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Um den Geburtstag seines Freundes Harold (Leonard Frey) gebührend zu feiern, bereitet der schwule Michael (Kenneth Nelson) in seiner schicken New Yorker Wohnung mit großer Dachterrasse eine Party vor, zu dessen Vorbereitungen sich auch bald der junge Donald (Frederick Combs) gesellt, mit der Michael eine lose Fernbeziehung führt. Als Michael einen Anruf von seinem Jugendfreund Alan (Peter White) erhält, der in der Stadt ist, verzweifelt scheint und um ein Treffen ersucht, passt das Michael zwar zeitlich so gar nicht und dennoch ist er damit einverstanden, dass der in Washington erfolgreich tätigen Anwalt kurz auf einen Drink in der Wohnung vorbeischaut.
Alan sagt wenig später jedoch kurzfristig ab und mit dem tuckigen Emory (Cliff Gorman) und dessen Bekannten Bernard (Reuben Greene), sowie das Pärchen Hank (Laurence Luckinbill) und Larry (Keith Prentice) stehen auch bald die geladenen Gäste mit guter Laune und Geschenken vor der Türe. Gemeinsam wird getrunken, ausgelassen gespaßt und getanzt, als überraschend Alan auf der Bildfläche erscheint, der etwas auf dem Herzen zu haben scheint und kurzfristig dazu entschieden hat, die Wohnung seines Jugendfreundes aufzusuchen. Dieser ist von der illustren Runde jedoch sichtlich irritiert und auch Michael passt es gar nicht, dass sich einzelne Partygäste vor den Augen des konservativen Anwalts von ihrer tuntigen Seite präsentieren.
Während sich jedoch weder Michael noch Alan davon etwas anmerken lassen und die gespannte Situation mit Alkohol überspielt wird, steht mit einem angeheuerten Stricher (Robert La Tourneaux) bereits die nächste Überraschung vor der Türe und während sich über dem Big Apple ein Sommergewitter zusammenbraut, sinkt die Stimmung langsam aber sicher weiter in Richtung Gefrierpunkt. Zu späterer Stunde erscheint auch Harold und ist mit seinem exaltierten Verhalten und den eingepackten Joints ebenfalls keine große Hilfe und betrachtet sichtlich amüsiert die groteske Szenerie, die sich vor seinen Augen abspielt.
Zwischen Michael und dem selbstsicheren Harold kommt es zunehmend zu einem Psychoduell, in der gegenseitige Seitenhiebe immer verletzender werden. Als sich Michael vor den anderen bloßgestellt und zunehmend auch in die Ecke gedrängt fühlt, nötigt er die Anwesenden zu einem zweifelhaften Telefonspiel, dass in Kombination mit Alkohol erst recht die Stimmung kippen lässt. Michael manövriert mit seinem Spiel auch alle Beteiligten in eine psychologische Ausnahmesituation, im Zuge dessen auch so mancher Partygast unfreiwillig sein wahres Seelenleben offenbart…
Mit Superlativen sollte man ja generell etwas sparsam sein, aber was Regisseur William Friedkin und Bühnenstück-Autor Mart Crowley mit dem Drama „The Boys in the Band“ aus dem Jahre 1970 geschaffen haben, ist schlicht und ergreifend gleich auf mehrfache Weise und für sein Entstehungsjahr so außergewöhnlich, sodass es auch kaum verständlich ist, dass dieses Drama nicht einen viel höheren Bekanntheitsgrad besitzt. Mit dem ersten Mainstream- und Big-Budget-Kinofilm, der sich nahezu ausschließlich, ernsthaft und vor allem seiner Zeit entsprechend authentisch mit seinen homosexuellen Figuren auseinandersetzt, hat „The Boys in the Band“ Filmgeschichte geschrieben und gilt auch vollkommen berechtigt als großer Klassiker des Queer-Cinema.
Im Englischen heißt schwul ja bekanntlich „gay“, was wiederum früher mit „lebenslustig“, „unbekümmert“ und „fröhlich“ übersetzt werden konnte. Diese Bezeichnung ist dann auch aus mehreren Gründen recht treffend, da die Mehrheit der Menschen seit Jahrzehnten die schwule Community als lustiges und feierndes Völkchen wahrnimmt, dass sich den schönen Dingen des Lebens verschrieben hat und Humor und Freundlichkeit auch noch immer die beste Waffe gegen gängige Vorurteile ist. Aus diesem Grund hat natürlcih auch die schwule Community ein Interesse daran, dass dieses Bild aufrecht erhalten wird und auch die Medien tun ihr übriges dazu, dass schwule Personen oft als etwas schräg, aber im Grunde ihres Herzens liebenswert dargestellt werden.
