project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Die dreizehnjährige Anais (Anaois Reboux) fährt mit ihrer Schwester Elena (Roxane Mesquida) und ihren Eltern wie jedes Jahr in die Sommerfrische und ist darüber wenig begeistert. Der einsame Teenager fühlt sich einsam und unverstanden und steht zudem auch noch ständig im Schatten ihrer attraktiven und zwei Jahre älteren Schwester, mit der sie das Zimmer teilt und ihre Freizeit verbringen muss. Diese empfindet Anais aber eher als Klotz am Bein und malt sich zum Unverständnis ihrer Schwester in Gedanken lieber ihr erstes Mal aus, dass sie mit einem Jungen erleben möchte, in den sie sich verliebt, während Anais ihr erstes Mal lieber mit einem Unbekannten erleben möchte und bis dahin auch mit Essen von Süßigkeiten recht gut bedient ist.
In einem Cafe lernt Elena gemeinsam mit Anais eines Tages den etwas älteren und italienischen Studenten Fernando (Libero De Rienzo) kennen, der sich ebenfalls im Urlaub befindet und sich für die frühreife junge Frau zu interessieren scheint. Die beiden kommen sich näher und Elena holt den jungen Mann eines Nachts auch auf ihr Zimmer, wo der junge Mann vor den Augen der vermeintlich schlafenden Anais die jungfräuliche Elena zu sexuellen Dingen drängt. Doch Elena ist noch nicht so weit und beginnt zu weinen, als Fernando die junge Frau mit seinen Erfahrungen unter Druck setzt.
Die um ihre Nachtruhe gebrachte Anais ist zunehmend von ihrer Schwester genervt und am darauffolgenden Morgen kommt es zu einem Streit, in dem Elena ihre Schwester beschimpft und auch die Eltern, die keine Ahnung von den nächtlichen Vorgängen haben, verständnislos reagieren. Elena ist jedoch blind vor Liebe, trifft sich weiter mit Fernando und vertraut ihrer Schwester wenig später auch an, dass dieser ihr in den Dünen einen wertvollen Ring als Liebesbeweis geschenkt hat und sie nun sicher ist, mit dem Studenten den richtigen Mann für ihr erstes Mal gefunden zu haben. In der Nacht ist es dann auch soweit und während Anais in ihrem Bett weint, wird Elena von Fernando entjungfert.
Am nächsten Tag entwickelt sich die Lage jedoch anders als geplant in einer peinlichen Konfrontation fordert Fernandos Mutter (Elena Betti) den Ring zurück, worauf auch die Mutter (Arsinée Khanjian) der beiden Schwestern auch von den nächtlichen Ereignissen erfährt. Erbost entschließt diese daraufhin den Urlaub auf der Stelle abzubrechen und dem zuvor bereits abgereisten Vater (Romain Goupil) nach Paris zu folgen, der über die weitere Konsequenzen entscheiden soll. Als sich die Mutter nach einer anstrengenden und mehrstündigen Fahrt, bei der die Stimmung im Auto zunehmend aggressiver wird, auf einem Parkplatz ausruhen möchte, geschieht jedoch etwas vollkommen Unerwartetes…
Erwachsenwerden ist ja im Grunde alles andere als einfach und auch wenn die meisten rückblickend und mit Anzahl der Jahre die seither vergangen sind, wohl eher schmunzelnd an die eigene Zeit der Pubertät oder auch das berühmte „Erste Mal“ zurückdenken, ist es für die direkt Betroffenen und auch dessen Umfeld wohl alles andere als eine leichte Zeit. Davon zeugen auch nicht nur die eigenen Erlebnisse und die damit verbundenen Erfahrungen, sondern zahlreiche „Coming-of-Age“-Werke mit unterschiedlichster Herangehensweise, die junge Menschen in Zeiten der hormonellen Umstellung und sexueller Ängste begleiten.
„Meine Schwester“ konfrontiert den Zuschauer aber wieder mit dieser schwierigen Zeit und portraitiert nüchtern, unspektakulär und dennoch sehr effektiv zwei ungleiche Schwestern inmitten in der Pubertät, deren konfliktbeladenes Verhältnis zueinander, sowie die Suche nach der richtigen Herangehensweise an das „erste Mal“, dessen hypothetische Planung mit kindlicher Erfahrungslosigkeit natürlich von Vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Herausgekommen ist dabei ein durchaus unbequemes Werk, das trotz seinem etwas seltsamen Schluss gelungen ist und den Zuschauer auch nachhaltig mit seinem Geschehen beschäftigt.
