project: equinoX Forum

Der dreizehnjährige Gabriel (Renzo Sabelli) wächst in einem abgelegenen und ehemaligen Kloster in Cordoba  heran, das sein Vater Gregorio (Guillermo Tassara) gegen den Widerstand ehemaliger Besitzer in ein Museum verwandeln möchte. Anstatt mit gleichaltrigen Kindern zu spielen, verbringt er seine Freizeit mit dem Herumstreifen auf dem weitläufigen Anwesen oder mit seiner labilen, jedoch fürsorglichen Mutter (Romina Pinto), die an einer seltenen psychischen Erkrankung leidet und dem Jungen ständig seltsame Geschichten erzählt.

Als sie eines Tages vor den Augen des Jungen in den Tod springt, ist das ein Ereignis, dass der introvertierte und pubertierende Junge nicht verarbeiten kann. Auch sein Vater ist aufgrund eines Rechtstreits und dem überraschten Auftauchen von Gabriels leiblicher Mutter mit der Situation überfordert und hört auch nicht auf den Rat der Psychologin Debora (Leticia Vota), die Gabriel in einer Klinik behandeln möchte. Gabriel zieht sich darauf auch immer weiter in eine Traumwelt zurück, in dem ihm ein seltsame Mönch und auch seine Mutter erscheinen und ihm verschiedene Aufträge erteilen, die eine Rückkehr von Sofia zu den Lebenden ermöglichen soll

Gabriel beginnt im Obstgarten zu arbeiten, beginnt sich selbst zu kasteien und vergiftet in guter Absicht einen Hund. Später präsentiert er seinem überraschten Vater gefundene Adoptionspapiere und weigert sich dennoch beharrlich sich von dem Idealbild seiner vermeintlichen Mutter zu verabschieden. Immer wieder provoziert der Junge Streit mit seinem Vater, der später auch handgreiflich wird, während der Junge alles über sich ergehen lässt. Als auch noch der endgültige Verlust des Grundstückes droht und seine leibliche Mutter Eva den Kontakt mit Gregorio und ihrem Jungen sucht, greift Gabriel zu drastischen Mitteln um seine verstorbene Mutter zu schützen.

Ganz schön harter Tobak bzw. eine kontroverse Thematik, denn uns Regisseur und Musiker Iván Noel mit seinem neuesten bzw. vierten abendfüllenden Streifen präsentiert. Nach seinem beiden in Spanien entstandenen  „Coming-of-Age“ Dramen „Wo warst du?“ und „Brecha“, sowie einen bislang hierzulande noch unveröffentlichten Komödie mit dem Titel „Primaria!“ realisierte das Multitalent mit seiner ersten Abeit in Argentinien „Vuelve“ einen waschechten Psychothriller mit surrealistischer Erzählweise, der in der Karriere des Regisseurs wohl gleich in mehrerer Hinsicht einen Wendepunkt darstellt.

Obwohl es in dem ungewöhnlichen Streifen neuerlich um die Probleme eines heranwachsenden Jungen geht, ist „Vuelve“ nur begrenzt mit seinen beiden realitätsnahen  Vorgängern aus der Drama-Kiste vergleichbar, die jeweils mit sehr, sehr geringem Budget und viel Herzblut aller Beteiligten realisiert wurden.  Für „Vuelve“ stand mit knapp 50.000 Dollar auch erstmals ein etwas größeres Budget zur Verfügung, das der Indie-Regisseur auch dazu nutzt, seinem Drama einen ungewöhnlichen und sehr professionell erscheinenden Look zu verpassen, der den nüchternen und realen Bildern seiner bisherigen Werke auch weit überlegen ist.

Auch inhaltlich beschreitet Noel in „Vuelve“ neue Wege und erzählt in schönen und unaufgeregt erscheinenden Bilder eine Geschichte über eine gegenseitige Abhängigkeit, die auch über den Tod hinaus weiter existiert und entwickelt im Verlauf des Streifens einen verstörenden Sog, der schon auf ein drastisches Ende hinweist, dass dann auch präsentiert wird. Erinnert der Beginn ja noch an einen typische „Coming-of-Age“-Streifen, wird „Vuelve“ mit zunehmender Laufzeit immer düsterer und schreckt am Ende auch vor blutigen Tatsachen und Gewaltakten nicht zurück, die auch die FSK-16-Freigabe durchaus rechtfertigen.