In „The Boys in the Band“ zeichnet Matt Crowley aber ein anderes Bild der schwulen Welt, welches Heterosexuellen daher normalerweise verborgen bleibt und einen ungeschönten und auch sehr ehrlichen Einblick in die Welt von Homosexuellen mittleren Alters, in deren Leben nur auf den ersten Blick alles geordnet und solide erscheint und Figuren nach einem beschwingten Start in eine Geburtstagsparty immer mehr ihrer humorvoll bis zynischen und überdrehten Hülle beraubt werden und sich dahinter traurige und verbitterte Seelen entblößen, die sich trotz selbstsicheren Auftreten mit ihrem nicht selbstgewählten Schicksal als Homosexuelle eher schlecht als recht abgefunden und arrangiert haben und auch darunter zu leiden haben, dass ein Großteil der Gesellschaft ihrer Lebensweise negativ gegenübersteht.
Der Streifen basiert auf einem Theater-Stück, mit dem sich Matt Crowley am Tiefpunkt seines Lebens den Frust von der Seele geschrieben hat und daher ist es auch wenig verwunderlich, dass „Die Harten und die Zarten“ keine leichtfüßige Komödie geworden ist, wie seinerzeit mit deutschen Verleihtitel und etwas irreführenden Plakatmotiv beworben wurde. Vielmehr mutet Crowley seinen neun Charakteren sehr viel zu und schickt sie, wie auch den aufgeschlossenen Zuschauer auf eine wilde Tour-de-Force und lässt quasi in Echtzeit und auf engen Raum in einem schicken New Yorker Apartment eine feuchtfröhliche Geburtstagsfeier immer weiter eskalieren.
Doch Crowleys Streifen ist nicht der übliche 08/15-Seelenstrip von konstruierten Figuren, den man sich an dieser Stelle vielleicht erwarten würde, sondern webt ein sehr dichtes Netz verschiedenster (homosexueller) Charaktere, die nicht nur glaubwürdig und vielschichtig ausgefallen sind, sondern dennoch mit zunehmender Laufzeit vor allem aufgrund ihrer Schwächen menschlich und sympathisch wirken. Allen voran natürlich Michael, der als Gastgeber zwar als Auslöser der Psychospielchen dient und vermeintlich die Fäden in seinen Händen hält, sein Verhalten aber letzten Endes in einer bitteren Katharsis erfahren muss, dass er seine mit „Ekel, Angst und Schuld“ etwas holprig aus dem Englisch übersetzten und zusammengefassten Probleme nur vor sich hergeschoben, aber noch nicht verarbeitet und mit Materialismus überdeckt hat.
Aber auch die anderen Figuren und ihr loses Mundwerk sind treffend charakterisiert und der Mikrokosmus von acht schwulen Figuren und einer vermeintlichen Schrankschwester zeichnet anhand weniger Charaktere eine große Bandbreite des schwulen Lifestyles, die auch heute noch Gültigkeit hat und spart dabei nicht mit Kritik an seinen Figuren. Zwar hat sich seit den Siebzigern sicherlich einiges an der Wahrnehmung der heterosexuellen Mehrheit getan, aber es liegt immer noch an der Person selbst, sich mit seiner Neigung Frieden zu schließen und wenn am Ende des Streifen die kluge Erkenntnis kommt, dass man erst andere lieben kann, wenn man sich selbst lieben kann, ist das eine mehr als treffende Feststellung, die wohl nicht wenige aus eigener Erfahrungen kennen werden.
Dass „The Boys in the Band“ seinerzeit bei der sogenannten „Community“ nicht nur auf Gegenliebe gestoßen ist, mag angesichts der nicht immer positiven Ereignisse auch wenig verwundern und bei meiner ersten Sichtung war ich nach den Dialog-lastigen zwei Stunden auch erst einmal vollkommen geplättet. Mit derartigen und ungeschönten Wahrheiten hat die Szene ja noch immer so ihre Probleme und dennoch zeigt der dramatische Streifen nichts, was man als homosexuelle Person nicht von sich selbst oder seinem Umfeld kennen würde. Und es liegt an der großen Kunst von Crowley und seinem fulminanten Drehbuch, dass sein Film trotz einer beinahe schon Psychothriller-artigen Atmosphäre dennoch am Ende optimistisch bleibt und das Leben und die Wichtigkeit von Freundschaften samt Höhen und Tiefen in seiner ganzen Bandbreite wiederspiegelt.
In dem nicht minder spannenden Bonusmaterial erzählen ja auch die noch lebenden Beteiligten von den damaligen Problemen, Mitte der Sechziger mit einem offen schwulen Stück an die Öffentlichkeit zu gehen. Crowley wurde von Produzenten kurzerhand für verrückt erklärt und auch den Schauspielern wurde von den schwulen Rollen abgeraten, die deren Karriere ruinieren würden. Und alle Beteiligten zeigten wohl eine gehörige Portion Mut, als das Stück 1968 in einem kleinen Theater uraufgeführt wurde und dennoch zum großen Hit wurde, der den Nerv einer Generation traf und schon nach der ersten Vorstellung sein Zielpublikum im aufstrebenden New York der Sechziger Jahre gefunden hatte.