Auf den ersten Blick erscheint in dem 2001 entstandenen „Meine Schwester – Das erste Mal“ ja alles recht Klischee-lastig und neben pummeligen und unverstandenen Teenager, nervige Geschwister, langweilige Zwangsurlaube und desinteressierte Eltern gibt es ja nichts, was man in seinem Umfeld nicht selbst schon in der ein- oder anderen Form am eigenen Leib erlebt hätte. Breillat zeigt dabei aber auch recht eindrucksvoll die Rivalität und Solidarität unter ungleichen Geschwistern und die unterschwellige Angst vor dem anderen Geschlecht, mit dem man noch keine Erfahrungen gesammelt hat.
Dabei wirkt seltsamerweise Anais mit ihren dreizehn Jahren wesentlich abgeklärter als ihre romantisch-veranlagte Schwester, was vermutlich mit Ablehnungen und Schmähungen zusammenhängen, die dem pummeligen Teenager tagtäglich und auch im Verlauf des Filmes widerfahren. Elena hingegen tappt prompt in die Falle in Form eines durchtriebenen Frauenhelden, der angesichts der jugendlichen Naivität auch ein leichtes Spiel hat und die Heranwachsende in einem ungleichen Geschlechterkampf um den Finger wickelt. Dabei scheut Breillat auch vor zwei längeren Sequenzen des sexuellen Kontaktes zurück, die für den Zuschauer jedoch alles andere als anregend ausgefallen sind.
Dennoch lässt einen der Film etwas ratlos zurück, da Catherine Breillat dem Streifen ein brachiales Ende verpasst hat, der irgendwie auch nicht so recht zum Rest des sehr authentisch und unaufgeregt wirkenden Streifens passt und auch eher in der Tradition italienischer Genre-Werke aus den Siebzigern steht, in denen oftmals unbeschwerte Filme eine gewaltvolles und schockierendes Ende finden um den Zuschauer noch eines vor den Latz zu knallen. Auch den Protagonisten in „Meine Schwester“ steht Schlimmes bevor und der Streifen endet recht abrupt und meines Erachtens etwas unbefriedigend mit einer trotzigen Reaktion, die zwar schon Sinn ergibt, aber dem Film doch etwas seiner Glaubwürdigkeit beraubt. Umso weniger verwunderlich, dass sich die Meinungen über das Ende weit auseinandergehen.
Laiendarstellerin Anais Reboux war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten auch tatsächlich im Alter ihres Charakters und spielt ihre Rolle als pummeliger Teenager daher auch sehr glaubwürdig. Die wie immer bezaubernde Roxane Mesquida, die hier auf Lolita getrimmt erscheint, war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten schon um die Zwanzig und wirkt dennoch zerbrechlich und fragil, sodass man ihr die 15jährige ebenfalls ohne Zweifel abnimmt. Libero De Rienzo hat zwar eine undankbare Rolle, bei der ihm laut IMDB jedoch ein Kunst-Penis zur Seite stand. Der Rest des Casts rückt eher in den Hintergrund, ist aber wie bei allen bislang gesichteten Streifen der Regisseurin sehr gut besetzt.
Die DVD aus dem Hause Pierrot Le Fou bringt den kontroversen und mehrfach preisgekrönten Streifen, der auf der Berlinale seine Premiere feierte in guter Bild- und Tonqualität und neben dem französischen Originalton gibt es auch eine gelungene Synchro. Leider ist das Bonusmaterial sehr spärlich ausgefallen, was im Falle von „Meine Schwester“ doch etwas schade ist, da mich persönlich schon interessiert hätte, was Frau Breillat zu diesem drastischen Schluss bewogen hat und warum eine doch sehr aufschlussreiche Szene, die im Bereich „Deleted Scene(s)“ zu finden, es nicht in den fertigen Film geschafft hat. So gibt es nur den Originaltrailer und ein Wende-Cover ohne FSK16-Logo.
Unterm Strich bleibt ein interessantes, aber meines Erachtens nicht gänzlich gelungenes Drama über zwei Heranwachsende, bei dem die Glaubwürdigkeit im letzten Moment etwas auf der Strecke bleibt und dem Film doch etwas seiner eigentlich möglichen Wirkung beraubt. Statt nackter Tatsachen und pornographischer Elemente des Vorgängerfilms „Romance XXX“ entwickelt sich hier das Grauen über sehr weite Strecken auch eher subtil und die ruhige Erzählweise und nüchtern und trist erscheinende Umgebung lassen die ambivalenten Empfindungen der beiden pubertierenden Schwestern doch sehr eindringlich erscheinen. War der erste Eindruck beim Abspann auch noch etwas zwiespältig, so hat sich dieses mittlerweile zum Positiven geändert und wer „Coming-of-Age“-Filme mag und auch nichts gegen unbequeme und ungewöhnliche Werke hat, ist bei Catherine Breillat und ihrem „Meine Schwester – Das erste Mal“ jedenfalls an der richtigen Adresse.
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9339
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