eines namenlosen Diebs zum Alchemisten-Schüler nachzeichnet und in der zweiten Hälfte eine Gruppe Machthaber auf die Spitze eines heiligen Berges begleitet, auf dem mittels neun Weisen Unsterblichkeit erlangt werden soll. Dabei paart Jodorowsky die Bildgewalt des Vorgängers „El Topo“ mit der gesellschaftskritischen Botschaft und irritierenden Soundkulisse von „Fando und Lis“ und schuf ein surreales Werk, das den Zuschauer mit grotesken Szenarien, bitterbösen Witz und einer Vielzahl von sonstigen Andeutungen und Anspielungen überfordert und auch noch zuhauf brutale Bilder und blutige Bilder bietet, die auch heutzutage noch mühelos als sehr kontrovers durchgehen.
Obwohl die Zeichen dann eigentlich auch voll auf „Opus Magnum“ des Regisseurs standen, kam dann doch irgendwie alles anders als geplant und die große Aufmerksamkeit blieb Jodorowsky für „Der heilige Berg“ verwehrt. Der kontroverse Film blieb bei seiner Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes eher unbeachtet und musste sich auch in Punkto Skandal auch Marco Ferreris „Das große Fressen“ geschlagen geben. Der Produzent scheute angesichts der wenig massenkompatiblen Inhalte vor einer großen Marketingkampagne ohnehin zurück und es scheint fast, als wäre das damalige Publikum Jodorowsky belehrendes Guru-Gehabe samt deutungsschwangeren Selbstfindungstrip und Esoterik-Sammelsurium ebenfalls überdrüssig geworden. Statt seinen Macher daher neuerlich an die Spitze einer intellektuellen Künstlerbewegung zu hieven, folgte die Ernüchterung und da sich Jodorowsky mit Allen Klein verwarf, gab es den Film auch lange Zeit nicht offiziell zu sehen.
„Der heilige Berg“ ist dann aber auch mein persönlicher Lieblingsfilm von Alejandro Jodorowsky, der zwei Stunden lang ein ordentliches Feuerwerk an skurrilen, unfassbaren und aberwitzigen Szenarien abfeuert und wer sich als Zuschauer gerne von ungewöhnlichen Bildern und unkonventionellen Szenarien gefangen nehmen lässt, wird hier auch bestens bedient. Zwar versteigt sich Jodorowsky im Verlauf des Streifens zunehmend in immer groteskeren Szenarien und ab einen gewissen Punkt schon klar wird, dass sich die Mischung aus Esoterik, Mystik, Glaubensfragen und Selbstfindung gar nicht mehr so richtig auflösen kann und am Ende wartet auf den Zuschauer dann auch eine überraschende Botschaft, die man wahlweise augenzwinkernd oder auch als Symptom dafür sehen kann, dass der Regisseur nun vollends übergeschnappt ist.
Fast scheint, als würde Jodorowsky zwei Stunden in seinem märchenhaften Film auf ein bestimmtes Ziel hinzuarbeiten, um dem Zuschauer dann im letzten Moment noch rasch ein Bein zu stellen und ihn quasi mit neu gewonnenen Ansichten wieder zurück an den Start zu schicken. Doch auch wenn Jodorowskys Figur des Alchimisten dem Zuschauer quasi die lange Nase zeigt und ihn nicht aus der Verantwortung entlässt, so endet der Streifen doch auf eine fast schon harmonische und versöhnliche Weise, die auch die krassesten und vorangegangenen Bilder relativiert. Jodorowosky ist weder der vollkommen abgehobene Philosoph mit dem erhobenen Zeigefinger, noch der religionskritische Misanthrop oder durchgeknallte Irre, sondern ein Mensch wie du und ich, der seinen Zuschauer ermahnt, Trugbildern aller Arten abzuschwören und das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen.
„Der heilige Berg“ ist dann auch der dritte Streifen in der wundervoll gestalteten Box mit den Frühwerken von Alejandro Jodorowsky bzw. „Bildstörung“ und das Werk ist auch wie geschaffen für eine Veröffentlichung auf Blu-Ray-Disc. Die Qualität ist im Vergleich zu der Fassung, die ich bislang kannte, einfach wunderbar und auch die deutsche Synchronisation, die nur wenige Fehlstellen aufweist und dort untertitelt wurde, ist ebenfalls sehr gelungen. Wie schon bei „El Topo“ kommt auch „Der heilige Berg“ mitsamt seinem Soundtrack und einem lesenswerten Booklet von Filmkritiker Claus Löser über das filmische Frühwerk von Alejandro Jodorowsky, dass am Ende auch folgenden Satz beinhaltet, der in wenigen Worten die Essenz seiner Werke in folgenden und sehr treffenden Satz zusammenfasst: „El Topo“ und „Montana Sacra“ bleiben [...] als Verheißungen dessen, was das Kino auch hätte sein können, wenn es nicht ständig auf dem Altar einer höchstmöglichen Konsumierbarkeit geopfert werden würde.“
„Montana Sacra – Der heilige Berg“ ist dann auch der wunderbare Abschluss der Alejandro Jodorowsky-Box, die für mich an dieser Stelle bereits die Veröffentlichung des Jahres ist. Dass es diese drei vollkommen unkonventionellen und sprachlos machenden Filme samt frühen Kurzfilm in dieser wunderbaren Qualität in den deutschen Sprachraum geschafft haben ist ja fast ein kleines Wunder und auch die Erfüllung eines lang gehegten Traums, der dann auch noch in einer derart schön gestalteten Box präsentiert wird, die auch fast keine Wünsche offen lässt. Drei radikal-verstörende Filme, die auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch immer gehörig Konfliktpotential besitzen und nichts von ihrer Eindringlichkeit und Unberechenbarkeit verloren haben. Auch wenn es danach für den Regisseur oftmals nicht so nach Plan lief, so hat er bei den drei Filmen der Box am Höhepunkt seines kreativen Schaffens auch (fast) alles richtig gemacht.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9697
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