project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Auf einer Insel wird eines Tages ein bewusstloser Junge (Silvia Calderoni) mit Kopfhörer angeschwemmt, der nicht nur den Schriftzug „Kaspar Hauser“ am Leibe trägt, sondern auch vom Sheriff (Vincent Gallo) schon sehnlichst erwartet wird. Obwohl der Junge einer Sprache nicht mächtig scheint und auch sonst keinen Aufschluss über seine Herkunft geben kann, ist der Sheriff überzeugt, dass es sich bei dem Jungen um einen Helden handelt, für dem das Schicksal auch noch große Taten vorgesehen hat. Als DJ soll Kaspar die Menschen auf den Tanzflächen zusammenbringen und so die Welt ein Stückchen besser machen.
Doch die Ankunft des mysteriösen Jungen bleibt auf der schroffen Insel nicht unbemerkt und schon bald interessieren sich ein zweifelnder Priester (Fabrizio Gifuni), eine Prostituierte (Elisa Sednaoui) und auch die Herzogin (Claudia Gerini) der Insel für den Jungen, der schon bald kleinere Kunststücke beherrscht und auch reges Interesse an der Musik an den Tag legt. Als er von dem Sheriff in die Kunst des DJing eingeführt wird und schon bald die Leute zum Tanzen bringt, schmiedet die eifersüchtig gewordene Herzogin gemeinsam mit dem Drogen-dealenden Bruder des Sheriffs ein Mordkomplott, dem der unglückliche Kaspar wenig später zum Opfer fällt.
Seit seinem mysteriösen Auftauchen im Jahre 1812 bewegt das rätselhafte Schicksal von Kaspar Hauser die Menschheit und obwohl sich im Nachhinein die Erzählungen von Hauser als vermutlich erfunden entpuppten, beflügelt dessen tragische Lebensgeschichte seit damals die Fantasie von zahlreichen Künstlern, die sich auf unterschiedlichste Weise dem Mythos nähern. So auch Regisseur Davide Manuli, der in seinem Streifen „The Legend of Kaspar Hauser“ eine sehr freie Interpretation des Stoffes abliefert, den Handlungsort auf eine mit „X“ betitelte Insel verlegt, diese mit skurrilen Personen bevölkert und seine kargen Schwarz-Weiß-Bilder mit der elektronischen Musik des französischen Techno-Acts Vitalic unterlegt.
Herausgekommen ist dabei ein experimentelles wie ungewöhnliches Werk, das so ziemlich den totalen Gegenentwurf zum gängigen Blockbuster-Kino darstellt und auch nichts unversucht lässt, möglichst unkommerziell zu sein. Mit seiner Mischung aus Low-Budget, Kunst- und Musikfilm mit seltsam erzählter Geschichte wird „The Legend of Kaspar Hauser“ auch eher das aufgeschlossene Publikum ansprechen, dass sich eher für abseitige Werke und sogenannte „Midnight Movies“ interessiert. In der losen Adaptierung greift Manuli zwar Elemente der tragischen Geschichte auf und verarbeitet diese in seinem Film, der jedoch eher metaphorisch gemeint ist und dessen Geschehnisse von den Zuschauern auch auf unterschiedlichste Weise interpretiert werden können.
So streift der in kontrastreichen Schwarzweiß-Bildern gedrehte Streifen sowohl Sci-Fi und Drama und erinnert auch aufgrund seines kargen Looks und der Optik seines Hauptdarstellers Vincent Gallo etwas an Italo-Western. Die Geschichte wird in unterschiedlichen Kapiteln erzählt, die jeweils mit einem Titel angekündigt werden, der eigentlich schon verrät, was in den darauffolgenden Minuten passiert. Auf eine durchgehende Handlung muss der Zuschauer in „The Legend of Kaspar Hauser“ ja verzichten und der auf der Mittelmeer-Insel Sardinien mit einer Handvoll Darsteller gedrehte Streifen bietet auch nahezu keine nennenswerten Kulissen, sondern lässt seine rätselhaften Protagonisten, zu denen es immer ein gegensätzliches Pendant zu geben scheint, unter freien Himmel und der hellen Sonne agieren.