Statt nüchternen Alltag und einer geradlinigen Story von Menschen aus einfachen Verhältnissen geht es in dem 2011 in Argentinien entstandenen Werk auch um die bizarre Gefühlwelt des heranwachsenden Gabriel. Diese ist von den psychischen Problemen und seltsamen Geschichten der Mutter und dem etwas seltsamen Wohnort geprägt und mit der Zeit verliert sich der Junge immer mehr in der von ihm geschaffenen Fantasiewelt und weitläufigen Areal, das von Iván Noel auch sehr hübsch, stimmig und entrückt in Szene gesetzt werden und mich entfernt auch etwas an die  frühen Werke von Jean Rollin, David Cronenberg oder auch David Lynch erinnert hat.

Der Streifen hat mir rückblickend auch sehr gut gefallen, auch wenn ich nach meiner Sichtung erst einmal ziemlich geplättet und zweifelsfrei doch etwas irritiert war. Ich bin ja schon gespannt, welche Auswirkungen dieses Werk auf die weitere Karriere von Iván Noel hat und in einer guten Welt würde der mutige und gegen den Mainstream gebürstete „Vuelve“ wohl auch die Aufmerksamkeit bekommen, die er eigentlich verdient hätte. So bleibt zu hoffen, dass durch die zweifellos guten Kritiken, die der Streifen ringsherum einfährt, nicht ohne Wirkung bleibt und dieser Streifen auch von Zuschauern entdeckt wird, die sich sonst vielleicht nicht für die „Coming-of-Age“-Schiene interessiert

Neben den wunderbar stimmigen und sehr idyllischen Location, die wohl in Cordoba gefunden wurden, sind es aber vor allem die passend gewählten Darsteller, die „Vuelva“ aus der Masse vergleichbarer Werke herausstechen lassen. Von Nachwuchsschauspieler Renzo Sabelli, der hier zweifelsfrei sehr beeindruckend agiert, wird man wohl in Zukunft noch mehr hören und auch Leticia Vota hat mir als psychisch kranke Mutter mit ihrer melancholischer Ausstrahlung sehr gut gefallen. Die melancholische und sparsam instrumentierte Musik tritt noch stärker als in den bisherigen Filmen in den Vordergrund und hat mir ebenfalls sehr gut gefallen.

CMV-Laservision bringt den interessanten Streifen in recht ansprechender und solider Qualität im spanisch-sprachigen Original mit wahlweise deutschen und englischen Titeln. Die Untertitel sind auch sehr gelungen, auch wenn ich mir persönlich auch die Übersetzung der Lied-Texte gewünschte hätte, die im Falle des Musikers und Regisseurs auch eine wichtige Funktion einnehmen. Als Bonus gibt es neben einem Audiokommentar auch eine „Making-of“ in dem der Casting-Prozess und die Entstehung näher beleuchtet werden. Abgerundet wird der positive Gesamteindruck noch mit einer Bildergalerie, Trailern zu den beiden bereits veröffentlichten Vorgängern von Herrn Noel, sowie dem obligatorischen Wendecover.

Unterm Strich bleibt eine interessante und ungewöhnlich erzählte Mischung aus Thriller, „Coming-of-Age“- und surrealen Indie-Arthouse-Drama, das in schönen Bilder und langsamen Erzähltempo eine eigentlich tieftraurige Geschichte über einen jungen Menschen erzählt, der sich immer mehr in einer Fantasiewelt verliert, dass auch für sein Umfeld nicht ohne Konsequenzen bleibt. Der mit traumartiger und zunehmend beklemmender Atmosphäre versehene Streifen ist dann auch das bisherige Meisterstück des Regisseurs Ivan Noel, der aus relativ kleinem Budget dank toller Locations und Darsteller auch das Maximum herausholt und so eine etwas sperrige, unbequeme und dennoch empfehlenswerte Genre-Perle geschaffen hat.