Nach drei erfolgreichen Jahren war es dann auch Zeit das Stück auf die Leinwand zu bringen und obwohl Crowley zahlreiche und lukrative Angebote aus Hollywood bekam, bestand er darauf das Stück selbst zu produzieren und fand in dem aufstrebenden Regisseur William Friedkin, der in den Jahren darauf mit „French Connection“ und „Der Exorzist“ seinen großen Durchbruch feierte, auch einen ambitionierten Nachwuchs-Regisseur, der den Geist des Theaterstücks mit den Darstellern des Stücks auch sehr dynamisch auf die große Leinwand bringen konnte. Die Umsetzung ist auch sehr gelungen und ist man zuallererst von der Handlung gefangen, so offenbaren weitere Sichtungen die technische Brillanz, mit der Friedkin agiert und auf spannende Weise die Stimmungen der Charaktere auch in seinen Bildern berücksichtigt und die pointierten Dialoge mit schnellen Schnitten zusätzliches Tempo verleiht.
Auch bei den Darstellern gibt’s es keinen Grund zur Kritik und vor allem Kenneth Nelson als abgebrannter Lebemann liefert eine absolute beeindruckende Leistung ab, die wohl keinen Zuschauer kalt lassen wird. Frederick Combs als eher ruhiger Gegenpol ist ebenso packend wie Laurence Luckinbill, dessen Rolle als Hank sicherlich die meiste Sympathie des Publikums hervorruft. Aber auch die subtile Darstellung von Peter White, dessen Figur bis zum Ende nicht wirklich greifbar bleibt und Leonard Frey als exaltierter Harold sind wie die restlichen Darsteller absolut grandios und hauchen ihren Figuren derartige Glaubwürdigkeit ein, als wäre es die eigene Geschichte, das hier in knapp zwei Stunden zum Leben erweckt wird.
Obwohl der Streifen 1970 mit einer absolut unverständlichen FSK 18er-Freigabe in den Kinos gelaufen ist, hat es sage und schreibe 43 Jahre gedauert, bis der Streifen nun auch offiziell im deutschsprachigen Raum auf Silberling erhältlich ist. Leider hat CMV-Laservision den Streifen jedoch offensichtlich nicht neu prüfen lassen, sodass die mehr als fragwürdige Freigabe nun auch für die Heimkino-VÖ übernommen wurde. Die Bildqualität ist dafür sehr gut und auch die deutsche Synchro gibt sich redlich Mühe, die englischen Redewendungen und den schwulen Szene-Jargon so gut wie möglich ins Deutsche zu übersetzten. Lediglich die zusätzliche Verschwuchtelung der deutschen Synchronstimme von Emory ist ein kleineres Manko, dass vor allem zu Beginn etwas irritierend sein könnte.
Neben dem mehr als hervorragenden Hauptfilm gibt es aber auch noch ein dreiteiliges Special, in dem sich Matt Crowley, Produzent Dominick Dunne, die beiden Darsteller Laurence Luckinbill und Peter White, sowie William Friedkin an das Theaterstück und den Film, sowie deren Entstehung erinnern. Und dieses Special ist mindestens genauso spannend wie der Hauptfilm ausgefallen und lässt erahnen, wie schwer es selbst im aufgeschlossenen New York der Sechzigerjahre war, ein derartiges Stück auf die Bühne zu bringen. Abgerundet wird die empfehlenswerte VÖ dann noch mit einem Audiokommentar, einer umfangreichen Bildergalerie, dem Originaltrailer, sowie zu den nicht minder empfehlenswerten und queeren Klassikern „Sunday, Bloody Sunday“ und, „Teorema“, sowie den neueren Produktionen „Morgan“ und „A Love to Hide“.
Unterm Strich bleibt ein Meisterwerk des Queer-Cinema, das zu gleichen Teilen jedoch das homo- wie heterosexuelle Publikum anspricht und mit seiner vielschichtigen Bandbreite, dichten Atmosphäre und Interaktion der Protagonisten sicherlich jeden Zuschauer begeistern wird, der dramatischen Werken auch nur im Geringsten etwas abgewinnen kann. Auch wenn der Film sicherlich die Figuren einer gewissen Zeit auf die Bühne bringt, so ist die Geschichte über schwulen Lebensstil, unschöne Wahrheiten, Freundschaft und Loyalität innerhalb der „Community“ selbst jedoch zeitlos ausgefallen. „The Boys in the Band“ ist so facettenreich wie das Leben selbst und dabei witzig, traurig, tragisch, schockierend und erhellend zugleich und vor allem eines: ein nicht nur erzählerisch herausragender Film mit treffender Beobachtung und grandioser Darsteller- und Regie-Leistungen, der es definitiv wert ist, nach über vierzig Jahren wiederentdeckt und geschätzt zu werden!
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@ Jochen,
vielen Dank für das Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9566
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