Man sollte dieser Art von Filmen aber schon auch aufgeschlossen gegenüberstehen, sonst könnte sich Manulis Streifen für den ungeeichten Zuschauer wohl sehr schnell als Geduldsprobe herausstellen. Die bemühte Andersartigkeit und der improvisierte Stil sind auf Dauer ja auch etwas strapaziös und auch der elektronische Soundtrack und die gewöhnungsbedürfte Darstellung von dem durchaus polarisierenden Multitalent Vincent Gallo und sein Zausel-Look werden die Geschmäcker ebenso wie die androgyne Silvia Calderoni in der Rolle des Findlings spalten. Für meinen Geschmack hätte das Werk mit seinen Anleihen in der Rave-Kultur auch ruhig mehr in Richtung Musikfilm gehen können, was jedoch wohl nicht in der Intention des italienischen Regisseurs lag.
Für die Musik zeichnet sich der französische Musiker Pascal Arbez-Nicolas verantwortlich, der mit seinem Alias „Vitalic“ und der legendären „Poney E.P.“ auf DJ Hells Label „International Deejay Gigolo Records“ debütierte, mit seinem EBM-lastigen Technosounds den Nerv des Publikums getroffen hat und zu den wenigen Electroclash-Acts zählt, die den damaligen Hype auch unbeschadet überstehen konnten. Mit drei Studioalben hätte es ja eigentlich auch genug Material gegeben, sodass man nicht manche Stücke doppelt verwenden hätte müssen, aber in „The Legend of Kaspar Hauser“ werden dennoch nur wenige Tracks der Alben „Rave Age“ und „Flashmob“ mit seinen typischen Harmonien verwendet, wobei „Poison Lips“, welches auch schon im Soundtrack zu „Dredd 3D“ verwendet wurden und „Second Lives“ von einem italienischen Act namens „Produkkt“ geremixt wurden.
Die DVD aus dem Hause „Ascot Elite“ bringt den schwarzweißen Streifen von Davide Manuli mit FSK-12-Freigabe in solider Bildqualität und einer deutschen Synchronisation, die jedoch auf der mir vorliegenden Presse-DVD noch nicht verfügbar war. Aber auch das mehrsprachige Original macht schon durchaus Laune und ist dank deutscher Untertitel auch eine lohnenswerte Alternative. Als Bonus gibt es zu dem bereits mehrfach ausgezeichneten Indie-Streifen noch ein paar Clips, die mit der Musik aus dem Film unterlegt sind, sowie Outtakes, Trailer und Teaser. Schade nur, dass sich kein weiteres Bonusmaterial zum Streifen auf der Scheibe findet, da es sicherlich interessant gewesen wäre, was der Regisseur zu seinem Werk zu sagen hat und die Auswahl der Musik gerade auf Vitalic gefallen ist.
Unterm Strich bleibt ein spannendes, ungewöhnliches und extravagantes Stück Kunstfilm-Kino, das mit seiner Form und Inhalt wohl auch sicher nicht die breite Masse ansprechen wird und eindeutig in Richtung „Midnight Movie“ tendiert. Davide Manulis filmische Adaption des Mysteriums um Kaspar Hauser bekommt hier eine hübsche neue Facette verpasst und stellt die tragische Geschehnisse mit viel elektronischer Musik und gegensätzlichen Dingen in einen universellen Kontext zur Lage der Welt, der auch zum vielseitigen Interpretieren einlädt. Da ein derartiges Werk auch aufgrund seines Hauptdarstellers von heller Begeisterung bis zur totalen Ablehnung aber ebenfalls jegliche Reaktionen zulässt, ist nicht weiter verwunderlich und es bleibt wohl jedem Zuschauer selbst überlassen, ob er sich auf ein derartiges Werk, welches sich jeglicher Konvention entzieht, einlassen mag, oder eben nicht. Meinen Geschmack hat „The Legend of Kaspar Hauser“ jedenfalls durchaus getroffen.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9571
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